Promotionsstipendium: Dr. Patrick Laurenz Kohl

Die Honigbiene als Wildtier: Status und Populationsdynamik wild lebender Honigbienenvölker (Apis mellifera L.) in Mitteleuropa

Populationsstatus wild lebender Honigbienen (Apis mellifera L.) in Mitteleuropa

Die Honigbiene (Apis mellifera) ist als Nutztier weitbekannt, doch als Wildtier vernachlässigt. Seit etwa 1850 sind ihre Populationen in Mitteleuropa durch Introgression und moderate künstliche Selektion vom Menschen beeinflusst. Die Art wurde jedoch aufgrund fehlender Paarungskontolle nie wirklich domestiziert. Früher wurde der Rückgang wildlebender Honigbienen dem Verlust geeigneter Nistplätze zugeschrieben. Heute wird meist die Bienenmilbe Varroa destructor als Hauptursache angenommen. Es gibt allerdings keine Langzeitdaten, welche diese Annahmen stützen könnten. Basierend auf der Erkenntnis, dass eingeführte Honigbienen in Nordamerika stabile wilde Populationen bilden, und aufgrund von Berichten über das Vorkommen wildlebender Bienenvölker in verschiedenen Ländern Europas, widmeten wir uns dem systematischen Studium wildlebender Honigbienen in Deutschland. Zunächst untersuchten wir, ob waldbewohnende Bienenvölker eine selbsterhaltende Population bilden. Zweitens stellten wir die Frage, inwiefern sich wildlebende und imkerlich gehaltene Völker in ihrer Parasitenlast unterscheiden. Drittens testeten wir, ob Winterverluste wildlebender Bienenvölker mit Parasitendruck, Nestprädation oder mangelndem Nahrungsangebot auf Landschaftsebene in Verbindung stehen. 

In Wirtschaftswäldern dreier Untersuchungsgebiete (Schwäbische Alb, Landkreise Coburg und Lichtenfels, Landkreis Weilheim-Schongau) kontrollierten wir zwischen 2017 und 2021 bekannte Höhlenbäume des Schwarzspechts auf Besiedlung durch Honigbienen. Das Überleben einzelner Bienenvölker wurde zusätzlich mittels Analyse von Mikrosatelliten DNA überprüft. Nach verlässlichem Muster besiedelten Honigbienen jeden Sommer etwa 10% der Baumhöhlen. Die jährliche Überlebensrate und die Lebenserwartung der Völker (N=112) betrugen 10,6% und 0,6 Jahre, wobei 90% den Sommer (Juli–September), 16% den Winter (September–April) und 72% das Frühjahr (April–Juli) überlebten. Die durchschnittliche maximale (Juli) und minimale (April) Koloniedichte betrug 0,23 bzw. 0,02 Bienenvölker pro km2. Während der (Wieder)Besiedlung von Wäldern im Frühjahr bevorzugten Bienenschwärme solche Baumhöhlen, welche zuvor schon von Bienen besiedelt worden waren. Die Nettoreproduktionsrate der wildlebenden Population wird auf 0= 0,318 geschätzt, was bedeutet, dass diese zurzeit nicht selbsterhaltend ist, sondern durch die jährliche Einwanderung von Bienenschwärmen aus der Imkerei aufrechterhalten wird. 

Wir untersuchten wildlebende (N=64) und imkerlich gehaltene Bienenvölker (N=74) auf den Befall mit 18 verschiedenen Mikroparasiten mittels qPCR. Die Proben stammten aus den drei oben genannten Gebieten sowie aus dem Stadtgebiet von München. Eine Probe bestand aus 20 Arbeiterinnen, welche am Flugloch gefangen wurden. Wir unterschieden fünf Kolonietypen aufgrund des Alters (jünger oder älter als ein Jahr) und der unmittelbaren Geschichte der Bewirtschaftung durch Imkerinnen und Imker. Abgesehen von regionalen Unterschieden in der Parasitenlast waren wildlebende Völker mit einer geringeren Anzahl Parasitentaxa befallen (Median: 5, Spanne: 1–8) als imkerlich gehaltene Völker (Median: 6, Spanne: 4–9) und wiesen eine veränderte Zusammensetzung von Parasiten auf. Seltener bei wildlebenden Bienenvölkern waren besonders Trypanosomatidae, das Chronische-Paralysevirus, sowie die Flügeldeformationsviren A und B. Im Vergleich der fünf Kolonietypen war die Parasitenlast bei neu gegründeten wildlebenden Völkern am geringsten, intermediär bei überwinterten wildlebenden Völkern und Brutablegern, und am höchsten bei überwinterten Wirtschaftsvölkern und bei durch Schwärme gegründeten imkerlich gehaltenen Völkern. Dies deutet darauf hin, dass das Schwärmen (Entstehung von Brutpausen) sowie die größere Distanz zwischen Nestern (Verminderung der horizontalen Krankheitsübertragung) die geringere Parasitenlast wildlebender Bienenvölker erklären. 

Wir kombinierten Beobachtungen zum Winterüberleben aus dem Monitoring mit Daten zur Parasitenlast, mit Beobachtungen und Experimenten zur Nestprädation und mit Landschaftsanalysen. Es ergab sich kein Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen Parasitenlast im Sommer und anschließendem Überwinterungserfolg: Völker, welche den Winter nicht überlebten (N=57), hatten zuvor keine höhere Parasitenlast als solche, welche den Winter überlebten (N=10). Kamerafallen (N=15) offenbarten, dass Honigbienennester im Winter von einer Vielzahl von Vögeln und Säugern mit bis zu 10 Besuchen pro Woche heimgesucht werden. Vier Spechtarten, Kohlmeisen und Baummarder wurden als echte Nestplünderer identifiziert. Bienenvölker, deren Nesteingang mit Maschendraht geschützt war (N=32), hatten eine 50% höhere Winterüberlebensrate als Völker ohne Schutz (N=40). Die Analyse von Landnutzungskarten zeigte, dass sich Bienenvölker, welche den Winter überlebten (N=19), in Landschaften mit durchschnittlich 6,4% höherem Anteil von Ackerflächen befanden als solche, die den Winter nicht überlebten (N=94). 

Wir schätzen, dass in Deutschland jährlich zehntausende Schwärme von Bienenständen entflie-hen, um sich in Spechthöhlen oder anderen Hohlräumen anzusiedeln. Der Anteil wildlebender Völker an der Gesamtbienenpopulation beträgt im Sommer etwa 5%. Sie spielen vermutlich eine untergeordnete Rolle bei der Verbreitung von Bienenkrankheiten. Durch die Ergänzung imkerlich gehaltener Völker in Waldgebieten tragen sie zur Bestäubung waldbewohnender Pflanzenarten bei. Die Besiedlung von Baumhöhlen sollte vielseitige Auswirkungen auf Lebensgemeinschaften im Wald haben: Bienenvölker konkurrieren um Nistplätze, sind reiche Beute im Winter und akkumulieren organisches Material. Nestprädation (eine Folge des Mangels an sicheren Nisthöhlen) und Ressourcenlimitierung spielen offenbar derzeit eine größere Rolle als Parasiten bei der Erklärung von Winterverlusten. Eine offene Frage ist, inwiefern Umwelt und genetische Dispositionen die Etablierung wilder Honigbienenpopulationen verhindern. Künstliche Nistkästen könnten genutzt werden, um die Rolle von Umweltfaktoren genauer zu untersuchen. Populationen wilder Honigbienen außerhalb Europas könnten Erkenntnisse dazu liefern, inwiefern sich die moderne Imkerei auf die Anpassungen der Honigbienen als Wildtier auswirkt. In Europa könnten große zusammenhängende Waldgebiete als evolutionäre Refugien für wilde Honigbienen dienen.

AZ: 20018/571

Zeitraum

01.05.2019 - 30.04.2022

Institut

Julius-Maximillians-Universität Würzburg Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie Biozentrum

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Betreuer

Prof. Dr. Ingolf Steffan-Dewenter