Citizen Science-Monitoring von Pflanzenschutzmitteln in Fließgewässern
In zahlreichen Ökosystemen wird ein drastischer Rückgang der Biodiversität beobachtet. Insbesondere der Verlust von Insekten hat breite öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Pestizideinträge in Agrarlandschaften stehen im Verdacht, diesen Artenschwund in besonderem Maße zu befördern. Großflächiger Einsatz von Pflanzenschutzmitteln führt weltweit zu hohen Pestizidkonzentrationen in Fließgewässern und Bächen, die wichtige Lebensräume für Insekten und benthische Invertebraten sind. Pestizide haben negative Auswirkungen auf Artenreichtum und –diversität der Fließgewässerfauna und beeinträchtigen ökologische Funktionen wie die Zersetzung organischen Materials und die Selbstreinigungsfähigkeit von Gewässern.
Um Trends und Ursachen der Änderung von Fließgewässergesellschaften zu erforschen und geeignete Schutzmaßnahmen zu konzipieren sind raumzeitlich ausgedehnte Monitoringkonzepte nötig. Die langfristige Erhaltung von Fließgewässern und die Verminderung entsprechender Ökosystemstressoren können nur durch breite gesellschaftliche Unterstützung gelingen. Viele Menschen erleben jedoch eine zunehmende Entfremdung zu ihrer natürlichen Umwelt und das Wissen über regionale Umweltprobleme ist häufig nur oberflächlich ausgeprägt.
Citizen Science ist ein Ansatz, der die Verbindung von Umweltforschung und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) zur Ausdifferenzierung ökologischen Wissens, reflektierter Umwelteinstellungen sowie umweltbezogener Gestaltungskompetenzen ermöglicht. Das Citizen Science-Konzept stellt durch die aktive Einbindung engagierter Bürger und Stakeholder in Forschungsprojekte ein wirksames Instrument zur Stärkung umweltbezogener Bürgerschaft (environmental citizenship) dar. Zugleich sind Citizen Scientists unter bestimmten Voraus-setzungen in der Lage, die Umweltforschung durch Erhebung qualitativ hochwertiger Daten zu unterstützen.
Im geplanten Promotionsprojekt soll ein Citizen Science-Programm zur Untersuchung der Invertebraten- bzw. Insektendiversität und der Pestizidbelastung von Fließgewässern entwickelt werden, um das Innovationspotenzial von Citizen Science im Umweltmonitoring zu erforschen (FLOW: Fließgewässer erforschen – gemeinsam Wissen schaffen, www.idiv.de/flow).
Zur Gewässeruntersuchung eignet sich der vom Umweltforschungszentrum (UFZ) erprobte Bioindikator SPEAR (SPEcies At Risk), der die Pestizidbelastung von Fließgewässern anhand der Merkmalsverteilung von Makroinvertebraten-Gesellschaften quantifiziert. Die Citizen Scientists werden an die Beurteilung der Gewässerstrukturgüte anhand gängiger Kriterien der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) herangeführt. Sie erheben zudem punktuelle Daten zur Analyse der Nährstoffkonzentrationen in den Probegewässern.
Das Citizen-Science-Fließgewässermonitoring soll das in 2018 gestartete Kleingewässermonitoring (KgM) des UFZ und des Umweltbundesamts (UBA) im Raum Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ergänzen. Bei der Programmkonzeption und –umsetzung ist eine Zusammenarbeit mit dem Umweltmobil-Programm der Sächsischen Landesstiftung Natur und Umwelt (LaNU) geplant.
Ziel des ersten Projektabschnitts ist es, das wissenschaftliche Innovationspotential von Citizen Science zu evaluieren. Hierzu wird die Qualität der ökotoxikologischen Citizen Science-Daten systematisch überprüft, indem die Ergebnisse mit amtlichen Referenzmessungen (KgM bzw. Erhebungen der Wasserrahmenrichtlinie, WRRL) abgeglichen werden. Es sollen adäquate Verfahren zur Integration in wissenschaftliche Datenbanken identifiziert werden. Im zweiten Schritt wird das Innovationspotential von Citizen Science in der Nachhaltigkeitsbildung untersucht. Partizipativ angelegte Trainings, die die gesellschaftliche Relevanz intakter Fließgewässer aufzeigen sowie der Einsatz digital gestützter Dateneingabe– und Auswertungsverfahren sollen Schüler und weitere Stakeholdergruppen zur Teilnahme am Fließgewässermonitoring motivieren. Es wird eine detaillierte Evaluation der (transformativen) ökologischen Lernprozesse der Citizen Scientists sowie der eingesetzten Trainingseinheiten angestrebt. Im dritten Abschnitt sollen Strategien zur Programmoptimierung und zur räumlichen Ausweitung des Citizen Science-Monitoring-Programms herausgearbeitet werden, die eine gezielte und erfolgreiche Umsetzung des Formats als überregionales Fließgewässermonitoring ermöglichen.