Ruhig sitzt sie da in dem Seminarraum des Senckenberg Instituts. Blonde Locken, Brille: Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese, Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums, Professorin an der Goethe Universität Frankfurt, Vize-Präsidentin der Leibniz Gemeinschaft und jetzt auch Trägerin des Deutschen Umweltpreises der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). Sie ist Pionierin der Makroökologie – Biodiversität und Artenrückgang sind ihre großen Themen.
Angefangen hat alles Mitte der 1980er Jahre mit ihrem Biologiestudium an der Universität Tübingen. Bei Exkursionen kam sie sozusagen auf den Vogel. „Ich hatte den Ehrgeiz, einen Vogel zu sehen und ihn auch bestimmen zu können“, sagt sie. So legte Böhning-Gaese den Schwerpunkt auf den Bereich Ornithologie. Ihre Diplomarbeit schrieb sie über das Brutverhalten von Weißstörchen. „Ich habe den ganzen Sommer bei Sonne und Regen draußen verbracht, um die Störche bei ihrem Tagesablauf zu beobachten. Mit dem ersten Sonnenstrahl am Morgen – was im Juni wirklich sehr früh ist – bis sie dann endlich gegen 22 Uhr abends auf ihr Nest geflogen sind“, erzählt sie über ihre damalige Forschung in Oberschwaben. Gebürtig kommt Böhning-Gaese aus der Region, genauer aus der baden-württembergischen Kleinstadt Oberkochen.
Für ihre Doktorarbeit verließ sie die Heimat und ging in die USA. Das war Anfang der 1990er Jahre. „Zu der Zeit war eine moderne ökologische Forschung in Deutschland noch nicht weit verbreitet“, erinnert sie sich. In den USA lernte sie einen ganz neuen Ansatz kennen. „Dort hat man in großen räumlichen Maßstäben gearbeitet – in der Makroökologie. Ich habe direkt bei dem Pionier dieses Begriffs und der neuen Arbeitsrichtung gelernt: Professor James Brown von der Universität New Mexico.“
Sie kam genau zum richtigen Zeitpunkt in die USA, denn Brown hatte gerade sein Paper im Wissenschaftsmagazin „Science“ veröffentlicht, in dem er den Begriff Makroökologie definierte. „Ich war von dem Ansatz von Anfang an begeistert, weil er diese vielen Details, die man in der Ökologie untersucht, auf das große Ganze übertragen hat. Man fängt erst dann an, das große Bild zu sehen“, sagt sie. Und die Begeisterung für dieses Themenfeld ist ihr nach wie vor anzumerken.
Zurück in der Heimat voller neuer Ideen und Eindrücke wollte sie das Thema auch in Deutschland etablieren: „Ich habe versucht, eine Lanze für dieses moderne Forschungsgebiet zu brechen, was nicht einfach war. Das war schon ein „Kulturclash“ im Vergleich zu den Ansätzen, die es in Deutschland damals gab“, berichtet Böhning-Gaese. Es habe viele Jahre gedauert, bis das Thema in Deutschland angekommen sei. Die Forscherin gründete Arbeitskreise und veranstaltete Tagungen, um Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Ansatz der Makroökologie zu überzeugen. Keine leichte Aufgabe, wie sie rückblickend sagt. Einige Ornithologen-Kollegen fühlten sich damals regelrecht provoziert, zu ungenau sei die Vorgehensweise. Vielleicht wollten sie sich aber auch nichts von einer jungen Wissenschaftlerin erzählen lassen? Durchaus möglich, denn Frauen sind laut Böhning-Gaese in wissenschaftlichen Leitungspositionen nach wie vor unterrepräsentiert – auch ein Thema, was die Wissenschaftlerin umtreibt. „Es müssen mehr Frauen auf Professuren und in Institutsleitungen, da gibt es noch Defizite. Ich bin sehr stolz auf die großen Erfolge meiner Schülerinnen, für deren Förderung ich mich eingesetzt habe. Das gab es wenig, als ich angefangen habe“, erzählt sie.
Neben ihrer Karriere ist sie aber auch ein Familienmensch. Wie man beides unter einen Hut bekommt? Pragmatisch sein und einfach machen, beschreibt ihre Art wohl am besten. Madagaskar, Tansania, Kenia, Südafrika – die Liste der Länder, die Böhning-Gaese zu Forschungszwecken bereist hat, ist lang. „Meine Kinder waren noch nicht auf der Welt, da habe ich schon die Flugtickets nach Südafrika gebucht. Ich wusste gar nicht, dass man bereits Tickets für Ungeborene buchen kann“, sagt sie und lacht. Im heimischen Garten hat sie auch ihren Mann und die beiden Söhne schon in die Feldforschung eingebunden: „Wir haben unseren Garten umgestaltet. Es gibt kaum noch Rasen, hauptsächlich Blühwiesen.“
Böhning-Gaese ist es wichtig zu zeigen, dass jede und jeder Einzelne etwas für mehr Biodiversität tun kann. Man könne direkt im Garten oder auf dem Balkon anfangen und auch Blühmischungen aussäen. „Darüber hinaus kann man seinen Konsum und seine Ernährung überdenken und beispielsweise weniger Fleischprodukte essen.“ Diese Einstellung würde, so Böhning-Gaese, schon einen Unterschied machen. „Wenn wir jetzt nur auf den CO2-Fußabdruck und den Klimaschutz schauen, dann wäre natürlich eine vegetarische oder vegane Ernährung das Beste. Aber – und das habe sie bei der gemeinsamen Stellungnahme über die Agrarlandschaften gelernt – es verschwinden in Deutschland momentan vor allem Grünlandökosysteme, auf denen oft Weidetiere stehen. „Die Landwirtinnen und Landwirte halten die Tiere natürlich nur, weil sie das Fleisch verkaufen wollen. Doch dafür fehlt der Markt und den brauchen wir.“ Kurzum: weniger Fleisch, dafür hochwertiges. „Vegetarierin bin ich nicht“, sagt sie. Das „Zurück-zum-Sonntagsbraten“ ist in ihrer Familie aber mittlerweile etabliert.
Böhning-Gaese ist Optimistin, das sagt sie über sich. Wenig Verständnis hat sie manchmal für das zaghafte Handeln der Politik: „Da schüttelt man wirklich mit dem Kopf, aber das Schöne ist, da gibt es mittlerweile sehr viele Menschen, die den Kopf schütteln. Früher war man damit ziemlich allein. Die Wahrnehmung in der Gesellschaft ändert sich gerade sehr deutlich“, so die Ökologin und das gibt ihr Hoffnung: „Der Schutz der Biodiversität ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Jede und jeder muss hier ran.“
Text: Kathrin Pohlmann, Titelbild: © Böhning-Gaese
Geboren: 1964 in Oberkochen
Ausbildung und Werdegang (Auswahl):