„Nasse Moore spielen beim natürlichen Klimaschutz eine besonders wichtige Rolle als Kohlenstoffsenke mit höchstem Technologie-Reifegrad“, erklärt Dr. Franziska Tanneberger, Co-Leiterin des Greifswald Moor Centrums (GMC) beim Besuch in Mecklenburg-Vorpommern. Sie ist eine der weltweit einflussreichsten Moorforscher*innen und Brückenbauerin zwischen Wissenschaft, Politik und Landwirtschaft. Am 27. Oktober wird sie in Mainz mit dem Deutschen Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt ausgezeichnet.
Einen Namen hat sich Tanneberger unter anderem als Teilnehmerin auf den Weltklimakonferenzen (COP) gemacht – zuletzt im vergangenen Jahr in Dubai, aber auch schon auf der COP 2021 in Glasgow. Damals lockte die am Greifswald Moor Centrum erstellte Weltmoorkarte des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (Unep) zahlreiche Gäste des Gipfels an.
Tanneberger führte viele persönliche Gespräche, etwa mit dem Moorbeauftragten der Demokratischen Republik Kongo. Dort und in anderen Ländern Afrikas sind Moore aktuell von Entwässerungsmaßnahmen für die Landwirtschaft gefährdet. „Besonders stark haben aber wir in Europa unsere Moore entwässert und geschädigt“, sagt Tanneberger. Zahlen dazu hat sie zusammen mit vielen anderen Moorkundigen im Global Peatlands Assessment zusammengestellt. „Nasse Landwirtschaft ist ein Schlüssel zu Moorschutz – und somit zu natürlichem Klimaschutz“, sagt sie. Dieser sei „eine echte Option für das Erreichen der Klimaziele“. Neben der Forschung geht es laut Tanneberger auch um das Vermitteln positiver Zukunftsbilder zum Umgang mit nassen Mooren, das Verbessern von rechtlichen Rahmenbedingungen und wirtschaftliche Perspektiven für Menschen in Moor-Regionen – aus ihrer Sicht enorm wichtig, „um wirklich zu langfristig tragfähigen Lösungen für unseren Umgang mit Mooren zu kommen“.
Der Seggenrohrsänger hat Gewicht im Leben Tannebergers
Zurück nach Greifswald. Vom Bahnhof führt ein kurzer Fußweg zu einem ehemaligen Klinikgelände mit hohen Backsteingebäuden. Dort ist die Wirkungsstätte der habilitierten Wissenschaftlerin: das Greifswald Moor Centrum, das sie zusammen mit ihrer Kollegin, der Biologin Dr. Greta Gaudigleitet. Es ist eine Kooperation zwischen Universität Greifswald, Michael Succow Stiftung und dem Verein „Duene“. Rund 100 Mitarbeitende arbeiten kooperativ und kreativ an der Schnittstelle von Forschung, Politik und Praxis zum Thema Moor.
An der Tür zu Tannebergers Büro hängt ein Poster. Es zeigt einen Seggenrohrsänger in Übergröße. Der in Wirklichkeit nur rund zwölf Zentimeter kleine und zwölf Gramm leichte Singvogel hat ein beträchtliches Gewicht im Leben Tannebergers: Die Doktorarbeit über ihn war der Beginn ihrer wissenschaftlichen Karriere und festigte ihre Leidenschaft fürs Thema Moor. Denn laut Tanneberger „kommt der wunderschön singende Vogel nur in Mooren vor und ist eng an diesen Lebensraum gebunden“. Wird das Moor entwässert, geht auch seine Stimme verloren.
Rohrkolben als Hoffnungsträger nasser Moornutzung
In Deutschland sei es schon zu spät, denn hier ist er bereits ausgestorben. Umgekehrt heißt das: Moorschutz ist Klima- und Biodiversitätsschutz zugleich. Mehr noch: „Es gibt wichtige Synergieeffekte.“ Nasse Moore dienen als Wasserspeicher, kühlen die Luft, reinigen Wasser und sorgen für einen gesunden Nährstoffhaushalt. „Sie leisten viele Dienste für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen“, so Tanneberger.
Auf dem Gelände der Universität Greifswald stehen große, schwarze Pflanzkübel, darin wachsen Rohrkolben. Mit modernster digitaler Technik werden wissenschaftliche Daten erhoben wie etwa Blattwachstum, Verdunstungsleistung und Gasflüsse. Tanneberger zeigt auf die Fläche eines abgeschnittenen Stängels: „Hier sieht man die Luftkammern. Sie sind der Grund, warum sich Rohrkolben gut als Dämmmaterial für Häuser eignen.“ Die typischen Moorpflanzen gehören zu den Hoffnungsträgern einer künftig umweltfreundlichen und wirtschaftlich rentablen Nutzung nasser Moore. Tanneberger setzt sich unter anderem bei Landwirtinnen und Landwirten dafür ein. Die sogenannte „Paludikultur“ stehe zwar noch am Anfang, „derzeit werden aber endlich großflächig Modellprojekte auf vielen Hundert Hektar in Deutschland umgesetzt, und durch die ‚PaludiZentrale‘ umfassend wissenschaftlich begleitet.“
Gespräche mit Menschen liegen ihr am Herzen
Parallel wird laut Tanneberger eine Nachfrage-Allianz, die sogenannte ‚PaludiAllianz‘ aufgebaut, in der 14 große Unternehmen eigene Paludikultur-Pilotprodukte entwickeln. In beiden Projekten ist sie Teil der Projektleitung. „Eine Verbindung zwischen dem Globalen und Lokalen ist immer ein großer Spagat“, sagt sie. Beides habe aber auch verstärkende Effekte. Dabei liegen ihr die Gespräche mit den Menschen vor Ort sehr am Herzen. Tanneberger: „Ich beantworte nicht jeden Telefonanruf, aber wenn sich ein Landwirt oder eine Landwirtin meldet, rufe ich immer zurück.“
Ein paar Videoaufnahmen im Freien vor dem nahegelegenen Küstenmoor schließen den Besuch ab. Die flache vorwiegend grüne Landschaft verleiht mit der angrenzenden Ostsee und dem blauen Himmel ein Gefühl der Weite. In der Abendsonne wiegen sich die Grashalme bei leichtem Wind wie sanfte Wellen, in der Ferne muht eine Kuh, eine Vogelschar beeindruckt mit synchronen Flugformationen – ein echter Erholungsort nahe der rund 54.000-Einwohner-Stadt Greifswald. Tannebergers Stimme ist ruhig und stark. Sie redet mit klaren Worten – und doch flink. Aber das passt durchaus zu ihrer Mission und dem Slogan des GMC: Moor muss nass und nass muss schnell.
Text: Kerstin Heemann