Die Attributionsforschung stellt Zusammenhänge zwischen konkreten Extremwettereignissen und der Klimakrise dar. Die Trägerin des Deutschen Umweltpreises 2023, Prof. Dr. Friederike Otto hat sich um diese Forschungsrichtung verdient gemacht.
Das Wetter ist wechselhaft und jedes Jahr anders. Mal ist der Juli trocken und heiß. Mal regnet es wochenlang fast durchgehend. Zudem haben wir in diesem Sommer erlebt, dass das Wetter in Deutschland vergleichsweise mild war, während es beispielsweise im Mittelmeerraum und in den USA extreme Hitze gab.
Das Klima hingegen ist als die Zusammenfassung der Wettererscheinungen über einen längeren Zeitraum definiert. Es wird aus den Wetterdaten mit statistischen Methoden ermittelt. Im Allgemeinen wird für das Klima ein Zeitraum von 30 Jahren zugrunde gelegt, die sog. Normalperiode. Es sind aber auch kürzere Zeitabschnitte, wie beispielsweise der Wert für ein Jahrzehnt, gebräuchlich.
Aus den vielen Studien zur Klimakrise wissen wir, dass sich das Wetter durch den Klimawandel deutlich verändert. Es gibt zunehmend Extremwetterereignisse. Das zeigt insbesondere der sechste Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC. An diesem Bericht haben rund 800 Autorinnen und Autoren mitgewirkt, die über mehrere Jahre mehr als 100 000 wissenschaftliche Veröffentlichungen auswerteten und in einem mehrstufigen Prüfverfahren über 300 000 Kommentare von Gutachtenden berücksichtigten. Die Weltklimaberichte werden von allen beteiligten Regierungen diskutiert und gebilligt. Sie geben daher den aktuellen Wissensstand zum Klimawandel wieder. Im Grundsatz sind die Weltklimaberichte durch dieses Erstellungsverfahren eher zurückhaltend als alarmistisch formuliert.
Wie beeinflusst die Klimakrise das Wetter?
Doch lässt sich der Einfluss des Klimawandels auf einzelne konkrete Wetterereignisse darstellen und, wenn ja, wie? Dazu wurde in den letzten Jahren, insbesondere mit Gründung der World Weather Attribution Initiative im Jahr 2015, eine Methodik entwickelt: Nun sind zeitnah Aussagen dazu möglich, um wie viel wahrscheinlicher Extremwetterereignisse durch den Klimawandel werden. Mehr als 50 Studien zu einer solchen Zuordnung von Hitzewellen, extremen Niederschlägen, Dürren, Überschwemmungen, Waldbränden und Kälteperioden in aller Welt wurden so bereits erstellt. Prof. Dr. Friederike Otto ist als eine führende Wissenschaftlerin am renommierten Grantham Institute for Climate Change and the Environment des Imperial College London tätig und hat diesen neuen Forschungsansatz maßgeblich mitentwickelt.
Solche Zuordnungsstudien werden folgendermaßen erstellt: In einem ersten Schritt wird genau definiert, wie das Extremereignis beschrieben werden kann – was also beispielsweise eine Hitzewelle kennzeichnet. Eine solche Definition kann sein: alle Ereignisse mit mehr als drei zusammenhängenden Tagen oberhalb von 30 C in einer bestimmten Region. Dabei sind diese Kriterien je nach Ereignis, Ort und Jahreszeit unterschiedlich – eine Hitzewelle in der Antarktis hat andere Höchsttemperaturen als eine Hitzewelle in Südeuropa.
Vergleich von aktuellem Klima mit Klima ohne menschengenmachte Emissionen
Dann wird das momentane Klima — das durch menschliches Zutun ja bereits deutlich erwärmt ist — mit Klimamodellen, die in der Praxis erprobt sind und die Wirklichkeit gut abbilden, viele tausend Mal simuliert. Vereinfacht gesagt, lässt man auf den Computern immer und immer wieder dieselben Klimamodelle mit ganz leicht veränderten Ausgangsbedingungen durchlaufen und berechnet dadurch praktisch tausende Jahre an Wetter im aktuellen Klima. Dies ist nötig, weil extremes Wetter der Definition nach selten auftritt. Im Rahmen dieser Simulationen wird die Zahl der Hitzewellen ermittelt, die so extrem ausfielen wie das Ereignis in der Realität.
Als Vergleich wird das Klima simuliert, wie es ohne die menschengemachten Emissionen an Treibhausgasen oder Aerosolen aussähe. So wird der Klimawandel praktisch ausgeklammert. Dies kann relativ einfach erfolgen, da die Menge der Treibhausgase in der Atmosphäre, die vor allem auf das Verbrennen fossiler Energieträger zurückzuführen sind, gut bekannt ist. Sodann werden die extremen Hitzewellen gezählt, die die Computermodelle in einer unveränderten, nicht aufgeheizten Atmosphäre ergeben. Abschließend kann dann die Zahl der Extremereignisse mit und ohne Klimawandel verglichen werden und daraus abgeleitet werden, ob und wenn ja, wie viel wahrscheinlicher Extremwetterereignisse durch den Klimawandel geworden sind. Die Forschung kann auch feststellen, dass ein Ereignis ohne Klimawandel wohl unmöglich gewesen wäre — nämlich, wenn ein solches Ereignis keinen historischen Präzedenzfall hat und in Modellen ohne Klimawandel nicht auftritt.
Eine Besonderheit der Zuordnungswissenschaften ist es, Zusammenhänge zwischen Extremwetterereignissen und der Klimakrise zeitnah aufzeigen zu können. Dies passt nur bedingt zu den üblichen wissenschaftlichen, sogenannten Peer-Review-Verfahren, bei denen vom Einreichen einer Studie in einem wissenschaftlichen Journal bis zur Veröffentlichung oft Monate vergehen. Zuordnungsstudien der World Weather Attribution Initiative erscheinen hingegen schon wenige Tage bis Wochen nach einem Extremwetterereignis und liefern damit fundierte Beweise zu den Ursachen, noch während das Ereignis in den Medien eine Rolle spielt.
Alle angewandten Verfahren sind dabei vorher durch anerkannte wissenschaftliche Methoden begutachtet, geprüft und wissenschaftlich publiziert worden. Es handelt sich also um verlässliche wissenschaftliche Grundlagen, die kontinuierlich verbessert und weiterentwickelt werden. Alle Ergebnisse werden in wissenschaftlichen Studien publiziert. Die mehr als 70 von Prof. Dr. Friederike Otto veröffentlichten wissenschaftlichen Arbeiten haben in der Wissenschaft große Resonanz gefunden und wurden bereits mehr als 10 000-mal zitiert. Zwei Beispiele zeigen auf, wie solche Zuordnungsstudien Erkenntnisse zu Extremwetterereignissen liefern.
Beispiel 1: Hitze im Juli 2023
Im Juli 2023 kam es in mehreren Teilen der nördlichen Hemisphäre zu extremen Hitzewellen, darunter im Südwesten der USA und in Mexiko, in Südeuropa und China. Die Temperaturen überstiegen am 16. Juli im Death Valley in den USA sowie im Nordwesten Chinas 50 °C. In Europa wurde der heißeste Tag aller Zeiten in Katalonien verzeichnet.
Mit den überprüften Verfahren der Zuordnungswissenschaft wurde untersucht, wie der vom Menschen verursachte Klimawandel die Wahrscheinlichkeit dieser Hitzewellen beeinflusst hat. Das Ergebnis: Wie in früheren Klimaprojektionen und IPCC-Berichten erwartet, sind diese Ereignisse heute keine Seltenheit mehr. In Nordamerika, Europa und China sind Hitzewellen in den letzten Jahren infolge der vom Menschen verursachten Erderwärmung immer häufiger aufgetreten. Hitzewellen wie im Juli 2023 sind unter den heutigen klimatischen Bedingungen nicht mehr selten. Ein Ereignis wie das in der Region USA/Mexiko wird nun etwa alle 15 Jahre, in Südeuropa alle 10 Jahre und in China einmal in 5 Jahren erwartet. Ohne den vom Menschen verursachten Klimawandel wären diese Hitzeereignisse jedoch extrem selten. In China käme ein solches Ereignis etwa einmal in 250 Jahren vor. Eine maximale Hitze wie im Juli 2023 in den USA/Mexiko und in Südeuropa wäre praktisch unmöglich, wenn der Mensch den Planeten nicht durch das Verbrennen fossiler Brennstoffe aufgeheizt hätte. Die Ergebnisse der Studie finden sich hier.
Beispiel 2: Hochwasser an der Ahr 2021
Vom 12. bis 15. Juli 2021 führten heftige Regenfälle vor allem in den deutschen Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, aber auch in den angrenzenden Benelux-Ländern, zu schweren Überschwemmungen mit 184 Todesopfern in Deutschland und 38 in Belgien sowie beträchtlichen Schäden an der Infrastruktur.
Die beobachteten Niederschlagsmengen an der Ahr/Erft und im belgischen Teil des Maaseinzugsgebiets übertrafen die historisch beobachteten Niederschlagsrekorde um ein Vielfaches.
Für eine so kleine Region stoßen die derzeitigen Methoden zur Zuordnung von Extremereignissen an die Grenzen dessen, wofür sie ausgelegt sind. Daher wurde die Analyse erweitert, indem der Einfluss des Klimawandels auf ähnliche Arten von Ereignissen, die überall in Westeuropa auftreten könnten, in einer großen Region zwischen dem Norden der Alpen und den Niederlanden untersucht wurde.
Das Ergebnis: Unter den derzeitigen klimatischen Bedingungen ist an einem bestimmten Ort innerhalb dieser größeren Region im Durchschnitt alle 400 Jahre ein solches Ereignis zu erwarten. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein solches Ereignis heute im Vergleich zum vorindustriellen Klima auftritt, hat sich um einen Faktor zwischen 1,2 und 9 erhöht. Die Ergebnisse der Studie finden sich hier.
Zusammenfassend zeigen diese Ergebnisse, dass das Erkennen von Trends bei extremen Niederschlägen auf lokaler Ebene durch die Variabilität des lokalen Wetters behindert wird. Betrachtet man jedoch solche Ereignisse, die in der größeren Region Westeuropa auftreten, sind signifikante Trends erkennbar, die auf den vom Menschen verursachten Klimawandel zurückzuführen sind – auch wenn wir nicht vorhersagen können, wo genau diese Ereignisse auftreten. Alle verfügbaren Beweise zusammengenommen ergeben, dass der vom Menschen verursachte Klimawandel die Wahrscheinlichkeit und Intensität eines solchen Ereignisses erhöht hat und dass sich diese Veränderungen in einem sich rasch erwärmenden Klima fortsetzen werden.
Text: Markus Große Ophoff, Titelfoto: kathomenden – stock.adobe.com