Die Physikerin und promovierte Philosophin Prof. Dr. Friederike Otto untersucht Extremwettereignisse. Dabei leitet sie vor allem eine Frage: Welchen Einfluss hat die Klimakrise auf die Geschehnisse? Die Ergebnisse der von ihr mitentwickelten Attributionsforschung liefert sie inzwischen annähernd in Echtzeit. Dafür erhält sie den Deutschen Umweltpreis 2023 der DBU.
Friederike Otto ist präsent. Als die Forscherin Ende Juli 2023 auf dem Bildschirm der Videokonferenz erscheint, wirkt sie hellwach und voll bei der Sache. Dabei ist das wieder „einer dieser Tage“ wie Otto sagt, nämlich einer, an dem sie sich vor Presseanfragen kaum retten kann. Denn Friederike Otto ist auch in den Medien präsent. Die 1982 in Kiel geborene Wissenschaftlerin arbeitet als senior lecturer, also als Professorin, am Grantham Institute Climate Change and the Environment des Imperial College London. Sie ist die Expertin, wenn es angesichts von Stürmen, Flutkatastrophen, Starkregen, Hitzewellen und Dürren um die Frage geht: Wären diese außerordentlichen Wetterphänomene ohne menschengemachten Tempertaturanstieg genauso wahrscheinlich?
Maßgebende Wissenschaftlerin
Die aktuellen Presseanfragen beziehen sich auf eine Studie zu den Hitzewellen in Nordamerika, Europa und China, die Otto und ihr Team gerade veröffentlicht haben. „Ohne den Klimawandel hätte es diese Hitze nicht gegeben“, macht Otto klar. „Derartige Ereignisse sind im heutigen Klima keine Extremereignisse mehr – in dem Sinne, dass sie extrem selten vorkommen. Es sind Ereignisse, mit denen wir schon jetzt im Schnitt mindestens alle zehn Jahre rechnen müssen.“ Um derartige Aussagen treffen zu können, vergleichen die Forschenden Simulationen des aktuellen Klimas mit denen eines Klimas, wie es ohne die menschengemachte Erderwärmung wäre.
Friederike Otto ist zudem eine Leitautorin des Sechsten Sachstandsberichtes des Weltklimarats (IPCC) und gehört zum zentralen Autorenteam des im Frühjahr 2023 erschienenen IPCC-Syntheseberichts. Das Fachmagazin Nature zählte sie im Jahr 2021 zu den zehn derzeit maßgebenden Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen der Welt. Im selben Jahr wurde sie vom Time Magazine in die Liste der 100 einflussreichsten Personen aufgenommen.
„Wollte Geschichte studieren“
Wie kommt man dazu, das Klima zu erforschen und sich für Wetterextreme zu interessieren? „Ich wollte nach der Schule Geschichte studieren. Dafür war aber mein Abitur zu schlecht“, erzählt Otto. Ihr Vater, selbst Naturwissenschaftler, ermutigte sie dazu, Physik zu studieren. Otto folgte seinem Rat – und studierte gleichzeitig Philosophie an der Universität Potsdam. Um nicht zwei gleichwertige Abschlüsse zu haben, entschied sie sich für ein Physikdiplom und eine Philosophie-Promotion in Wissenschaftstheorie an der Freien Universität Berlin. Wenn man sie heute sieht, mit Ponyfrisur, großen silbernen Ohrringen in Form von Doppeläxten, Piercing in der Augenbraue, pink-schwarz-karierter Jacke und bunten Perlenarmbändern, kann man sich die Schülerin und Studentin Friederike Otto noch gut vorstellen. Die Kopfhörer in den Ohren wären dann vielleicht nicht für die Videokonferenz sondern zum Musikhören.
Ergebnis der Jobsuche: „Nicht einstellbar“
Nach dem erfolgreichen Studium mit der ungewöhnlichen Fächerkombination folgte für Otto eine ernüchternde Erfahrung: „Ich war in Deutschland nicht einstellbar. Ich bin nie auch nur zum Bewerbungsgespräch eingeladen worden.“ Ihr Fazit: Dann eben nicht in Deutschland. Im Jahr 2011 wird Friederike Otto Postdoc an der Universität Oxford und übernimmt nach drei Jahren die Stelle der stellvertretenden Direktorin des Environmental Change Institute, die sie bis 2021 innehat. In Oxford kommt sie mit der Attributionsforschung in Kontakt. Ihre erste Zuordnungsstudie zu einer Hitzewelle im Westen Russlands im Jahr 2010 veröffentlichte sie nach dem üblichen wissenschaftlichen Peer-Review-Prozess 2012, also erst zwei Jahre nach dem Ereignis.
Veröffentlichungen ohne Verzögerung
Im Jahr 2014 erhielt Otto dann einen Hinweis, der der Attributionsforschung buchstäblich neuen Schwung verlieh: „Was ihr macht, könnte bahnbrechend sein, um die öffentliche Diskussion um den Klimawandel voranzubringen – könnt ihr das nicht schneller machen?“, fragte die Ozeanografin und Leiterin der US-amerikanischen Umweltorganisation Climate Central, Heidi Cullen. Damit schlug die Geburtsstunde eines neuen Wissenschaftszweiges: Zusammen mit dem inzwischen verstorbenen niederländischen Klimatologen und Physiker Prof. Dr. Geert Jan van Oldenborgh begründete Otto 2015 die World Weather Attribution Initiative (WWA). Sie entwickelte Methoden, die es ermöglichen, Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Extremwetter herzustellen – und zwar so schnell, dass die Extremereignisse und ihre für die Bevölkerung oft katastrophalen Folgen noch im Gespräch sind, wenn die Ergebnisse veröffentlicht werden. Die höhere Geschwindigkeit erlauben sich die Forschenden, weil bereits wissenschaftlich fundierte Methoden für die Studien verwendet werden. Später erst folgt der wissenschaftliche Peer-Review-Prozess. Was heute etabliert ist, brach damals mit der Wissenschaftstradition und erntete die Kritik der Forschungsgemeinschaft. Zudem musste die junge WWA-Organisation von 2017 bis 2021 eine Finanzierungslücke überstehen.
Schulbildung statt Staudämme
Trotz dieser Herausforderungen macht Otto weiter – mit einer Strategie, die sie ihre Reputation als Wissenschaftlerin hätte kosten können. „Für mich war es nie die Idee, Karriere in der Wissenschaft zu machen. Ich möchte etwas Sinnvolles machen, mit meinen Fähigkeiten einen sinnvollen Beitrag zur Gesellschaft leisten“, sagt Otto. „Das Ganze war eine Chance, etwas auszuprobieren. Wenn es schief gegangen wäre, dann hätte ich halt etwas anderes gemacht.“ Auch heute ist sie sich bewusst: „Was wir sagen, muss robust sein. Wir dürfen keine großen Fehler machen.“ Sonst stünde der Forschungszweig der Attributionsforschung sofort wieder in der Kritik.
Und diese Ergebnisse sind Otto nicht nur in wissenschaftlicher Hinsicht wichtig, sondern aus einem ganz praktischen Grund: Sie helfen, die wahren Ursachen für Extremwetterlagen und ihre Folgen wie humanitäre Katastrophen zu finden und daraus zu lernen – seien es nun die Klimakrise, das Missmanagement von Regierungen oder eine mangelhafte Vorwarnung der Bevölkerung. Darum spricht Friederike Otto sich nicht nur für eine Abkehr von fossilen Brennstoffen sowie Klimaanpassungen wie Schwammstadtkonzepte und Hitzeaktionspläne aus, sondern vor allem für ein Verbessern menschlicher Lebensumstände: „Reduzieren von Armut, bessere Wohnungen, Zugang zu Sozialsystemen, das ist es, was Menschen wirklich resilient macht und meistens nicht Ingenieurskunst.“ Manchmal kann es laut Otto sinnvoller sein, die Schulbildung zu verbessern anstatt Staudämme zu bauen.
Was ist ein gutes Leben?
Hier kommt auch die Philosophin in Friederike Otto wieder zum Tragen: „Das Wichtigste, was wir alle machen müssen, ist, zu hinterfragen, was ein gutes Leben ist. Ist wirklich ein schnelles Auto das Wichtigste und ein Einfamilienhaus entscheidend – als wäre Gesundheit egal, als wäre der Zusammenhalt der Gesellschaft egal, Ungleichheit egal?“
Otto sind diese Dinge nicht egal. Und wie motiviert sie sich, immer weiter gegen die Klimakrise zu kämpfen und sich für ihre Werte einzusetzen? „Ich stehe morgens auf und gehe eine Stunde laufen. Dann kann ich meine Botschaften wiederholen – wie eine kaputte Schallplatte“, sagt sie mit einem Augenzwinkern. Und fügt ernst hinzu: „Ich denke, wir haben mit der Arbeit von World Weather Attribution erreicht, dass in den Medien anders über Extremwetterereignisse gesprochen wird. Wir können immer wieder zeigen, welche Rolle der Klimawandel spielt. Die Politik hat sich noch nicht verändert und die Maßnahmen auch noch nicht. Aber zumindest die Diskussion. Das heißt, dass es etwas bringt, was wir machen.“
Lebenslauf von Prof. Dr. Friederike OttoText: Verena Menz, Titelbild: guy@strikingfaces