Was ist ein gutes Leben? Das fragt Prof. Dr. Friederike Otto, die am 29. Oktober den Deutschen Umweltpreis 2023 der DBU erhält. Ausgezeichnet wird die Klimawissenschaftlerin für ihre Leistung, die Rolle des globalen Klimawandels bei regionalen extremen Wetterereignissen zu untersuchen und in kürzester Zeit zu veröffentlichen. Als eine der wichtigsten Aufgaben nennt die Physikerin und promovierte Philosophin, die gesellschaftlichen Werte zu hinterfragen.
Die in Kiel geborene Forscherin ist Spezialistin für die Frage, welche Rolle die weltweite Klimakrise bei regionalem Extremwetter spielt. Zum Beispiel wären die Hitzewellen in Nordamerika und Südeuropa im vergangenen Juli ohne menschengemachte Erderwärmung unmöglich gewesen, haben sie und ihr Team der World Weather Attribution (WWA)-Initiative herausgefunden. Das ist aber nicht das einzige Ergebnis der Studie. Ein Aspekt „ist extrem wichtig“, sagt sie: „In vielen Gemeinden und Städten gibt es inzwischen Hitzeaktionspläne und dort ist tatsächlich auch die Übersterblichkeit merklich zurückgegangen.“ Aber solche Maßnahmen existieren nach ihren Worten lange noch nicht überall und „gerade in Anbetracht von zunehmender Vulnerabilität durch eine alternde Gesellschaft und vermehrter Ungleichheit in der Gesellschaft besteht ein unglaublicher Bedarf, diese Hitzeaktionspläne weiter auszurollen.“
Hohe Temperaturen in Städten mit mehr Grün senken
Warnungen gab es indes schon früh: Bereits 2008 veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit Blick auf den Hitzesommer 2003 einen Leitfaden zur Umsetzung von Hitzeaktionsplänen. Organisationen, darunter renommierte Einrichtungen wie der Deutsche Wetterdienst liefern Daten über immer häufigere Hitzewellen, die in Zukunft immer häufiger und intensiver auftreten werden. Das hat Auswirkungen auf die Gesundheit, vor allem bei verwundbaren Gruppen wie älteren Menschen, Säuglingen, Schwangeren und Menschen mit Vorerkrankungen. Die Zahlen sind beunruhigend: Mehr als 60.000 hitzebezogene Todesfälle wurden im Sommer 2022 in Europa verzeichnet, so Forschende des Barcelona Institute for Global Health (ISGlobal). Deutschland hatte nach Italien und Spanien mit mehr als 8.000 Toten die drittmeisten Hitzeopfer zu beklagen. Heiße Tage, tropische Nächte – besonders für Stadtbewohnende eine Herausforderung. Denn dort bilden Wärme speichernde Asphalt-, Beton- und Glasoberflächen Hitzeinseln. Otto: „Mehr Grün- und Wasserflächen sowie Stadtbäume gehören hier zu den wichtigsten Anpassungsmaßnahmen.“ Denn diese würden die lokalen Temperaturen um mehrere Grad senken. Allein wenn 30 Prozent einer städtischen Fläche mit Bäumen bedeckt wäre, könnte einer ISGlobal-Studie zufolge ein Drittel der durch Hitzeinseln verursachten Todesfälle vermieden werden.
Wissen um Gesundheitsrisiko könnte Akzeptanz für Klimaschutz erhöhen
Zudem ist nach Ottos Worten die Kombination mit Luftverschmutzung und extremer Hitze eine der Hauptursachen für die sogenannte Übersterblichkeit bei Hitzewellen. Die Professorin am Grantham Institute Climate Change and the Environment des Imperial College London sagt: „Wer Gesundheit und Lebensqualität einer Bevölkerung schützen will, sollte Autos aus den Innenstädten verbannen.“ In Zukunft möchte sie noch intensiver mit Forschenden aus dem Gesundheitswesen zusammenarbeiten. „Wir haben keine fundierten Erkenntnisse, wie viele Menschen global aufgrund des menschengemachten Klimawandels sterben. Das könnte man jedoch abschätzen“, so Otto.
Mehrheit der Deutschen für Anpassungen an die Klimakrise
Was makaber klingen mag, spielt eine große Rolle, um ins Handeln zu kommen. „Wenn die Leute verstehen, dass es ihnen an den Kragen geht, werden sie wahrscheinlich eher aktiv, als wenn die Eisbären sterben“, sagte etwa Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann in einem Interview mit dem Fachmagazin Deutsches Ärzteblatt. Sie ist Direktorin des Instituts für Umweltmedizin beim Helmholtz-Zentrum München und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung (WBGU). Mittlerweile hält die überwiegende Mehrheit der Deutschen Anpassungen an die bereits deutlich spürbare Klimakrise für notwendig, besagt die aktuelle Umweltbewusstseinsstudie des Umweltbundesamtes. Das deutsche Gesundheitsministerium will sich jetzt an dem seit rund 20 Jahren bestehenden Hitzeschutzplan Frankreichs orientieren.
Ökonomische Auswirkungen des Klimawandels besser bestimmen
Klimaforscherin Otto geht es um das Big Picture: Sie möchte der Gesellschaft die Kosten des Klimawandels zeigen. Bevor sie mit dem WWA-Team eine Studie in Angriff nimmt, wird von ihnen die Schwere eines extremen Wetterereignisses anhand von standardisierten Kriterien bestimmt. Diese sogenannten Trigger sind zusammen mit Rotkreuz-Mitarbeitenden entwickelt worden. Otto: „Bei Überschwemmungen ist zum Beispiel ein solcher Trigger, wenn mehr als 100 Menschen zu Tode kommen oder wenn mehr als eine Million Menschen oder mehr als 50 Prozent der Bevölkerung betroffen sind.“ Auch das Ausrufen eines nationalen Notstands kann nach ihren Worten dazu führen, „dass eine Studie in Betracht gezogen wird“.
World Weather Attribution-Teams listen Auswirkungen der Extremwetter auf
Die Studien des World Weather Attribution-Teams listen neben Todesopfern auch weitere Auswirkungen der Extremwetter auf. Ein Beispiel sind die Buschbrände in Südost-Australien 2019 bis 2020: „Etwa 5900 Gebäude wurden zerstört. Es wird geschätzt, dass zwischen 0,5 und 1,5 Milliarden Wildtiere sowie Zehntausende von Nutztieren ihr Leben verloren haben“, ist in der Einleitung der WWA-Studie zu lesen. Weiter heißt es: „Die Buschbrände haben wirtschaftliche Auswirkungen sowie unmittelbare und langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen, die dem Rauch ausgesetzt sind und mit den psychologischen Folgen der Brände zu kämpfen haben.“ Dazu Otto: „Wir möchten mehr mit Ökonomen zusammenarbeiten, um noch besser die finanziellen Kosten berechnen zu können.“ So wirken sich Dürren etwa auch auf Weizenernten sowie globale Getreide- und damit Nahrungsmittelpreise insgesamt aus. „Es wäre unglaublich machtvoll, wenn man diese Kosten tatsächlich quantifizieren würde“, sagt sie. „Dann wird auch deutlich, wie sehr es sich lohnen würde, den Klimawandel finanziell ernst zu nehmen.“ Ihr Ziel: „Ich möchte, dass Politik gemacht wird, die langfristig diese Kosten eindämmt.“
Finanzielle Hilfen für sogenannte Entwicklungsländer gezielt einsetzen
Gerechtigkeit gehört dabei zu Ottos Hauptanliegen: „Zu den besten Anpassungsmaßnahmen zählen Armutsbekämpfung, bessere Wohnungen für Menschen sowie ein Zugang zu Sozial- und Gesundheitssystemen. Das macht Menschen wirklich resilient.“ Besonders betroffen vom Klimawandel sind nach Angaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung „die Menschen in den Entwicklungsländern und unter ihnen wiederum die Verletzlichsten, etwa indigene Gemeinschaften, Kleinbäuerinnen und -bauern, Frauen, Kinder sowie alte und kranke Menschen“. Die von der Weltklimakonferenz 2022 beschlossene Einrichtung eines Fonds für Schäden und Verluste soll den am stärksten gefährdeten und von den Auswirkungen des Klimawandels am meisten betroffenen Ländern finanzielle Unterstützung gewähren. Doch nach Ottos Worten ist es zunächst wichtig, die genauen Ursachen der Schadensereignisse zu kennen, um die finanziellen Mittel passend einzusetzen. Otto nennt als ein Beispiel die Überschwemmung 2022 in Nigeria. „Dort gab es zwar extreme Niederschläge und ein großes Klimawandelsignal“, so die Klimawissenschaftlerin. „Aber der Grund für den Tod so vieler Menschen war tatsächlich ein geöffneter Staudamm, der zuvor als Anpassungsmaßnahme gebaut worden war.“ Die entsprechende WWA-Studie resümiert deshalb, die Wasserbewirtschaftung dringend zu verbessern und die Anfälligkeit für saisonale Niederschläge zu verringern. Wichtig sei dabei, dass nicht nur akute Schäden beseitigt, sondern auch langfristige Planungen ermöglicht werden, so Otto. Nach ihren Worten sollte auf gar keinen Fall weniger, sondern eher mehr gezahlt werden.
Werte wie Gesundheit, Zusammenhalt der Gesellschaft und Gerechtigkeit politisch fokussieren
Otto möchte noch genauer hinschauen. Einrichtungen wie der australische oder der Deutsche Wetterdienst könnten selbst Attributionsstudien nach dem WWA-Muster vornehmen. Das böte laut Otto die Chance, dass „wir uns mit World Weather Attribution zum einen auf die Ereignisse wie Stürme konzentrieren können, bei denen wissenschaftlich noch viel zu tun ist, und vor allem auf den Teil der Welt, wo den Wetterdiensten solche Kapazitäten fehlen.“ Ihr Anliegen: „Wir müssen Ideen hinterfragen, was ein gutes Leben ist. Dann kämen womöglich viele auch zur Erkenntnis, dass ein Auto oder ein Einfamilienhaus nicht unbedingt dazu gehören müssen.“ Vielmehr sollte sich die Politik nach Ottos Worten an Werten wie Gesundheit, gesellschaftlichem Zusammenhalt und Gerechtigkeit orientieren.
Text: Kerstin Heemann, Foto: mbruxelle-stock.adobe_.com