Die Bundesregierung und die Europäische Union streben im Rahmen des Pariser Klimaschutzabkommens die weitgehende Treibhausgasneutralität bis zur Mitte des Jahrhunderts an. Eine zentrale Maßnahme zur Erreichung der Klimaschutzziele ist dabei der Umstieg weg von der Verbrennung fossiler Energieträger hin zur Stromgewinnung aus Erneuerbaren Energien. Neben dem Wandel in der Energieerzeugung steht zeitgleich ein Umbau der städtischen Energieversorgungsnetze an, denn die klimafreundlich erzeugte Energie muss in Form von Wärme und Strom auch bei den Verbraucher*innen vor Ort ankommen.
Bei der strategischen Planung städtischer Netzinfrastruktur kann die Mathematik durch ihre Modellierungs- und Optimierungsansätze gesellschaftliche Akteure signifikant unterstützen, um schließlich zu einer kostengünstigen und sozial akzeptierten Lösung zu kommen. Die Modellierung führt aber auf mathematischer Ebene zu einer sehr komplizierten Optimierungsaufgabe: Neben stetigen Variablen, die z.B. den Stromfluss in elektrischen Leitungen modellieren, treten binäre Variablen auf, die beispielsweise Entscheidungen über das Verlegen neuer Leitungen repräsentieren. Auf Grund physikalischer Gesetze kommen zusätzlich nichtlineare und nichtkonvexe Nebenbedingungen vor, wodurch mehrere lokale Minima existieren können. Daher ist eine globale Lösung für das resultierende nichtkonvexe, gemischt-ganzzahlige und nichtlineare Optimierungsproblem in der Regel schwer oder nur nach sehr langen Rechenzeiten zu ermitteln.
Das Ziel dieses Dissertationsprojekts ist also, neue mathematische Methoden für die Optimierung von Energieversorgungsnetzen zu entwickeln, insbesondere im Umgang mit den herausfordernden nichtlinearen und nichtkonvexen Nebenbedingungen. Daher soll die Optimierungsaufgabe von einem neuen, nämlich algebraischen Standpunkt aus betrachtet werden. Mit Hilfe der Polynomialen Optimierung aus der Reellen Algebraischen Geometrie wird ein globaler Optimierungsansatz für die Lösung von nichtkonvexen und nichtlinearen Problemen verfolgt. Allerdings wird bei der Betrachtung realer Netzwerke das Lösen des nichtkonvexen, gemischt-ganzzahligen und nichtlinearen Optimierungsproblems durch das Auftreten tausender Variablen und Nebenbedingungen zusätzlich deutlich erschwert. Jüngste Forschungen lassen hierbei aber eine erfolgreiche Anwendung erwarten.
In diesem Dissertationsprojekt sollen daher zunächst die Methoden der Polynomialen Optimierung für die Optimierung von Energieversorgungsnetzen implementiert und mit bisherigen Lösungsstrategien auf ihre Effizienz hin verglichen werden. Anschließend soll untersucht werden, inwiefern sich bestehende Verfahren für gemischt-ganzzahlige und nichtlineare Optimierungsprobleme mit der Polynomialen Optimierung kombinieren lassen. Dabei besteht die Erwartung, die mathematischen Methoden über die konkrete Anwendung auf Energienetzwerke hinaus auch für allgemeinere nichtkonvexe, gemischt-ganzzahlige und nichtlineare Optimierungsprobleme zu verbessern. Ferner sollen die bestehenden Netzwerkmodelle erweitert werden, beispielsweise durch die Hinzunahme weiterer Energieträger oder die Berücksichtigung der Energieerzeugung.
Die gewonnenen Erkenntnisse werden an realen Daten für Stadtteile von Konstanz getestet. Anhand des Konstanzer Energienetzwerks soll exemplarisch gezeigt werden, dass die entwickelten mathematischen Methoden einen signifikanten Beitrag zur strategischen Planung städtischer Netzinfrastruktur und somit zur Verringerung der Treibhausgasemissionen leisten können. Die mathematischen Erkenntnisse lassen sich anschließend auf beliebige Städte im Bereich der Energienetzwerkoptimierung übertragen. Perspektivisch bietet sich außerdem eine Anwendung auf Verkehrs- oder Telekommunikationsnetze an.