Promotionsstipendium: Markus Vordermayer-Riemer

Der Schutz des umweltvölkerrechtlichen Acquis: Verschlechterungsverbot und andere Instrumente

Schutz des umweltvölkerrechtlichen Acquis

Obwohl das Umweltvölkerrecht (d.h. die Materie des internationalen Rechts, die mit Umweltschutzaspekten befasst ist) zahlreiche Erfolge aufzuweisen hat (etwa die Bekämpfung des Ozonlochs, des „sauren Regens“ etc.), ist es gleichwohl anfällig für „Rückschritte“ beim Stand des erreichten Umweltschutzes. Welcher Art solche Rückschritte sind, ob Ihnen eine eigenständige Norm im Sinne eines „Verschlechterungsverbots“ entgegensteht, und wenn nicht, welche alternativen völkerrechtlichen Mechanismen bestehen, um zumindest den gegenwärtig erreichten Standard des völkerrechtlichen Umweltschutzes dauerhaft zu bewahren, ist Gegenstand der Arbeit. Nach einem einleitenden Kapitel zur Begriffsklärung besteht die Arbeit damit im Wesentlichen aus zwei Teilen. 

I. Begriff des „Verschlechterungs-“ bzw. „Regressionsverbots“

Die Diskussion eines solchen Verschlechterungsverbots hat zunächst die Frage zu klären, was unter einer Verschlechterung zu verstehen ist. Dies kann sich zum einen auf den tatsächlichen Zustand der Umwelt in einem gegebenen Rahmen beziehen, oder aber auf den bloßen Bestand der juristischen Normen zum Schutz der Umwelt. Im Hinblick auf den tatsächlichen Zustand der Umwelt zeigt etwa der (auch in Europa zu verzeichnende) Artenrückgang an, dass die Verschlechterung der Umwelt teilweise ein bedrohliches Ausmaß behält. Mit Blick auf den rechtlichen Schutz der Umwelt kann sich eine qualitative Verschlechterung etwa aus einer ausdrücklichen Aufhebung umweltschützender Normen ergeben, als auch mittelbar durch die Ausweitung von Ausnahmetatbeständen, eine extensive Gewährung von Ausnahmevorschriften, eine organisatorische Verschlankung der zuständigen Behörden oder – allgemein – einer „Deregulierung“ des Umweltschutzes zu Gunsten anderer Belange.

II. Verschlechterungsverbot als eigenständiges Prinzip des Umweltvölkerrechts?

Angesichts der vielfältigen Tendenzen, die in diesem Sinne als „Verschlechterung“ des globalen Umweltschutzes begriffen werden können, wurden im Kontext der Rio-Konferenz 2012 („Rio+20“) Stimmen laut, das Umweltvölkerrecht fortzuentwickeln, um solchen Tendenzen ein eigenständiges Rechtsprinzip (engl. „Principle of Non-Regression“) entgegenzuhalten. Dieser Gedanke bildet den ersten Teil der Arbeit und wird in mehreren Schritten verfolgt.
Zunächst wird danach gefragt, ob das Völkerrecht insgesamt (d.h. das gesamte zwischenstaatliche Recht) bereits heute Normen nach dem Muster eines „Verschlechterungsverbots“ kennt. In diesem Zusammenhang sind etwa Entwicklungen im Bereich des internationalen Menschenrechtsschutzes interessant. Der internationale Menschenrechtsschutz, d.h. die Überwachung völkerrechtlich garantierter Menschenrechte durch internationale Organe, weist dabei ein besonders weit entwickeltes Verständnis eines „Verschlechterungsverbots“ auf. Im Zusammenhang mit der Etablierung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte, namentlich durch den Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte („IPwskR“) hat sich der Ausschuss zur Überwachung dieser Rechte immer wieder nationalen Politikmaßnahmen gegenübergesehen, die vom Pfad der „progressiven Verwirklichung“ der Menschenrechte abweichen und bspw. den erreichten Stand des Rechts auf Nahrung etc. wieder einschränken. Mit Blick auf solche Maßnahmen hat der Ausschuss Artikel 2 (1) des IPwskR ein Verbot entnommen, „absichtliche retrogressive Maßnahmen“ zu ergreifen und bei der Verwirklichung der Menschenrechte zurückzufallen. Am Menschenrechtsschutz zeigt sich damit exemplarisch, dass Normen nach dem Art eines Verschlechterungsverbots dem Völkerrecht nicht unbekannt sind und bereits in einzelnen Ausprägungen vorhanden sind.
Im Folgenden richtet die Arbeit einen Blick auf die Materie des Umweltvölkerrechts selbst und fragt nach Entwicklungen in dieser speziellen Materie des Völkerrechts, die Potential für die Herausbildung eines Verschlechterungsverbots haben. Dabei lässt sich zunächst zeigen, dass in einigen materien-spezifischen Fällen bereits Entwicklungen in diesem Sinne erkennbar sind. So ist etwa das internationale Wasserrecht (technisch das „Recht der internationalen Wasserläufe“) in den letzten Jahrzehnten über die bloße Aufteilung von „Nutzungsrechten“ und die Vermeidung grenzüberschreitender Verschmutzungen hinaus entwickelt worden und hat eine spezifische Umweltschutzkomponente erhalten. Besonders deutlich wird dies etwa an Artikel 20 ff. der UN-Konvention über internationale Wasserläufe aus dem Jahr 1997, die für solche Wasserläufe ein Schutzregime etablieren, dass das gesamte relevante Ökosystem zu erhalten sucht. Der Anerkennung solch ambitionierter Schutzstandards wohnt die Anerkennung inne, dass jegliche Verschlechterung des betroffenen Umweltguts zumindest rechtfertigungsbedürftig ist. Ähnliche Entwicklungen haben sich auch im Recht des Habitatschutzes (insb. Ramsar-Konvention), des Schutzes der marinen Umwelt (Seerechtsübereinkommen und Abkommen über wandernde Fischbestände 1995), des Schutzes der Antarktis (u.a. Umweltprotokoll zum Antarktisvertag), und, allgemein, des Schutzes der Biodiversität ergeben. Neben diesen materien-spezifischen Entwicklungen in einigen Bereichen des Umweltvölkerrechts wird die Arbeit auch einige allgemeine Entwicklungstendenzen im Umweltvölkerrecht diskutieren, die von Relevanz für die vorliegende Frage sind. So steht die zunehmende Anerkennung eines sog. Ökosystemansatzes in starkem Zusammenhang mit den gerade genannten progressiven Schutzstandards, etwa im Wasserrecht. Darüber hinaus kann sich ein Mindeststandard an Umweltschutz auch aus den oben bereits angesprochenen internationalen Menschenrechten ergeben. Und zuletzt spricht auch einiges dafür, dass bereits existierende umweltrechtliche Prinzipien wie etwa das Prinzip „nachhaltiger Entwicklung“ die Anerkennung von gewissen Verschlechterungsverboten nahelegen.
Auf dieser Grundlage lässt sich schließlich evaluieren, wie gegenwärtig die Chancen eines eigenständigen Verschlechterungsverbots im Umweltvölkerrecht stehen. Darüber hinaus wird die Frage zu diskutieren sein, welche Konturen eines solches Prinzip hat und wie es sich zu anderen Normen des Umweltvölkerrechts verhält. 

III. Alternative Mechanismen

Die Etablierung eines solchen eigenständigen Verschlechterungsverbots lässt sich zwar mit einigen guten Gründen bejahen, steht aber noch nicht auf einer endgültig gesicherten rechtlichen Grundlage. Aus diesem Grund wird die Arbeit im Folgenden Tendenzen des Umweltvölkerrechts thematisieren, die zwar kein eigenständiges Rechtsprinzip zum Ausdurck bringen, aber gleichwohl darauf hinwirken, dass Staaten nicht von ihren Umweltverpflichtungen abrücken bzw. keine Verschlechterung des Umweltzustands in Kauf nehmen.
Maßgeblich Impulse ergeben sich dabei aus der zunehmenden Institutionalisierung des Umweltvölkerrechts, die den Staaten zunehmend die „Verfügungsgewalt“ über ihre Umweltpolitik entzieht. Wie etwa das Montreal-Protokoll aus dem Ozonregime gezeigt hat, wird eine Umweltmaterie, einmal auf die Ebene des institutionalisierten Völkerrechts gehoben, leicht den Staaten „entgleiten“. In diese Richtung wirken v.a. Mechanismen wie etwa vereinfachte Mehrheitserfordernisse oder ökonomische Anreize, die auch „unwillige“ Staaten daran festhalten, nicht von einem bestimmten Schutzregime abzuweichen.
Ähnliche Entwicklungen haben sich etwa durch die Integration von Umweltnormen in andere Bereiche des Völkerrechts ergeben. So haben etwa, gerade in Entwicklungsländern und „Übergangsstaaten“ des vormaligen Ostblocks, die internationalen Finanzinstitutionen auf die Etablierung umweltpolitischer Minimalstandards gedrungen. Auch wenn diese Praxis mit unterschiedlichem Erfolg gesegnet war, zeigt sich hier, dass ein Basisbestand an umweltvölkerrechtlichen Schutzstandards der Disposition der Staaten in vielen Fällen entzogen sein wird.

AZ: 20014/355

Zeitraum

01.12.2014 - 30.11.2017

Institut

Ludwig-Maximilians-Universität München Institut für Internationales Recht

Betreuer

Prof. Dr. Christian Walter