Moorforscher Joosten: Die Gummistiefel sind ihm näher als das Sakko

Blog-Beitrag zum Deutschen Umweltpreis

Manche nennen ihn „Mr. Torf“, er gilt weltweit als einer der kundigsten Moorforscher. Was Prof. Dr. Dr. h. c. Hans Joosten antreibt und warum er die Moore so liebt:

Auch Zuhause Moorluft um die Nase: Der Umweltpreisträger Hans Joosten lebt in der Nähe eines Küstenüberflutungsmoores.

Eigentlich könnte Hans Joosten es ruhig angehen lassen. Schließlich ist der Moorforscher und langjährige Professor an der Universität Greifswald seit Kurzem im Ruhestand. Aber nichts davon. Das ist seine Sache nicht. So rauscht er herum wie ein Wirbelwind. Und die Wörter sprudeln nur so aus ihm heraus – weil es so viel zu beschreiben und zu erklären gibt vom Moor, das seit mehreren Jahrzehnten zu einer Art Lebenselixier für ihn geworden ist. Und dessen Bedeutung als gigantischer Kohlenstoffspeicher Joosten mit unermüdlicher Vehemenz ganz oben auf der internationalen Agenda platziert hat – weshalb er nun am 10. Oktober in Darmstadt von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet wird.

Die Gummistiefel seien ihm näher als das Sakko, hat mal einer über Joosten gesagt. Der Niederländer kommt demnach ziemlich standesgemäß zum Treffen in Greifswald: Holzfällerhemd, kurze Hose, Halbschuh und Socken – und natürlich per Fahrrad. Selbstredend, dass er ohne lange Umschweife fast alle sofort duzt. Aus Prinzip kein Handy. Und am besten auch keine Armbanduhr. Auf der Nase thront eine dunkle Nickelbrille. Sie betont die hellwachen Augen zwischen schlohweißem Haupthaar und dem akkurat getrimmten Henriquatre, ebenfalls ganz in weiß. König Heinrich IV. von Frankreich gilt als Namensgeber für diesen „königlichen Bart“.

Gäbe es ein Reich, in dem man sich Joosten als Regent vorstellen könnte – es wäre wohl die Welt der Moore. An Selbstvertrauen für ein solches Amt würde es ihm kaum mangeln – gewürzt übrigens mit einer guten Prise niederländischen Humors. „Ich bin eigentlich recht bescheiden“, sagt Joosten zum Beispiel. „Manchmal gibt es tatsächlich Leute, die klüger sind als ich.“ Da muss er selbst lachen. Eines steht aber fest: Wenn es um das Wissen über Moore geht, kann ihm auf nationaler und internationaler Bühne kaum jemand das Wasser reichen. Apropos: „Moor muss nass“, fasst Joosten seine Lebensmission in drei Worten zusammen. Gebetsmühlenartig beendet er auch fast jeden seiner Vorträge mit diesem Satz.

Mit gutem Grund: Einerseits haben sich weltweit in den Mooren über Tausende Jahre rund 600 Gigatonnen – also 600 Milliarden Tonnen – Kohlenstoff angesammelt, „mehr als die gesamte Biomasse der Erde“, sagt Joosten. Andererseits aber warnt der Moorforscher vor einer schlummernden Kohlenstoffbombe, die den Klimawandel weiter anheizen würde, wenn der Mensch so weitermacht wie bisher – und die Moore vor allem für land- und forstwirtschaftliche Nutzung entwässert. Denn durch die Trockenlegung zersetzt sich das Moor, gibt das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) frei, und die Schadstoff-Emissionen steigen. Schon jetzt sind die Dimensionen dramatisch.

Joosten spult die Statistik fast schon routinemäßig ab, weil er seit Jahrzehnten immer wieder davor gewarnt hat: Weltweit liegt der Ausstoß von Kohlendioxid pro Jahr bei etwa 40 Gigatonnen CO2. „Allein die Treibhausgas-Emissionen aus entwässerten Mooren betragen global rund zwei Gigatonnen – also zwei Milliarden Tonnen“, so der Professor. Gemeinsam mit seiner Frau Catharina Maria, genannt Ine, ist er nach dem Biologie-Studium und verschiedenen wissenschaftlichen Stationen in den Niederlanden 1996 nach Greifswald umgezogen, um am Institut für Botanik und Landschaftsökologie der Universität Greifswald zu arbeiten. Dort war er einer der Wegbereiter für das Greifswald Moor Centrum (GMC), eine Kooperation von Uni Greifswald, Michael Succow-Stiftung und dem Verein „Duene“.

Alle Akteurinnen und Akteure des GMC sind vereint in diesen Zielen: Moore vor Entwässerung zu schützen und – mindestens ebenso wichtig – Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft für die Wiedervernässung der Moore und die Wiederherstellung von Lebensräumen ins Boot zu holen. Schon wieder sprudelt es aus Joosten heraus: „Fast ein Fünftel der Moore weltweit sind degradiert, in Europa schon rund die Hälfte und in Deutschland sind sogar schon nahezu 95 Prozent der Moore entwässert.“ Die Folgen sind gravierend. Joosten formuliert das so: „Im Jahr 2019 waren Treibhausgas-Emissionen aus entwässerten organischen Böden für ungefähr sechs Prozent der gesamten Treibhausgas-Emissionen in Deutschland verantwortlich.“

Die Analyse allein, die pure Problembeschreibung haben ihm aber noch nie gereicht. „Wir brauchen Lösungen“, sagt Joosten. Wer Klimaschutz will, muss die Erderwärmung in den Griff bekommen, mahnt der Moorforscher. „Dazu brauchen wir die Moore als unentbehrliche Verbündete im Kampf gegen den Klimawandel“, so Joosten. „Wenn man die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens von 2015 ernst nimmt und die Erderwärmung auf mindestens zwei Grad Celsius und möglichst 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter begrenzen will, heißt das allein für Deutschland, ab sofort 50.000 Hektar Moorfläche wiederzuvernässen. Jedes Jahr“, sagt der Niederländer.

Geboren ist er 1955 im Örtchen Liessel im Südosten der Niederlande zwischen Nord-Brabant und Limburg am Rande eines großen Moorgebiets. Von klein auf hat ihn diese Landschaft geprägt und fasziniert, sagt Joosten. Die Einsamkeit. Die Weite. Der hohe Himmel mit seinen fliegenden Wolken. Kein Wunder, dass der Vater von zwei Töchtern, die längst eigene Wege gehen, heute mit Ehefrau Ine unweit von Greifswald wieder ganz in der Nähe eines solchen Landstrichs wohnt. Die frühere Dorfschule aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts, von Ine liebevoll restauriert und hergerichtet, befindet sich am Rand der Karrendorfer Wiese, ein Küstenüberflutungsmoor, in dem man die Blicke schweifen lassen kann.

Text: Klaus Jongebloed

Zur Person

Geboren: 1955 in Liessel (Gem. Deurne), Niederlande

Ausbildung und Werdegang (Auswahl):

  • 1973 – 1982: Diplom-/M.Sc.-Ausbildung der Biologie, Katholieke Universiteit Nijmegen (NL)
  • 1996 – 1998: Doktorarbeit: „Landschaftsökologie und Naturschutz von Hochmooren: angewandte und theoretische Studien“, Universität Greifswald
  •  1998 – 2002: Habilitation im Fach Landschaftsökologie, Universität Greifswald
  • 2002 – 2008: Assistenzprofessor, Institut für Botanik und Landschaftsökologie der Universität Greifswald
  • 2008 – 2021: Außerordentliche Professur für Moorkunde und Paläoökologie, Universität Greifswald
  • seit 2000: Generalsekretär der International Mire Conservation Group (IMCG)
  • seit 2009: Stiftungsrat der Michael Succow Stiftung
  • 2009 – 2015: Experte und Verhandler in der UN-Klimarahmenkonvention
    (UNFCCC)
  • 2012-2014: Hauptautor im Weltklimarat IPCC
  • seit 2015: Mitbegründer und Mitglied des Koordinierungsausschusses
    des Greifswald Moor Centrum (GMC)
  • seit 2017: Mitglied des Lenkungsausschusses der UN Global Peatlands Initiative
    (GPI)