Komplex, vernetzt, interdisziplinär – diese Schlagworte fallen im Zusammenhang mit der Makroökologie. Worum geht es bei dieser Wissenschaftsdisziplin, die die Umweltpreisträgerin Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese maßgeblich in Deutschland und Europa etabliert hat?
„Die Kunst besteht darin, so zu abstrahieren, dass die wichtigsten Details und Muster erhalten bleiben und die unwichtigen herausfallen dürfen.“ So beschreibt die diesjährige Trägerin des Deutschen Umweltpreises der DBU, Katrin Böhning-Gaese, ihr Vorgehen, um Übersicht zu gewinnen. Denn ihr Forschungsfeld, die Makroökologie, steht wie kaum ein anderes für große Komplexität. Bei der Makroökologie werden nicht einzelne Forschungsobjekte für sich untersucht, sondern zahlreiche Tier- und Pflanzenarten oder auch Landschaften als Ganzes erforscht.
Darüber hinaus werden diese Zusammenhänge nicht nur lokal und regional, sondern auch kontinental und global betrachtet sowie auf verschiedenen Zeitskalen. Methodisch bedeutet das das Erheben, Zusammenstellen und Auswerten großer Datenmengen und Analysieren mithilfe komplexer statistischer Verfahren.
„Man sieht das Muster erst, wenn man Abstand einnimmt“
Die Forscherin vergleicht den Blick, den die Makroökologie auf die großen Zusammenhänge wirft, mit dem Betrachten eines Gemäldes: „Wenn man das Bild von einem Blumenstrauß aus der Entfernung anschaut, sieht man wirklich den Strauß. Aus der Nähe sieht man nur noch einzelne Farbflecken. Auch bei vielen ökologischen Sachverhalten sieht man das Muster erst, wenn man Abstand einnimmt und das Muster über viele Arten, große Gradienten oder lange Zeiträume anschaut.“
Die Anfänge der Makroökologie liegen im angelsächsischen Raum. In den USA wurde der Begriff Macroecology 1989 von Professor James Brown von der Universität New Mexico und Professor Brian Maurer von der Michigan State University in einer Veröffentlichung im Wissenschaftsmagazin Science eingeführt. Böhning-Gaese lernte den neuen Forschungsansatz Anfang der 1990er Jahre während ihrer Doktorarbeit in den USA kennen und brachte ihn anschließend mit nach Deutschland
Das Ziel: Auswirkungen von Umweltveränderungen vorhersagen
Die Forschungen der Wissenschaftlerin haben ein handfestes Ziel: Sie möchte zum einen die hochkomplexen Folgen von Klima- und Landnutzungswandel für Biodiversität und Lebensgemeinschaften von Tieren und Pflanzen erforschen. Zum anderen geht es ihr darum, die Auswirkungen von Umweltveränderungen auf Ökosysteme in den nächsten Jahrzehnten so genau wie möglich vorherzusagen. „Die biologische Vielfalt sichert die Lebensgrundlage für uns Menschen. Sie sorgt dafür, dass Ökosysteme funktionieren, dass wir Nahrung gewinnen, dass wir sauberes Trinkwasser haben, dass wir überhaupt Luft zum Atmen haben“, unterstreicht sie.
In Deutschland und Mitteleuropa beobachtet sie einen Rückgang der Arten vor allem in der intensiv genutzten Agrarlandschaft. Ihre langjährigen Untersuchungen an Vögeln und die von ihr mit erarbeitete Stellungnahme „Biodiversität und Management von Agrarlandschaften“ unter anderem von der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina sind maßgebliche Grundlagen für die Empfehlungen der Zukunftskommission Landwirtschaft.
Die Rückkehr der Artenvielfalt
Ziel der Kommission war es, Vorschläge für eine nachhaltige, das heißt ökologisch und ökonomisch tragfähige sowie sozial verträgliche Landwirtschaft in Deutschland zu erarbeiten. Böhning-Gaese nimmt auch hier den makroökologischen Blickwinkel ein: „Es reicht nicht, ein schädliches Pflanzenschutzmittel durch ein weniger schädliches auszutauschen oder neue Sorten anzubauen. Wir brauchen einen gesamtgesellschaftlichen Wandel. Wenn klar ist, dass sich jede und jeder bewegen muss, kriegt man auch schneller Kompromisse hin.“ Ihre fachliche Erfahrung gibt ihr bei diesem Prozess Hoffnung: „Wenn sich in Deutschland die Landschaft ändert, kommen die meisten Arten wieder zurück.“
Text: Verena Menz, Titelbild: © Eike Lena Neuschulz