Die Entdeckung, Benennung und Klassifizierung der gesamten Biodiversität unserer Erde ist das fundamentale Ziel der Taxonomie. Eine wissenschaftliche Artbeschreibung umfasst die Vergabe eines wissenschaftlichen Namens und die Beschreibung von diagnostischen Merkmalen, die die Art eindeutig von nah verwandten Arten abgrenzt. Diese genaue Artabgrenzung bildet die Grundlage für aufbauende Studien, Biodiversitätsforschung und insbesondere den Schutz der Arten.
Von einer vollständigen Inventarisierung aller Lebewesen sind wir heutzutage noch weit entfernt. Bisher sind weltweit über 1,5 Mio. Arten beschrieben. Schätzungen gehen allerdings von einer weit höheren Gesamtzahl, nämlich 5-8 Mio. Arten aus. Insbesondere von den Insekten, die mit über 1 Mio. beschriebenen Arten die artenreichste Organismengruppe der Erde bilden, sind noch unzählige Arten unbekannt.
Insekten sind nicht nur besonders artendivers, sondern auch oftmals stark bedroht. Klimawandel, Zerstörung von Habitaten und Umweltverschmutzung gefährden in einem noch nie da gewesenen Tempo eine Vielzahl von Arten. Diese könnten aussterben, bevor wir von ihrer Existenz erfahren. Durch ihr Verschwinden werden Nahrungsnetzwerke destabilisiert und wichtige Ökosystemfunktionen wie Bestäubung und Parasitismus gehen verloren. Aus diesem Grund sollte eine zügige und effiziente Erfassung möglichst vieler unbeschriebener Insektenarten eine Top-Priorität der modernen Taxonomie bilden.
In dem hier vorgestellten Promotionsprojekt soll ein standardisierter und leicht reproduzierbarer Arbeitsablauf für eine zügige und detaillierte Beschreibung neuer Insektenarten entwickelt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, werden integrative Taxonomie, moderne nichtinvasive Untersuchungsmethoden und Cybertaxonomie miteinander kombiniert. Der taxonomische Workflow wird an Vertretern mehrerer Insektenordnungen erarbeitet. Dies soll gewährleisten, dass der Workflow auf ein möglichst breites Artenspektrum von Insekten anwendbar ist und helfen, die Morphologie der Gruppen besser zu verstehen.
Die Grundlage dieses Workflows bildet ein Protokoll zur effizienten Erfassung bestimmungsrelevanter morphologischer Merkmale. Dieses wird an Vertretern der Fächerflügler (Strepsiptera), einem für die Wissenschaft wichtigen Modellorganismus dem Rotbraunen Reismehlkäfer (Tribolium castaneum) und an Bernsteinfossilien aus den Gruppen der Ameisen (Formicidae), Käfern (Coleoptera) und Staubläusen (Psocodea) erarbeitet. Hierbei kommen verschiedene moderne Bildgebungsverfahren der Morphologie zum Einsatz. Mit Microcomputertomografie werden 3D-Modelle aller Tiere erstellt, Konfokale Laserscanningmikroskopie wird eingesetzt um die miniaturisierten Primärlarven der Fächerflügler aufzunehmen, Details der Körperoberfläche werden mit Rasterelektronenmikroskopie dokumentiert.
Der Einsatz nicht invasiver Methoden stellt eine effiziente und schonende Nutzung von wertvollen und in vielen Fällen seltenen Sammlungsexemplaren sicher. Anschließend soll das ausgearbeitete Protokoll mit der molekulartaxonomischen Methode des DNA-Barcoding in einem integrativen taxonomischen Workflow verbunden werden, um bisher unbeschriebene Arten der Fächerflügler (Strepsiptera) neu zu beschreiben und bestehende Verwandschaftshypothesen neu zu bewerten. Konkret soll eine neue Strepsipterenart der Gattung Halictophagus beschrieben und die Gattung einer Revesion (Neubewertung der Verwandschaftsverhältnisse ) unterzogen werden.
Die Kombination von morphologischen und molekularen Methoden soll hierbei die Objektivität und Genauigkeit der Artabgrenzung maximieren. Abschließend werden die Daten aus allen Teilprojekten in freizugängliche Onlinedatenbanken eingespeist. Dies ermöglicht es anderen Wissenschaftler*innen für aufbauende Studien leicht auf die Daten zuzugreifen und vernetzt das neu gewonnene Wissen mit bereits bestehendem.
Durch die Synthese der verschiedenen Methoden und Vorgehensweisen soll mit diesem Projekt ein wichtiger Beitrag zur zügigen und detailreichen Erfassung der Artenvielfalt unseres Planeten geleistet werden. Dies macht moderne Taxonomie zu einem wertvollen Werkzeug im Kampf gegen das weltweite Artensterben.