Multiagentenorganisationen für die Betriebsführung von verteilten Speichern in Bürgernetzzellen
Zur Integration großer Anteile erneuerbarer Energien ist ein Umbau der Energieinfrastruktur unabdingbar. Dezentrale Strukturen, in denen erneuerbare Energieanlagen mit verteilten Energiespeichern und lokalen Verbrauchern zu Netzzellen (engl. Microgrids) gekoppelt werden, die entweder im Verbund mit dem Hauptnetz oder autark betrieben werden können, bilden einen Lösungsentwurf. Neben der technischen Infrastruktur ändert sich die Rolle der Bürger, die nicht nur als Verbraucher auftreten, sondern die Energieversorgung zunehmend aktiv mitgestalten. Mit dem raschen Ausbau der Photovoltaik im privaten Bereich und der zunehmenden Popularität von Heimspeichern ist eine solche Entwicklung bereits erkennbar. In Netzzellen wird das Ziel verfolgt, sowohl den Ausgleich von Leistungsbedarf und Erzeugung als auch die Zurverfügungstellung von Flexibilitätsoptionen weitestgehend lokal zu bewerkstelligen. Hierzu ist die Entwicklung neuer Betriebsführungskonzepte, die insbesondere die Nutzung der verteilten Energiespeicher optimieren, notwendig. Neben der Erfüllung rein technischer Aufgaben spielen auch Fragen der Akzeptanz und der Teilhabe eine wichtige Rolle. Da die Betriebsführung aus Gründen der geringen Größe der Netzzellen nur automatisiert sinnvoll ist, verschwimmt zunehmend die Grenze zwischen technischer und gesellschaftspolitischer Steuerung. Desto erstaunlicher ist, dass sozialwissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Energiebereich bisher kaum Anwendung bei der Entwicklung von Betriebsführungsverfahren für Netzzellen finden. Ein Ansatz, der sich bei technischen Betriebsführungen zunehmender Beliebtheit erfreut, basiert auf Multiagentensystemen (MAS). Sie sind aus mehreren interagierenden Rechenelementen, den sogenannten Agenten, aufgebaut. Hiermit können verteilte Betriebsführungen realisiert werden, die ein erhöhtes Maß an Zuverlässigkeit, Flexibilität und Skalierbarkeit aufweisen. Viele der in MAS genutzten Konzepte beruhen auf sozialen Metaphern. Grund hierfür sind parallelen zwischen den Entscheidungsstrukturen in gesellschaftlichen und verteilten technischen Systemen. Obwohl die Nutzung sozialwissenschaftlicher Ansätze aus rein technischen Überlegungen geschieht, eröffnet dies die Möglichkeit, auch gesellschaftliche Anforderungen mit einzubeziehen. In existierenden Betriebsführungsanwendungen werden die Agenten jedoch entweder als vollständig altruistisch oder als egoistische Gewinnmaximierer modelliert. Das Betriebsführungsproblem für verteilte Energiespeicher in Bürgernetzzellen, lässt sich hiermit nicht lösen. Beispielsweise können Heimspeicher für die Eigenverbrauchsoptimierung einer PV-Anlage genutzt werden oder zur Verbesserung der Netzqualität. Diese Aufgaben können im Konflikt miteinander stehen. Die Modellierung bedarf daher einer Unterscheidung zwischen individuellen Zielen und Systemzielen. Dies ist mit den derzeit genutzten Ansätzen nicht möglich. Hier können Multiagentenorganisationen, die eine Weiterentwicklung innerhalb der MAS darstellen, angewandt werden. Anstatt nur die Perspektive des einzelnen Agenten zu betrachten, wird eine organisatorische bzw. gesellschaftliche Perspektive hinzugefügt. In meinem Promotionsvorhaben soll dieser Ansatz genutzt werden, um eine Betriebsführung von verteilten Energiespeichern in Bürgernetzzellen zu implementieren, die der soziotechnischen Natur der Problemstellung Rechnung trägt. Dies beinhaltet die Entwicklung einer neuen Methodik. Die Betriebsführung baut auf einer existierenden Multiagentenplattform auf. Die gesellschaftlichen Anforderungen werden aus der Literatur für institutionelles Design (Bewirtschaftung von Allmendegütern, Theory of Plural Rationality) abgeleitet. Geplant ist weiterhin sowohl eine simulationsgestützte als auch eine experimentelle Untersuchung des Systems aus Bürgernetzzelle und Betriebsführung.