Promotionsstipendium: Joseph Premier

Einbeziehung von genetischen Prozessen in ein individuenbasiertes, räumlich explizites Populationsmodell zur Entscheidungsunterstützung im Naturschutzmanagement am Beispiel des Luchses

Integration genetischer Prozesse in Populationsmodelle für die Naturschutzforschung anhand des Luchs

 

Motivation

Jahrhunderte nach ihrer Ausrottung breiten sich die großen Beutegreifer Luchs (Lynx lynx) und Wolf (Canis lupus) wieder in Deutschland aus. Grundlage dieser Entwicklung war ein Einstellungswandel der Bevölkerung, der schließlich in einen strengen gesetzlichen Schutz und ein begleitendes Management mündete. Trotzdem sind die Populationen der großen Beutegreifer in den stark vom Menschen beeinflussten Landschaften Deutschlands und Mitteleuropas, nach wie vor gefährdet. Besonders deutlich wird dies am Beispiel des Luchses. Obwohl insgesamt genügend geeignetes Habitat zur Verfügung steht und regelmäßig Jungtiere geboren werden, wachsen die Populationen nur langsam oder stagnieren sogar. Gefährdungsursachen sind vor allem die Zerschneidung von Lebensräumen durch Verkehrswege und illegale Nachstellungen, die im Bayerischen Wald sogar die häufigste Todesursache darstellen. Problematisch ist dabei vor allem, dass die Populationen relativ klein und nicht miteinander verbunden sind. Zwar ist das Risiko eines zufälligen Aussterbens in Folge von stochastischen Prozessen gering, da die meisten Populationen mehr als 50 Individuen umfassen, allerdings droht ein Verlust an genetischer Variabilität. Je kleiner die Populationen sind und je länger sie voneinander getrennt sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass genetische Informationen durch genetische Drift verloren gehen, auch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es zur Verpaarung von nah verwandten Individuen kommt und Inzuchteffekte auftreten. Beide Effekte können zu einer verminderten Anpassungsfähigkeit an sich verändernde Umweltbedingungen und einer Anreicherung schadhafter Gene führen und somit das Aussterberisiko der lokalen Population erhöhen. Eine aktuelle Untersuchung zur Populationsgenetik unterstreicht, dass diese Befürchtungen gerechtfertigt sind, indem sie eine geringer Heterozygotie und ein erhöhtes Inzuchtrisiko der in Mitteleuropa wiederangesiedelten Luchspopulationen im Vergleich zu den deren  Ausgangspopulationen, feststellt. 

Zielsetzung

Eine Methode mit der potenziellen Entwicklungen von Tierpopulationen untersucht werden können sind räumlich-explizite individuenbasierte Modelle. Sie ermöglichen die Analyse komplexer Systeme, indem sie den Einfluss verschiedener Umwelteffekte und die Interaktionen auf individueller Ebene in realen oder künstlichen Landschaften berücksichtigen. Die Erweiterung von solchen Modellen um genetische Prozesse ist ein bislang kaum bearbeitetes Forschungsfeld, aus dem sich wichtige Impulse für das Naturschutzmanagement von kleinen Populationen ergeben können. Das Ziel des beantragen Promotionsprojektes ist es deshalb, ein bestehendes individuenbasiertes Simulationsmodell für Luchspopulationen so weiter zu entwickeln, das es  in der Lage ist, neben Habitatnutzung, Dispersal und demographischen Entwicklungen, auch genetische Prozesse abzubilden. Das Modell wird dazu verwendet die folgenden Managementfragestellungen zu untersuchen:

  1. Wie entwickeln sich die genetischen Metriken der Mitteleuropäischen Luchspopulationen in den nächsten 50/100 Jahren, wenn nicht eingegriffen wird?
  2. Wie viele Luchsindividuen müssen aus anderen Populationen zur genetischen Restauration angesiedelt werden, um die gleichen genetischen Metriken wie in großen Populationen zu erreichen?
  3. Können die gewünschten genetischen Metriken durch eine verbesserte Konnektivität zwischen den mitteleuropäischen Populationen sichergestellt werden?
  4. In welchen Gegenden würden Wiederansiedlungsprojekte die größten Effekte für den Schutz der Mitteleuropäischen Luchspopulationen erzielen, und wie genetisch vielfältig sollte bereits die minimale Gründerpopulation sein?

Aktueller Stand

Das Modell habe ich so erweitert, dass es einfacher ist, damit verschiedene Szenarien zu simulieren. Zum Beispiel musste ich die Input-Parameter-Datei für den Simulationsanfang ändern, damit alle Luchse in verschiedenen Orten, bestimmten zeitlichen Abschnitten und mit vorgegebener genetischer Struktur freigelassen werden konnten. Die individuellen Parameter werden als Textdateien eingelesen. Es ist jetzt auch möglich, für jeden Simulationslauf eine bestimmte Textdatei zu nutzen; damit kann jeder Durchlauf die stochastische Variabilität in der genetischen Struktur berücksichtigen. Weiterhin habe ich die demographische Input-Datei bearbeitet, um Szenarien mit zeitdynamischen Faktoren gleich von Beginn der Entwicklung an in den Simulationsläufen implementieren zu können. Das bedeutet, dass ich Szenarien mit realistischen und dynamischen Zeitänderungen simulieren kann und diese nicht wie zuvor getrennt in mehrere Perioden aufteilen muss. Das Modell ist nun auch für größere Landschaften mit mehreren Individuen besser geeignet, weil der Datenprozess umgewandelt wurde.  Wie in meinem Promotionsvorhaben beschrieben, habe ich die Eigenschaften der Individuen um die genetischen Strukturen erweitert, welche aus 12 Loci / Allel-Paaren (24 Allele) besteht. Außerdem habe ich den Prozess der Reproduktion erweitert, um die Mendelesche Vererbung simulieren zu können. Damit bekommt der Nachwuchs seine eigene genetische Struktur mit einem Allel je Elternteil auf jeden Loci durch stochastische Prozesse. Der Mutationsprozess wird in einer neuen Funktion durch das „Stepwise“ (schrittweise) Mutations-Modell simuliert. Die Mutationsrate wurde aus Daten entnommen, die für veröffentlichten Säugetiere bestimmt wurden, aber könnte auch unter verschiedenen hypothetischen Szenarien getestet werden.

Ausblick

Im ersten Manuskript wurden die Effekte von verschiedenen Landschaftsstrukturen und individuellen Bewegen auf die genetische Struktur von wiederangesiedelten Populationen getestet. Dabei sind Anzahl von Gründern, Fragmentierung, Menge geeigneten Habitats, Bewegungsverhalten (‚Persönlichkeit‘) in Verbindung mit Populationsgenetischen-Metriken durch statistische Analysen genutzt worden. Unteranderem wurde eine „Case Study“ über die populationsgenetische Entwicklung im Bayerisch- Böhmischen Wald mit realistischen Parameterisierungen verglichen. Die Simulationen zum ersten Manuskript sind fast vollständig, und die Ergebnisse werden gerade bearbeitet. Es wird in der Special Issue der Movement Ecology Zeitschrift des Biomove Symposiums eingereicht.

Allerdings hat sich die Reihenfolge der Manuskripte verändert; um die kompletten Daten für das geplante erste Manuskript zu sammeln, benötigte ich mehr Zeit, deshalb wird Manuskript I zu Beginn des zweiten Promotionsjahrs bearbeitet.

Lynx workshop

In Absprache mit meiner Betreuung haben wir uns entschieden einen Workshop über Luchse zu veranstalten, um uns bei unseren Kooperationspartnern zu bedanken und die weitere Zusammenarbeit zu fördern. Die Organisation der Tagung unterlag meiner Verantwortung. Insgesamt konnten wir 50 Teilnehmer der Luchs- Forschung und des Naturschutzmanagements zu einem drei tägigen Workshop im National Park Bayrischer Wald willkommen heißen. Dabei wurde auch mein Arbeit, bzw meine Methoden und meine Vorgehensweise, diskutiert und weitere mögliche Zusammenarbeit und offene Fragen der Luchsökologie besprochen.Am Ende des Workshops konnten wir ein Forschungsnetzwerk mit dem Namen „EuroLynx“ gründen. Im ersten Schritt wird die Unterstützung meiner Arbeit mit Daten gefestigt, danach können weitere Fragenstellungen auf Basis der neu entstehenden, gemeinsamen Telemetrie-Datenbank, bearbeitet werden, Geplant ist auch eine Zusammenarbeit in der Entwicklung von besserer Fotofallendatenbanken und die Harmonisierung der Mikrosatellit-Genetik- Analysen, so dass man die Ergebnisse verschiedener Labore einfacher vergleichen kann, was von Vorteil für meine Arbeit ist, sowie generell für den Schutz und die Erforschung der Luchse in Europa.

AZ: 20017/504

Zeitraum

01.03.2018 - 31.08.2021

Institut

Universität Freiburg Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen Professur für Wildtierökologie und Wildtiermanagement

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Betreuer

Prof. Dr. Marco Heurich