Mit strategischem Weitblick und unternehmerischer Risikobereitschaft hat Elektrotechnik-Ingenieur Thomas Speidel den Familienbetrieb vor 14 Jahren umgestellt – vom Ausrüster für Verbrennungsmotoren hin zu einem Hersteller von batteriegepufferten Schnelllade- und Speichersystemen. Als Wegbereiter der Energiewende erhält er den Deutschen Umweltpreis 2024 der DBU. Wie schafft man eine solche Wende?
„Wende bedeutet: Ich fahre nicht mehr in die ursprüngliche Richtung, sondern ich habe ein neues Ziel. Beim Richtungswechsel fahre ich durch den Wind hindurch und das muss ich schnell und konsequent machen. Wenn ich zögere, bleibe ich stehen und der Wind greift von keiner Seite mehr ins Segel. Die Kräfte rauschen einfach ungenutzt vorbei und der Antrieb fehlt. Weder das alte noch das neue Ziel werden erreicht. Das ist dann die schlechteste Situation.“
Wer nach Nürtingen fährt und mit Thomas Speidel, dem Gründer und Geschäftsführer der ads-tec Energy spricht, merkt schnell: Was der passionierte Segler über den Umgang mit Wind und Schiffen sagt, gilt auch für sein Berufsleben. Denn auch dort hat der Elektrotechnikingenieur mit Mut und Konsequenz eine Wende vollzogen. „Wenn man erkannt hat, dass die Neuausrichtung richtig ist, dann muss der Plan dorthin so schnell wie möglich umgesetzt werden“, sagt Speidel.
Früher: Steuerungstechnik und Datensysteme für Automobilhersteller
Alles begann 1980 in einer Garage in Ostfildern-Ruit im Großraum Stuttgart. Speidels Vater Hans-Hermann und dessen Partner Hermann Fritz starteten damals die Firma „Fritz Electronic“. Als Zulieferer vor allem für die Automobilhersteller der Region wurden Schaltschrankbau, innovative Steuerungstechnik und Datensysteme für die Fertigung zum Markenzeichen der Firma. Dann der erste Umbruch zwischen 2000 bis 2010: „Die Automobilbauer als unsere Hauptkunden wollten nicht mehr einzelne Komponenten, sondern gleich die komplette Anlage – quasi wie ein schlüsselfertiges Haus“, erinnert sich Speidel, der damals die Geschäfte mit seinem Bruder Markus führte. Thomas Speidel stieg 1995 nach dem Studium ins Unternehmen ein, das dann bereits ads-tec hieß und heute kurz für „advanced system technology“ (fortschrittliche Systemtechnologie) steht. 2010 folgte schließlich der laut Speidel „richtig harte Cut“, der radikale Schnitt mit Kurswechsel zu einer grundlegenden Neuausrichtung: Das Familienunternehmen wurde eine Holding, die Datentechnik zur eigenständigen Tochterfirma ads-tec Industrial IT und die ads-tec Energy neu aus der Taufe gehoben.
Heute: „Wir speichern Energie zwischen und machen daraus ein Produkt“
Seit Ende 2021 ist die ausgegründete ads-tec Energy börsengelistet. Neben dem Hauptsitz in Nürtingen ist sie auch an anderen Standorten vertreten, darunter Köngen bei Esslingen, Klipphausen bei Dresden und Auburn im US-Bundesstaat Alabama. Das 2014 gebaute Firmengebäude im Nürtinger Stadtteil Oberensingen im Gewerbegebiet Bachhalde ist aus viel Glas – modern-kompakt mit viel Holzinterieur und lichtdurchflutet. Der Besprechungsraum, in dem Speidel steht, ist hell, geräumig und funktional, mit einem Panoramablick über Stadt und ländliche Gegend. Nach der Abkehr von der Verbrennertechnik: Was ist die neue Geschäftsidee hinter der ads-tec-Energy?
Der 57-Jährige erläutert es so: „Sonne und Wind sind als Energielieferanten nicht immer verfügbar. Der Bedarf an Energie richtet sich aber nicht nach Wind und Sonne. So brauchen wir den Strom zu dem Zeitpunkt, wenn wir beispielsweise unser Auto laden und fahren wollen. Was machen wir also? Wir speichern die Energie zwischen. Der physikalische Zwillingsbruder der volatilen Erneuerbaren ist die Flexibilität, also der Speicher. Das ist es was uns antreibt. Dezentrale und intelligente Energieflexibilität, die vielfältig genutzt werden und damit maßgeblich zum Gelingen der Energiewende beitragen wird.“
Produktbeispiele kann man auch am Firmensitz sehen. Sie heißen ChargeBox und ChargePost. Dabei handelt es sich um kombinierte Schnelllade- und Speichersysteme mit integrierter Lithium-Ionen-Batterie. Jedes dieser etwa drei Tonnen schweren Systeme hat einen Platzbedarf von lediglich etwas mehr als einem Quadratmeter Grundfläche und kann flexibel an Straßen, Firmengebäuden, Tankstellen, an Supermärkten, in Wohngebieten oder urbanen Ballungsräumen platziert werden. Mit ihnen lassen sich dank Zwischenspeicher auch bei Netzanschlusspunkten mit geringer Leistung E-Fahrzeuge minutenschnell mit Strom laden. Beim zweiten Produkt – der ChargeBox – handelt es sich um die gleiche Kombination von Schnelllader mit Speicher, wobei in diesem Fall die beiden Ladepunkte abgesetzt von der Speicher- und Elektronikbox aufgebaut werden.
Das schnelle Laden ohne Netzausbau funktioniert laut Speidel mit seinen Systemen wie beim WC-Spülkasten: „Langsam füllen, rasch abgeben.“ Mit den beiden Produkten ChargeBox und ChargePost wird bereits an vielen Orten bewiesen, dass der Netzausbau vermieden und somit Ressourcen und Zeit gespart werden können.
Multitool für die Energiewende ermöglicht Margen in „Dunkelflaute“
Aber – und das ist Speidel wichtig – die Systeme können mehr als nur E-Autos schnell zu laden. Speicherfähigkeit und datenbasierte Betriebsoptimierung erlauben weitere Geschäftsmodelle, wodurch die Systeme für mehr als nur für das Schnellladen eingesetzt werden können. Durch Energie-Rückspeisung stabilisieren sie das Netz, speichern lokal erzeugte Energie, beispielsweise aus Photovoltaik, und funktionieren auch da, wo ein schneller Netzausbau auf sich warten lässt oder nicht möglich ist. Mit ChargeBox und ChargePost wird selbst die gefürchtete „Dunkelflaute“, wenn keine Sonne scheint und kein Wind weht, zur Chance: „Es wird Märkte geben, die mit dieser Flexibilität am Strommarkt handeln“, sagt Speidel. Durch den Verkauf von zuvor gespeichertem Strom in Zeiten von einem knappen Stromangebot lassen sich dann Margengewinne erzielen. Damit nicht genug: Dank großer integrierter Werbedisplays können mit dem ChargePost noch weitere Umsätze aus dem Werbegeschäft generiert werden. Somit ein System mit vielen Nutzungsmöglichkeiten: Schnellladen am bestehenden Netz ohne Netzausbau, Energiehandel dank Zwischenspeicher, Integration lokal erzeugter Photovoltaikenergie, Lastspitzenkappung und nicht zuletzt das Ausspielen von Werbung liefern zu den jeweiligen Zeiten wirtschaftliche Beiträge.
Klare Botschaft an die Politik: „Nicht stecken bleiben“
Speidel wartet nicht, er geht gern voran. Das beweisen seine mehr als 60 Patentanmeldungen. Er ist außerdem Mitbegründer zweier Stiftungen und verschiedener Verbände, Partner von Forschungseinrichtungen im Bereich der Energiewende und seit 2016 Präsident des Bundesverbands Energiespeicher Systeme (BVES).
Doch nicht alles läuft rund: „Es kann nicht sein, dass Genehmigungen bis zu zwölf Monate dauern und immer mehr Vorschriften alles blockieren. Die Installation selbst ist in wenigen Tagen erledigt!“ kritisiert er. Und hat eine klare Botschaft an die Politik: „Richtung und Ziel stimmen. Was dringend geboten ist, ist das Durchziehen. Wir dürfen nicht im kleinteiligen Regulieren stecken bleiben. Wir brauchen klare und verlässliche Randbedingungen für Investoren, für Firmen, für die, die es tun. Traut den Menschen mehr zu, traut den Firmen mehr zu!“
„International sind die Würfel bereits gefallen“
Speidel hat sich etwas zugetraut – und auch seiner Belegschaft. Wie hat er es geschafft, seine Leute mitzunehmen? „Transparenz ist ein Schlüsselwort. Sie müssen kommunizieren. Wir haben erläutert, von wo wir kommen und wohin wir wollen.“ Mit Erfolg: Die meisten Mitarbeitenden sind geblieben und haben die Wende im Betrieb mit vollzogen. Auch in größerem Rahmen wird sie kommen, da ist Speidel fest überzeugt: „International sind die Würfel bereits gefallen. Die Frage ist, wie nehmen wir an den Entwicklungen teil: Als Konsumenten oder als Gestalter?“ Speidel hat seine Entscheidung getroffen.
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Text: Verena Menz und Klaus Jongebloed