Ein Besuch bei Umweltpreisträgerin Dagmar Fritz-Kramer in ihrem Allgäuer Betrieb Bau-Fritz GmbH & Co. KG, kurz Baufritz, in Erkheim zeigt: Es geht. Veränderungen in der Baubranche, hin zu mehr Nachhaltigkeit und Ressourcenschutz sind möglich. Dazu braucht es aber Mut, Kreativität und vor allem Leidenschaft. Dagmar Fritz-Kramer bringt diese Eigenschaften mit und mehr als das: Die 52-Jährige sprüht vor Energie und Lebenslust. Keine Idee ist ihr zu absurd – ob eine Badewanne aus Holz oder ein Hausboot auf der Themse – ausprobieren ist die Devise, scheitern kein Drama. Und sie hat Spaß an dem, was sie tut. Seit 2004 ist die zweifache Mutter geschäftsführende Gesellschafterin im Allgäuer Familienbetrieb, in dem rund 500 Mitarbeitende tätig sind. Im Interview erzählt sie von den Anfängen als junge Geschäftsführerin bei Baufritz, in einer von Männern dominierten Baubranche, von ihrer resoluten Oma, und wie es ist, als Teenager auf dem Dorf zu den ersten Ökos zu gehören.
Frau Fritz-Kramer, bei Neubau, Sanierungen und Aufstockungen setzen Sie bei Baufritz fast ausschließlich auf den Baustoff Holz. Warum ist Holz für Sie so besonders?
Wenn man sich die Statik von einem Baum anschaut, sieht man, dass sie mit ganz wenig Material funktioniert. Das finde ich schon sehr faszinierend. Er hat auch den ganz großen Vorteil, dass er sich selbst versorgt. Das Vorbild aus der Natur ist bisher unerreicht. Holz ist ein Hightech-Baustoff, den man individuell bearbeiten und schöne Dinge daraus entwerfen kann. Holz riecht toll, fühlt sich gut an. Es atmet, nimmt Feuchtigkeit auf und gibt sie ab. Das Ergebnis: eine ganz natürliche Feuchtigkeitsregulierung, wie sie künstlich gar nicht möglich wäre. Das Raumklima lässt uns aufleben – so wohltuend wie ein Waldspaziergang.
Wohlbefinden ist bei Ihnen in der Firmenphilosophie fest verankert. Was hat Holzbau mit Gesundheit zu tun?
Ganz viel. Holz ist ein naturreiner Baustoff. Bei Baufritz wollen wir möglichst pure Baustoffe verwenden. Das hat den großen Vorteil, dass wir wissen, was aus den Baustoffen emittiert wird. Wir prüfen unsere Baustoffe, bevor wir sie verwenden. Leider gibt es mittlerweile sehr viele Verbundstoffe im Bauwesen, die gesundheitsschädliche Emissionen abgeben, die wir in Wohnräumen nicht haben wollen. Wir prüfen jedes Gebäude von uns auf Luftschadstoffe wie Formaldehyd oder Radon. So können wir unseren Kundinnen und Kunden eine Garantie geben, dass sie in gesunder Luft wohnen.
Sie sind ins Unternehmen hineingeboren worden. War das eher eine Leidenschaft oder eine Last?
Beides (lacht). Ehrlich gesagt ist es schon eine große Freude, denn ich darf mich mit vielen schönen Dingen beschäftigen. Die Menschen, denen wir begegnen, sind in der Regel in einer besonderen Lebensphase. Wenn man ein neues Haus baut, wenn man ein Haus renoviert, dann richtet man den Blick nach vorne in Richtung Zukunft und bringt eine gewisse Vorfreude mit. Was ist nachhaltiger, als ein Gebäude zu bauen, was dann viele Jahre Menschen beherbergen darf? Es ist wirklich ein schöner Beruf.
Sieht man das auch als Teenager so?
Also für mich war es damals alles sehr peinlich. In meiner Jugend gab es die erste Ökowelle und wir waren die Hardcore-Ökos im Dorf – mit Jutebeutel, statt Plastiktüte, mit Klärteich im Garten und schwarzen Schläuchen auf dem Dach, um unser Wasser zu erwärmen. Das haben nicht alle Menschen in unserer Umgebung spannend gefunden. Also ich fand das ganze Ökothema von meiner Familie damals wirklich peinlich. Wobei ich schon überzeugt war, dass es für mich in die richtige Richtung geht.
Sie haben sich also schon früh mit dem Gedanken angefreundet, den elterlichen Betrieb zu übernehmen?
Ja, auf jeden Fall. Obwohl ich erst etwas ganz anderes vorhatte. Ich habe Innenarchitektur studiert und hätte sehr gerne einen schönen Einrichtungsladen in München gehabt. Dann hat mein Papa mir im Zuge meines Studiums ein paar Projekte in den Semesterferien zugeschanzt. Ich habe zum Beispiel Musterhäuser einrichten dürfen oder den Holzkopf (Anm.: Anlässlich des 100-jährigen Firmenjubiläums wurde ein fünfgeschossiger Holzkopfbau entworfen und gebaut) auf unserem Gelände mit einem Künstler entworfen. Das waren echt tolle Projekte, die mir viel Spaß gemacht haben. Gleichzeitig sind wir in der Zeit als Betrieb stark gewachsen, viele junge Leute kamen in den Betrieb. Das sind hier im Allgäu natürlich Menschen, die ich kenne, sodass mein halber Freundeskreis in unserem Betrieb beschäftigt war. Und so hat alles seinen Lauf genommen. Ich habe nicht mehr loslassen können und wollte mitgestalten.
Das war ein mutiger Schritt, oder?
Ja, ich hatte anfangs Sorge um das ganze betriebswirtschaftliche Thema. Das Technische und Gestalterische war mir klar, doch das Betriebswirtschaftliche war von außen viel trocken Brot für mich. Ich habe dann berufsbegleitend noch Wirtschaftsingenieurwesen studiert und habe dann gemerkt, dass es auch ganz kreativ sein kann. Irgendwann habe ich meinem Papa gesagt: „Ich traue mir den Planungs- und den Architekturbereich auf jeden Fall zu. Und ich glaube, ich würde mir auch die Geschäftsführung zutrauen.“
Hatten Sie Respekt vor der Verantwortung?
Ja, das hatte ich. Wir haben die Geschäftsführung dann erst mal zu zweit gemacht. Was für mich sehr hilfreich war, dass wir einen technischen Geschäftsführer hatten, der schon die Geschäftsführung mit meinem Papa geleitet hatte. Dieser langjährige Kollege hat mich als junge Frau sehr unterstützt, an die Hand genommen, aber auch wachsen lassen. Er war ein wichtiges Bindeglied zwischen meinem Vater und mir. Er kannte alle Strukturen, auch als mein Vater dann aus der Firma ausgeschieden ist. Das war für alle – auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – ein sehr guter Übergang.
Wie war es für Sie als junge Frau im väterlichen Betrieb einzusteigen?
Als Frau in einem Baubetrieb, war ich schon sehr exotisch. Der Betrieb und die Mitarbeitenden, die haben den Führungswechsel gar nicht hinterfragt. Wir hatten immer schon eine recht hohe Frauenquote – jetzt 33 Prozent – damals schon 20 Prozent. Das war damals sehr erstaunlich für einen Baubetrieb. Ich wollte immer Kinder haben, Erkheim hat keine Kita, also haben wir selbst eine gegründet. Wir haben Unterstützung dafür vom Land Bayern bekommen und wurden dann eine Außenstelle des Kindergartens in Erkheim.
Wo haben Sie besonders gemerkt, dass Sie als Frau eine Exotin sind?
Vor allem von außen.Wir hatten mal eine Diskussionsrunde mit der Politik. Da war ein Herr dabei, der mich von der Seite ansprach und fragte: „Verstehen Sie etwas vom Bauen?“ Da habe ich nur gedacht: „Ich glaube nicht, dass du so viel vom Holzbau verstehst wie ich.“ Das fand ich wirklich unmöglich. Oder wenn ich bei den Forstwirten oder den Sägern war, da wurde ich schon komisch angesehen. Irgendwann lernt man, sich zu behaupten. Ich glaube, heute ist das nicht mehr so. Aber ich musste damals fachlich schon deutlich besser sein als meine männlichen Kollegen. Da durfte ich keine Schwächen zeigen und musste eine kleine Männerrolle einnehmen, um akzeptiert zu werden.
Haben Sie eigentlich ein Vorbild?
Ja, ich habe ein Vorbild: Das ist meine Oma. Ihr Mann ist im Krieg vermisst geblieben. Und sie musste sich mit ihren zwei kleinen Mädchen selbst durchschlagen. Sie hat ganz allein eine Geflügelzucht aufgebaut, mit einem integrierten Café. Dort gab es die Frühstückseier zu essen. Sie war eine Unternehmerin der Nachkriegszeit mit sehr viel Mut. Sie ist hier im Ort das erste Auto gefahren – es war also kein Mann, der das erste Auto im Ort fuhr, sondern meine Oma. Ohne Führerschein. Denn damals ist man davon ausgegangen, wenn man sich ein Auto leisten konnte, dann hatte man auch einen Führerschein. Damit hat sie dann ihre Eier ausgeliefert. Sie war wirklich eine echte Unternehmerin mit allen Risiken, die es gab. Sie ist mit ihren beiden Mädels jedes Jahr in den Urlaub nach Italien gefahren und sie hatte die ersten kurzen Haare in ihrem Freundeskreis. Kurzum: Sie war eine ganz Wilde (lacht).
Sie sind Innenarchitektin und Wirtschaftswissenschaftlerin, was sind sie mehr?
Ich kann sagen, was ich lieber bin: Vom Herzen her bin ich eher die Architektin, aber ich habe Betriebswirtschaft auch zu schätzen gelernt, denn eigentlich gehört ja beides zusammen. Wir können ja nicht nur Schlösser entwerfen. Am Ende muss ein gutes Gebäude bezahlbar sein.
In beiden Disziplinen spielen die Faktoren Nachhaltigkeit und Ressourcenschutz mehr und mehr eine Rolle. Da hat sich die Forschung und Lehre im Laufe der Jahre verändert und es ist zum Glück einiges passiert.
Sie arbeiten viel mit jungen Forschenden zusammen. Warum?
Die Zusammenarbeit macht mir sehr viel Spaß. Es gibt ganz aktuell aufgrund der Bauwende viele Start-ups, die sich mit Ressourcenschutz im Baubereich beschäftigen und spannende Ideen haben. Auch unsere Lehrlinge – das sind so tolle junge Menschen. Da habe ich gar keine Zweifel, dass die es als Generation Z nicht packen. Ganz im Gegenteil. Die werden sicher was bewegen.
Im Baubereich muss sich einiges ändern, damit wir unsere Klimaziele erreichen. Haben Sie Hoffnungen, dass sich in der Branche zügig etwas bewegt?
Das wird nach meiner Einschätzung noch eine große Herausforderung. Ehrlich gesagt, braucht es ganz viel Mut. Wenn man einfach mal etwas ausprobiert, dann passiert auch etwas – es gibt aber keine hundertprozentige Sicherheit, dass es am Ende wirklich funktioniert. Diesen Geist des Wandels braucht es in allen Köpfen, damit wir etwas bewegen. Das kann nicht nur von der Politik ausgehen, da müssen alle mitmachen.
Seit Anfang der 80er-Jahren ist das Familienunternehmen Baufritz aus dem Allgäu im Bereich nachhaltiges Bauen unterwegs und gilt in der gesamten Branche als Vorreiter beim ökologischen Holzbau, aber auch bezüglich der Kreislaufführung von Materialien und Energieeffizienz. Längst patentiert und vielfach bewährt ist beispielsweise die in den Baufritz-Häusern verwendete Dämmung aus Holzspänen, eigentlich einem Abfallprodukt aus der Produktion. Hubert Fritz, der Vater von Dagmar-Fritz-Kramer und ehemaliger Geschäftsführer, ist der Erfinder des einzigen europaweit zertifizierte cradle-to-cradle Dämmstoffs. Für die Häuser besteht eine Rücknahmeverpflichtung, sodass die Materialien im Kreislauf geführt werden können. Weitere Infos hier
Text: Kathrin Pohlmann, Titelbild: Dreger/ DBU