Sie stehen für die Vision einer ökologischen, sozial nachhaltigen und zugleich ökonomisch tragfähigen Agrarwirtschaft: Die beiden Ehrenpreisträgerinnen Myriam Rapior und Kathrin Muus.
Nach immer größer werdenden Konflikten zwischen Landwirtschaft und Umweltschutz hat die Bundesregierung im Jahr 2021 die Zukunftskommission Landwirtschaft berufen. Kathrin Muus und Myriam Rapior waren die beiden jüngsten Mitglieder. Sie haben maßgeblich zum Gelingen dieses außergewöhnlichen gesellschaftspolitischen Einigungsprozesses im Bereich der Agrar- und Umweltpolitik beigetragen und Türen für eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über das Landwirtschafts- und Ernährungssystem geöffnet. Über ihre Arbeit in der Kommission, die gemeinsame Vision für eine zukunftsfähige Landwirtschaft und ihr Rezept für eine offene Gesprächskultur sprechen die beiden Ehrenpreisträgerinnen des Deutschen Umweltpreises mit uns im Interview.
Kathrin Muus
1994 in Lübeck geboren und auf einem landwirtschaftlichen Betrieb aufgewachsen, hat Muus schon früh neben der Schule mit ehrenamtlichen Tätigkeiten begonnen. Mit 16 Jahren trat sie in die Landjugend ein. Im Jahr 2018 wurde sie Bundesvorsitzende beim Bund der Deutschen Landjugend. Aktuell arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Thünen-Institut für Betriebswissenschaft in einem Forschungsprojekt zur landwirtschaftlichen Unternehmensnachfolge.
Myriam Rapior
1996 geboren und in Deutschland, Russland, Ägypten und der Schweiz aufgewachsen, interessiert sich Rapior seit ihrer Jugend für politische Zusammenhänge und setzt sich für die Umwelt ein. Im Jahr 2017 gründete sie den Berliner BUNDjugend-Arbeitskreis „Landwirtschaft und Ressourcenverbrauch“ und wurde im Mai 2019 in den Bundesvorstand der BUNDjugend gewählt. Zudem war sie Jugendsprecherin beim BUND.
Frau Rapior und Frau Muus, was haben diejenigen verpasst, denen die Zukunftskommission Landwirtschaft kein Begriff ist?
Kathrin Muus: Im Jahr 2019 haben sich die Konflikte im Bereich Landwirtschaft und Umwelt deutlich zugespitzt. Bauerndemonstrationen prägten den Herbst und die politische Diskussion. Daher wurde im Juli 2020 von der damaligen Bundesregierung die Zukunftskommission Landwirtschaft einberufen, die nur einige Wochen später die Arbeit aufnahm mit dem Auftrag, Empfehlungen für eine nachhaltigere Landwirtschaft zu erarbeiten. Im Juli 2021 wurde der einstimmig verabschiedete Abschlussbericht übergeben.
Myriam Rapior: Und eine nachhaltigere Landwirtschaft brauchen wir ganz dringend, um der Klimakrise zu begegnen und weiterhin mit gesunden Lebensmitteln versorgt zu werden.
Frau Rapior, Sie wurden als Vertreterin des Umweltverbands BUND in das Gremium berufen und Frau Muus, Sie als Stimme für junge Landwirtinnen und -wirte. Diese beiden Bereiche gelten seit Jahren als sehr konfliktreich. Wie kam es zur Zusammenarbeit?
Muus (lacht): Alles fing damit an, dass wir als Vertreterinnen der Jugendverbände in der Kommission nebeneinander platziert wurden. So konnten wir uns dann schon früh austauschen. Damals gab es ja nur wenig Gespräche zwischen Vertreterinnen und Vertretern aus der Landwirtschaft und dem Umweltschutz und auch wenig Bereitschaft für den Austausch. Das galt auch für die Jugendverbände.
Dann war die Arbeit in der Zukunftskommission sicher nicht einfach.
Muus: Nein, der Anfang der Kommissionsarbeit war geprägt von der Vorstellung der konträren Positionen der jeweiligen Verbände und es gab wenig Bewegung. Fragen wie, wo wollen wir hin und was ist das Ziel, mussten erst geklärt werden. Myriam und ich wurden dann vom Vorsitzenden gebeten, eine Vision einer ökologisch wie sozial nachhaltigen und ökonomisch tragfähigen Landwirtschaft zu entwickeln.
Rapior: Genau, zuerst haben wir jeweils eigene Zukunftsbilder entwickelt, Kathrin zusammen mit der Landjugend und ich habe neben der BUNDjugend noch andere Jugendverbände einbezogen. Aus diesen sollte dann ein gemeinsames Bild entstehen.
Wie können wir uns die Zusammenarbeit vorstellen? Gab es viel Diskussionsstoff?
Muus: Ich finde, die beiden einzelnen Zukunftsbilder hatten erstaunlich viele Gemeinsamkeiten.
Rapior (lacht): Ja, das antwortest du immer auf diese Frage. Ich habe das ganz anders erlebt. Wir hatten viele schlaflose Nächte mit langen Diskussionen. Im ersten Entwurf haben wir Stellen grün, gelb oder rot markiert: Also Aspekte, bei denen wir uns einig waren, bei denen es Diskussionsbedarf gab oder wo größere Konflikte waren. Beim Blick auf den Text gab es dann erstmal nur ganz viel rot.
Muus: Das stimmt, es hat viele Meetings und Videokonferenzen gebraucht. Wir mussten Kompromisse eingehen, haben aber oft auch gemeinsam neue Ansätze gefunden. Gleichzeitig haben wir immer auch den Austausch mit unseren Jugendverbänden gesucht.
Wie ist aus rot dann grün geworden?
Rapior: Geholfen hat, dass wir von Anfang an eine gute Gesprächskultur hatten. Wir sind aufeinander zugegangen, haben der anderen Position zugehört. Als ich in die Kommission kam, war ich überzeugt, dass meine Position zur nachhaltigen Landwirtschaft die beste ist. Dann kam es zu unserer Zusammenarbeit, deren Voraussetzung es war, dass wir uns jeweils die Positionen und Argumente der anderen anhörten. Nun weiß ich, dass wir durch die gemeinsame Interaktion zu deutlich besseren Lösungen gekommen sind. Jugendverbände können oft einfacher zusammenarbeiten, da es weniger belastete Vorgeschichten gibt. Zudem haben wir deutlich mehr Zukunft vor uns, als die anderen Mitglieder der Kommission.
Wie kam Ihre Vision in der Kommission an?
Rapior: Vor der Sitzung waren wir schon sehr nervös. Wir konnten nicht einschätzen, ob unser Papier auf Zustimmung stößt oder total auseinandergenommen wird. In der Diskussion gab es dann aber viel Lob und es war klar, dass wir mit dem Zukunftsbild eine gute gemeinsame Grundlage geschaffen haben, die alle ähnlich schmerzt, aber gleichzeitig Perspektiven aufzeigt.
Muus: Wichtig für die Einigung in der Kommission war, das von der Umweltseite klar artikuliert wurde: Wir wollen die Landwirtschaft erhalten. Und von der Landwirtschaftsseite: Wir wollen uns um Umweltschutz kümmern. Das von uns erarbeitete Zukunftsbild hat dann die Zusammenarbeit in der Kommission verändert, da klar war, wo die Reise hingehen soll. Eine Besonderheit war auch, dass unser Zukunftsbild dann veröffentlicht wurde und so ein Zwischenergebnis der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.
Kann man sich das gemeinsame Zukunftsbild als eine Art Kompromiss zwischen Landwirtschaft und Umwelt vorstellen?
Rapior: Das Zielbild ist weit mehr als eine Sammlung der kleinsten gemeinsamen Nenner. Vielmehr sind viele Konflikte, die in der Kommission anfangs noch vorhanden waren, schon sehr weit abgeschichtet und dadurch entschärft worden. Nur dadurch ist es möglich gewesen, dieses Zielbild als gemeinsame Vision aller Kommissionsmitglieder zur Leitlinie der weiteren Arbeit zu machen.
Wie sah es nach dem Ende der Kommissionsarbeit aus?
Rapior: Zunächst tat sich nichts. Wir waren enttäuscht. Im Wahlkampf wurde das Thema wenig angesprochen und im Koalitionsvertag wurde es nicht erwähnt. Erst in der letzten Zeit haben wir mehrere Gespräche mit dem Landwirtschaftsminister geführt und nehmen wahr, dass die Ergebnisse der Zukunftskommission Landwirtschaft ernst genommen werden.
Muus: Im November 2021 haben wir mit 12 Jugendverbänden aus dem Landwirtschafts- und Umweltbereich „Forderungen an die kommende Bundesregierung für ein zukunftsfähiges Landwirtschafts- und Ernährungssystem“ gestellt. So ein Bündnis war vor der gemeinsamen Arbeit kaum vorstellbar. Die Umsetzung steht aber immer noch aus. Da in der Vergangenheit oft zu langsam gehandelt wurde sind die Herausforderungen nun groß, da viele und schnelle Veränderungen für die landwirtschaftlichen Betriebe anstehen.
Rapior: Auch nach dem Abschluss der Zukunftskommission haben wir weiter gemeinsam an der Kommunikation der gefundenen Ergebnisse gearbeitet und dadurch die Botschaften des Abschlussberichtes immer wieder in die Diskussion gebracht. Insgesamt hat sich aber die Gesprächskultur zwischen den Mitgliedern der Kommission und auch zwischen den Verbänden deutlich verändert. Es wird jetzt deutlich mehr nach gemeinsamen Lösungen gesucht.
Womit beschäftigen Sie sich jetzt nach der Arbeit in der Zukunftskommission?
Muus: Wir haben viele Termine mit Politik, Medien und den Verbänden, auf denen wir uns für die Umsetzung der Ergebnisse der Zukunftskommission Landwirtschaft einsetzen. Manchmal gemeinsam, oft aber auch alleine. Dabei stellt Myriam eigentlich immer gleich auch meine Sichtweise mit vor und ich bringe Myriams Argumente. Auch inhaltlich haben sich unsere Sichtweisen verändert. Wir können die Probleme nur integrativ lösen, indem wir gangbare Lösungen für Ökologie, Soziales und Ökonomie der Betriebe finden.
Rapior: Neben vielen Türen, die sich für uns eröffnet haben, mussten wir leider aber auch viele teils sehr persönliche Angriffe aushalten. Bei Kathrin kamen diese eher aus der Landwirtschaftsseite, bei mir von der Umweltseite.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Rapior: Wir wollen, dass die Umsetzung der Ergebnisse der Zukunftskommission Landwirtschaft endlich konsequent und schnell angegangen wird. Wir haben keine Zeit mehr, um das vor uns herzuschieben.
Muus: Die Politik soll endlich handeln. Wir brauchen mehr Nachhaltigkeit und Planungssicherheit in der Landwirtschaft und die Wertschätzung und Berücksichtigung der Probleme der landwirtschaftlichen Betriebe.
Text: Carolin Könning, Wiebke Lenz, Markus Große Ophoff; Titelbild: Markus Große Ophoff