Die Rolle der Sektorenkopplung für die Erreichung der EU-Klimaziele
Promotion in der Forschungsgruppe Energiesysteme am
Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK)
Um den wachsenden menschlichen Einfluss auf das Klimasystem und die damit einhergehenden dramatischen Risiken für Mensch und Natur zu begrenzen, muss die Energieversorgung innerhalb weniger Dekaden vollständig auf erneuerbare Technologien umgestellt werden. Die Europäische Kommission (Green Deal) und die Bundesregierung (Klimapaket) vertreten daher seit kurzem das Ziel einer klimaneutralen Wirtschaft in 2050. Trotz aller Absichtserklärungen seit dem Pariser Klimaabkommen 2015, steigen die globalen Treibhausgasemissionen indes weiter an. Auch in Deutschland und der EU verfehlen die aktuellen Maßnahmen voraussichtlich die Klimaziele in 2030 und 2050.
Klimaneutralität erfordert eine tiefgreifende Energiewende, deren Erfolg von der Bewältigung zweier zentraler Probleme abhängt.
Erstens muss die Systemintegration wetterabhängiger variabler erneuerbarer Energien (VEE, primär Solar und Wind) sichergestellt werden ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden. Obgleich der Elektritzitätsanteil am globalen Endenergierverbrauch bei nur einem Fünftel liegt, werden VEE aufgrund stark gefallener Kosten eine Schlüsselrolle in der Energiewende einnehmen, sodass sich die Integrationsherausforderungen in Zukunft verschärfen werden.
Zweitens müssen auch Emissionen in schwer zu dekarbonisierenden Sektoren jenseits der Energiewirtschaft nachhaltig reduziert werden, insbesondere im Verkehrs-, Industrie- und Gebäudesektor, da diese in der EU und in Deutschland aktuell mehr als die Hälfte der Emissionen ausstoßen – ein Anteil der ohne wirksame Gegenmaßnahmen weiter ansteigen wird.
Die beschleunigte Elektrifizierung und Verzahnung dieser Sektoren stellt das Schlüsselkonzept der Energiewende dar. Diese sogenannte Sektorenkopplung kann nicht nur dabei helfen, beide Probleme zu überwinden, sondern sogar deren Synergien ausschöpfen. Sektorenkopplung bezeichnet das Konzept, fossile Energieträger durch erneuerbaren Strom zu ersetzen (Elektrifizierung), um die Sektoren Verkehr (z.B. Elektroautos, Wasserstoff, synthetische Kraftstoffe), Industrie (z.B. Elektro-Kessel/Öfen, Wasserstoff, synthetische Kraftstoffe) und Gebäudewärme (z.B. mit Wärmepumpen) zu dekarbonisieren. Durch eine intelligente Anpassung von flexibler neuer Elektrizitätsnachfrage in diesen Sektoren mit fluktuierender VEE-Erzeugung, ermöglicht die Sektorenkopplung somit den Aufbau eines 100% erneuerbaren Energiesystems.
Die quantitative Analyse von Sektorenkopplung ist methodisch herausfordernd, da entsprechende Modelle sowohl eine große Abdeckung (sektoral und geographisch) als auch eine hohe Detailtiefe (zeitlich und technologisch) benötigen. Dies liegt daran, dass direkte Elektrifizierungsoptionen (z.B. elektrische Fahrzeuge oder Wärmepumpen) entscheidend von der Flexibilität der neuen Nachfrage auf stündlicher Zeitskala abhängen werden, während indirekte Elektrifizierungsoptionen (z.B. synthetische Kraftstoffe) gespeichert und global gehandelt werden können, wobei diese größere Flexibilität mit geringerer Energieeffizienz einhergeht. Ein Vergleich dieser konkurrierenden Optionen erfordert daher eine sowohl räumlich umfassende als auch zeitlich detaillierte Herangehensweise. Trotz der Schlüsselrolle der Sektorenkopplung, beinhalten aktuelle Energie-Ökonomie-Klima-Modelle, auf die sich die UN-Klimaverhandlungen sowie die EU-Kommission stützen, nur eine stark vereinfachte Darstellung dieser Prozesse.
Um Sektorenkopplung in Klimaschutzszenarien besser abzubilden, werde ich in meiner Promotion ein globales Energie-Ökonomie-Klima-Modell (REMIND) mit einem hochauflösenden Energiesystemmodell (PyPSA) bidirektional koppeln. Mit diesem neuartigen Ansatz möchte ich Vor- und Nachteile verschiedener Optionen der Sektorenkopplung, deren Rolle zur Erreichung der EU-Klimaziele, sowie Wechselwirkungen zu den UN Zielen für nachhaltige Entwicklung analysieren. Damit hoffe ich zu einer konsolidierten Wissensbasis beizutragen, die das Fundament für die Diskussion gesellschaftlicher Implikationen und politischer Entscheidungen bildet.