Vorhaben
Beim Betrieb von Kraftfahrzeugen kommt es aufgrund der Reibung zwischen Reifen- und Fahrbahnoberfläche zur Partikelablösung, dem sogenannten Reifenabrieb. Neusten Studien zufolge stellt diese Form von Mikroplastik weltweit eine der größten Quellen partikulärer Umweltkontamination dar. Allein in Deutschland werden jährlich mehr als 110.000 t emittiert, Tendenz steigend. Ein nicht unerheblicher Teil der Partikel wird letztlich in limnische und marine Gewässer eingetragen. Trotz der nachweislich großen partikulären und chemischen Umweltbelastung durch Reifenabrieb existieren insbesondere für aquatische Ökosysteme bisher kaum gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse bezüglich dessen Persistenz sowie den wirkenden Zersetzungs- und Degradationsmechanismen.
Ziel der Arbeit ist es daher, die wesentlichen Faktoren für den mechanischen, chemischen und biologischen Abbauvorgang von Reifenabrieb in aquatischer Umgebung zu identifizieren. Neben dem Einfluss der Materialrezeptur (z.B. Kautschukart, Antioxidantien, Füllstoffe etc.) soll dabei auch der Einfluss verschiedener Umweltbedingungen (z.B. Wassertemperatur, Licht, mechanische Beanspruchung etc.) sowie der Einfluss der Partikelmorphologie (z.B. Partikelgröße) untersucht werden. Ein weiteres Ziel ist die Identifikation von Gummimischungen, die verbesserte Eigenschaften hinsichtlich des Abbauverhaltens sowie potentiell toxischer Effekte des Abriebs aufweisen. Mit Hilfe der gewonnenen Erkenntnisse kann das Wissen über die Zusammenhänge von mikrostrukturellem Aufbau und wirksamen Zersetzungsmechanismen der Abriebpartikel in Abhängigkeit von den Umgebungsbedingungen in aquatischen Ökosystemen maßgeblich erweitert werden.
Im Rahmen des Vorhabens wird dazu das Degradationsverhalten von Reifenabrieb in aquatischer Umgebung anhand von systematischen Abbauexperimenten unter Synthetisierung natürlicher Umweltbedingungen untersucht. Hierzu wird Reifenabrieb mit definierten Eigenschaften künstlich erzeugt. Mit Hilfe manometrischer Respirationstests wird zunächst die biologische Abbaubarkeit innerhalb geschlossener Flaschensysteme untersucht. Weiterführend erfolgen aufskalierte offene Degradationsexperimente in Form sogenannter Mikrokosmen, in denen insbesondere die Desintegration, d. h. die mechanisch bedingte Zerkleinerung der Abriebpartikel aufgrund ihrer Wechselwirkung mit dem bewegten wässrigen Medium und dem Sediment untersucht wird. Darüber hinaus wird mit Hilfe des Systems gezielt das biologische, chemische und mechanische Abbauverhalten bei realitätsnaher Überlagerung bestimmter Einflussgrößen (Licht, Temperatur, mechanische Abrasion) ermittelt. Der Degradationsfortschritt in den Abbauexperimenten soll anhand von bildgebenden- und polymer-chemischen Analysen untersucht werden.
Die Untersuchungen sollen letztlich dazu beitragen Abbauraten von Reifenabrieb unter verschiedenen Rahmenbedingungen zu ermitteln. Erst wenn die Zerfallskinetik der Abriebpartikel bekannt ist, kann zuverlässig prognostiziert werden wie lange und in welcher Form diese Partikel in unterschiedlichen Umweltkompartiment verbleiben. Darüber hinaus wird ein entscheidender Beitrag zur Entwicklung von Fahrzeugreifen geleistet, die sowohl aufgrund ihrer Materialzusammensetzung und dem Reifendesign als auch aufgrund der Quantität und Morphologie der freigesetzten Partikel zu einer Reduzierung der umweltschädlichen Auswirkungen durch Reifenabrieb führen.
Erste Ergebnisse
Im bisherigen Verlauf der Arbeit konnten bereits viele der gesetzten Meilensteine des Projekts erfolgreich umgesetzt werden. Neben der Entwicklung eines Ansatzes zur reproduzierbaren Erzeugung von Partikeln, die realen Reifenabrieb möglichst realistisch abbilden sollen, wurden zwei unterschiedliche Teststände zur Untersuchung des aquatischen Abbauverhaltens dieser Partikel konzipiert, aufgebaut und erprobt. Die beiden Teststände wurden in solcher Weise ausgewählt und umgesetzt, dass sie sich bezüglich ihrer Wirkweise ergänzen und gemeinsam somit die Mehrheit der relevanten Schädigungsmechanismen, denen Reifenabrieb in realen aquatischen Habitaten ausgesetzt ist, abbilden. Die Eignung der gewählten Test- und Analysemethoden für die formulierte Prüfaufgabe konnte letztlich anhand erster Ergebnisse validiert werden, da Alterungserscheinungen an den Reifenpartikeln nachgewiesen wurden.
Im Rasterelektronenmikroskop (REM) wurden vor und nach dem Abbauexperiment repräsentative Abriebpartikel bei verschiedenen Vergrößerungen hinsichtlich ihrer morphologischen Eigenschaften untersucht. Es wurde festgestellt, dass intensive UV-Bestrahlung zu einer signifikant raueren Werkstoffoberfläche führt und Versprödungseffekte die Bildung von Fehlstellen wie Rissen verursachen (s. Abb. unten). Die spätere Beanspruchung im Mikrokosmos-Teststand führte zur Adhäsion von Reifen- und Sedimentpartikeln an den Probepartikeln. Zudem resultierten aus dem mechanischen Abrieb der vorgeschädigten äußeren Hülle der Partikel während des Mikrokosmos Experiments zum Teil stark zerklüftete Bereiche. Grundsätzlich konnten während der bildgebenden Untersuchung Fragmentierungseffekte der Partikel nachgewiesen werden.
Die durchgeführten EDX-Analysen identifizierten die Ausgangsmischungen der Materialien anhand ihrer charakteristischen Rezepturen, wobei Unterschiede in der Elementzusammensetzung, wie z.B. der Einsatz von Kieselsäure in PKW-Mischungen und Ruß in LKW-Mischungen, ermittelt wurden. Auch Unterschiede in den Zinkgehalten der Mischungen konnten nachgewiesen und zugeordnet werden. Bereits vor dem Mikrokosmen Versuch zeigen sich nach der Voralterung des Ausgangsmaterials Änderungen in der Elementverteilung, insbesondere durch eine Abnahme des Kohlenstoffgehalts und eine Zunahme von Silizium und Sauerstoff. Nach dem Mikrokosmos-Experiment sind die Materialvarianten kaum noch unterscheidbar. Die Proben weisen deutlich reduzierte Kohlenstoffgehalte sowie erhöhte Silizium- und Sauerstoffintensitäten auf, was auf Sedimentanhaftungen an der Partikeloberfläche zurückzuführen ist. Die Zinkgehalte sind während des Mikrokosmos Versuchs aufgrund der Auslaugung in der Wasserphase erheblich gesunken und nahezu nicht mehr nachweisbar.
Im Rahmen der Arbeit wurden Größenverteilungskurven der Partikel vor und nach dem Mikrokosmen-Experiment aufgenommen. Die Alterung im Experiment führt zu einer Verschiebung der Größenverteilungskurve hin zu kleineren Partikelgrößen. Der Anteil der Partikel größer als 50 µm sinkt, während der Anteil der Partikel kleiner als 50 µm signifikant ansteigt, was auf Fragmentierungsvorgänge während der Beanspruchung im Mikrokosmos hindeutet und somit die Ergebnisse der REM-Analyse bestätigt. Bei den Versuchsdurchläufen, bei denen UV-Bestrahlung, mechanische Abrasion und thermische Exposition gleichzeitig auf die Probe einwirken, wurde immer eine Reduzierung der mittleren Partikelgröße um 5 bis 34 % festgestellt (s.Abb. unten, links). Der Versuchsaufbau ermöglicht auch die gezielte Aktivierung oder Deaktivierung einzelner Beanspruchungsarten. Hier wurde aufgrund versuchsbedingter Störfaktoren wie Sedimentanhaftungen und Agglomerationseffekte keine eindeutige Fragmentierung der Partikel festgestellt (s. Abb. unten, rechts). Es zeigt sich, dass die gleichzeitige Aktivierung aller Umgebungsbedingungen (UV-Licht, hohes Temperaturniveau und mechanische Beanspruchung) im Teststand den größten Effekt auf die Fragmentierung hat, während andere Kombinationen zu einer geringeren Abnahme oder sogar Zunahme der Partikelgröße führen.