Promotionsstipendium: Dr. Torsten Long

Vom Molekül zur Kennlinie – Vollständige Simulation fundamentaler Parameter organischer Solarzellen ausgehend von den molekularen Bestandteilen mittels Dichtefunktionaltheorie, Moleküldynamik und opto-elektronischer Simulationen

Vom Molekül zur Kennlinie – Vollständige Simulation fundamentaler Parameter organischer Solarzellen

Das Ziel dieses Projektes war es, ein umfangreiches Programmpaket, bzw. ein Zusammenschluss modularer Programmteile, zu entwickeln und zu erstellen, mit dessen Hilfe Aufwand, Kosten, Dauer und Umweltbelastung des Prozesses der Entwicklung und Optimierung von organischen Solarzellen aus neuen Materialsystemen wesentlich reduziert werden. Dies wurde erreicht, indem ausgehend einzig von den Molekülstrukturen Rückschlüsse auf die die Leitungsfähigkeit der Solarzelle maßgeblich bestimmenden quantenmechanischen Eigenschaften und die interne Morphologie gezogen werden. Im Nachhinein können einige optoelektronische Eigenschaften der Solarzellen ermittelt werden. Das erstellte Programmpaket unterstützt Entwicklungsprozesse von optoelektronischen Bauelementen vereinfachen sie wesentlich indem aufwändige Versuchsreihen im Labor minimiert werden.

Details

Die dauerhafte Deckung des stetig steigenden Energiebedarfs der Menschheit wird nur durch eine Kombination verschiedener erneuerbarer Energiequellen aufrecht erhalten werden können. Nach derzeitigem Stand werden Solarzellen generell und organische Solarzellen im Speziellen einen großen Teil davon ausmachen. An letzteren wurde in den vergangenen Jahrzehnten intensive Forschung betrieben, da sie Anwendungsgebiete ermöglichen, die mit konventionellen Solarzellen nicht zugänglich sind. Weiterhin können die elektrooptischen Eigenschaften organischer Solarzellen breiter als die ihrer anorganischen Verwandten variiert werden. Hierzu müssen lediglich die beiden verwendeten Substanzen ausgetauscht werden. Diese Flexibilität stellt jedoch auch eine große Herausforderung bei der Verbesserung der Technologie aufgrund der überwältigenden und stetig wachsenden Anzahl an synthetisierbaren Substanzen dar. Zudem ist die zwingend erforderliche Optimierung von Prozessierungsbedingungen für jede neue Materialkombination ein äußerst zeit- und arbeitsaufwändiger Prozess.

Es ist das Ziel dieses Projektes bei der Wahl geeigneter Substanzen mittels computergestützter Verfahren, die einzig auf der molekularen Struktur und auf keinen weiteren experimentellen Ergebnissen basieren, beizutragen. Damit soll die zielgerichtete Entwicklung der organischen Photovoltaik (OPV) unterstützt und vereinfacht werden. Zu diesem Zweck wurden existente Verfahren erweitert und, wo nötig, neue Verfahren konzipiert und implementiert. Zudem wurden all diese Verfahren verwendet, um ihre Funktionsweise exemplarisch anhand einer Auswahl von Dihydrotetraazaanthrazenen (im Folgenden Azaazene genannt) zu demonstrieren. Deswegen wurde von zehn Vertretern dieser Klasse mithilfe vorgenannter Verfahren dasjenige Molekül selektiert, welches zusammen mit dem etablierten Akzeptormolekül PCBM die leistungsfähigste Solarzelle erwarten lässt. Weiterhin wurde die makroskopische Eigenschaft der Lochmobilität ebendieses ausgewählten Moleküls genannt A6 für mehrere Mikromorphologien bestimmt und anhand all dieser Ergebnisse eine Aussage zur Eignung von A6 für photovoltaische Anwendungen getroffen (s.u.).

Quantenchemie an einzelnen Molekülen

Quantenchemische Verfahren, die für die o.g. Aufgabe genutzt werden sollen, müssen sowohl rechenunaufwändig als auch präzise genug sein, um fundierte Aussagen zu der Vielzahl an möglichen Kandidaten für die OPV treffen zu können. Die Dichtefunktionaltheorie (DFT) ist ein quantenchemisches Verfahren, welches, im Vergleich zu den meisten anderen ab-initio Verfahren, ersteres Kriterium gut erfüllt. Zudem ist es möglich, Berechnungen mittels DFT mithilfe des Programms TeraChem, welches die Architektur von Grafikkarten (GPU) äußerst effektiv zu nutzen versteht, besonders effizient durchzuführen. Doch auch diese effiziente Implementierung von DFT in TeraChem ist noch nicht ausreichend schnell, um hunderte von Molekülen in kurzer Zeit auf ihre Eignung für die OPV hin zu untersuchen. Eine Möglichkeit, quantenchemische Berechnungen noch weiter zu beschleunigen, besteht in der Nutzung der sogenannten effektiven Kernpotenziale (ECP), welche es ermöglichen, die Kernelektronen, welche keinen signifikanten Beitrag zu chemischen Bindungen leisten, nicht explizit in der Berechnung zu berücksichtigen. Die Standardimplementierung dieses Algorithmus wurde jedoch nicht für die effiziente Nutzung aktueller Hardware entwickelt, was dafür sorgt, dass sie, besonders in Fällen, in denen effektive Kernpotenziale für viele Atome gleichzeitig Anwendung finden sollen, sehr langsam ist. Aus diesem Grund wurde in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Todd Martínez von der Universität Stanford ein speziell auf GPUs zugeschnittener ECP-Algorithmus entwickelt und in TeraChem implementiert, der, je nach Anwendungsszenario, bis zu mehrere Größenordnungen schneller ist als die Standardimplementierung.

Vor einigen Jahren wurde ein Verfahren entwickelt, das es ermöglicht, mit DFT die Energielagen des höchsten besetzten Molekülorbitals (HOMO) und des niedrigsten unbesetzten Molekülorbitals (LUMO), also diejenigen molekularen Parameter, die im Wesentlichen bestimmen, ob eine Solarzelle überhaupt einen Strom liefern kann, für Einzelmoleküle im Vakuum mit hoher Genauigkeit vorauszusagen. Während dieses sogenannten γ-Tunings (oder auch ω-Tunings) wird ein Parameter des genutzten Dichtefunktionals an die zu beschreibende chemische Verbindung ohne die Zuhilfenahme experimenteller Daten angepasst. Dieses Verfahren wurde auf realitätsnähere Umgebungen als das Vakuum erweitert, indem es mit sogenannten Modellen der polarisierbaren Kontinua generell und dem leiterartigen Modell der elektrostatischen Abschirmung (COSMO) im Speziellen verbunden wurde. Diese Verbindung kann auf verschiedene Arten geschehen. Eine davon, das sogenannte partiell vertikale γ-Tuning (PVγT), wurde bereits in der Literatur beschrieben und erfolgreich dafür verwendet, um die Änderung in den Energielagen des HOMOs und des LUMOs beim Übergang von Einzelmolekülen zu Festkörpern zu beschreiben (auch „gap renormalisation“ genannt). Dieses PVγT kann jedoch nicht dafür genutzt werden, um physikalisch sinnvolle Ergebnisse für die Differenz zwischen der niedrigstmöglichen Anregungsenergie und dem energetischen Abstand zwischen HOMO und LUMO zu liefern. Aus diesem Grund wurde ein neues Verfahren, das sogenannte strikt vertikale γ-Tuning (SVγT), entwickelt und seine Durchführung in diesem Projekt erstmalig beschrieben. Dieses SVγT kann nun jedoch im Gegensatz zum PVγT nicht dafür genutzt werden, den Prozess namens „gap renormalization“ zu beschreiben. Im Endeffekt bedeutet dies, dass beide Verfahren des γ-Tunings kombiniert genutzt werden müssen, um sowohl Energielagen in Festkörpern als auch die Differenz zwischen den zwei vorgenannten Energielücken zu beschreiben.

Wird eine Kombination von SVγT, PVγT und zeitabhängiger DFT auf zehn ausgewählte, in diesem Projekt im Detail betrachtete Azaazene angewendet, stellt sich heraus, dass sich eines von ihnen, A6 genannt, am besten dafür eignet, zusammen mit PCBM zur Herstellung einer organischen Solarzelle verwendet zu werden. Abgesehen von A6 und A8 ist keines der zehn Moleküle in der Lage, ein durch Absorption von Licht erzeugtes Elektronen-Loch-Paar an der Grenzfläche zu PCBM durch Ladungsübertrag zu trennen. Dies ist jedoch unerlässlich, damit eine organische Solarzele funktionieren kann. Weiterhin liegt die Absorption von A6 bei niedrigeren Energien als die von A8, was bedeutet, dass A6 einen größeren Teil des Spektrums der Sonne zur Energieumwandlung verfügbar machen kann. Zusätzlich zu den Energielagen von HOMO und LUMO wurde die Wahl von A6 anhand der sogenannten Ladungstransferenergie getroffen, deren theoretische Bestimmung ohne die Verwendung empirischer Korrekturen erstmalig in der vorliegenden Dissertationsschrift beschrieben wird.

Jenseits von Einzelmolekülen

Zusätzlich zu molekularen Eigenschaften spielt die innere Morphologie für organische Solarzellen eine große Rolle, da diese maßgeblich die Eigenschaften wie die Lichtabsorption, besonders aber die Ladungsleitung, beeinflusst. Derzeit in Verwendung befindliche theoretische Verfahren zur Vorhersage solcher Morphologien weisen ernstzunehmende Nachteile auf, da sie z.B. auf experimentelle Daten angewiesen sind, oder sich als äußerst rechenaufwändig herausstellen, oder aber leicht bis dato unbekannte Strukturen übersehen. Um diese Probleme zu umgehen, wurde im Rahmen dieses Projektes das leistungsfähige, erweiterbare und quelloffene Programm namens „EnergyScan“ entwickelt. Dieses gestattet die Voraussage von Geometrien kleiner und mittelgroßer Aggregate, welche als Basis für die Erstellung größerer Strukturen dienen können. Der innerhalb von EnergyScan verwirklichte Ansatz besteht aus drei Schritten: Zuerst wird die Potenzialfläche des Aggregates abgerastert und entsprechende Energiewerte gespeichert. Darauffolgend werden aus der Vielzahl an Aggregaten und zugeordneten Energiewerten diejenigen herausgesucht, welche lokale Energieminima darstellen. Aus dieser Menge an Energieminima wird schlussendlich ein kleiner, möglichst diverser Satz an Aggregaten extrahiert. Diversität versteht sich in diesem Fall im Sinne von paarweisen mittleren quadratischen Abweichungen zwischen kartesischen Kernkoordinaten.

Eine angepasste Version des Programms OpenBabel bildet das C++-Backend des auf Python basierenden Programms EnergyScan. Änderungen an OpenBabel umfassen u.a. neue Routinen, die die Erstellung von Aggregaten und die Manipulation von einzelnen Molekülen innerhalb eines Aggregates ermöglichen, sowie die Prüfung, ob einzelne Moleküle innerhalb eines Aggregates einander überlappen. Es wurden ebenfalls generelle Leistungsverbesserungen durchgeführt, wie z.B. die Verringerung des Speicheraufwandes für den dritten Schritt von EnergyScan um mindestens die Hälfte. In seiner aktuellen Form wird die Potenzialfläche im ersten Schritt mittels in OpenBabel implementierter Kraftfelder durchgeführt. Es konnte gezeigt werden, dass dies ausreichend ist, um sowohl bekannte als auch neue Dimerstrukturen des Harnstoffmoleküls vorherzusagen. Das Program EnergyScan sollte jedoch zukünftig noch derartig erweitert werden, dass andere Methoden zur Energiebestimmung als die in OpenBabel implementierten Kraftfelder, wie z.B. semiempirische Verfahren, genutzt werden können. Zudem sollte eine Funktionalität zu EnergyScan hinzugefügt werden, die es ermöglicht, aus einmal erstellten Aggregaten mittlerer Größe noch größerer Strukturen zu erzeugen.

Wird EnergyScan auf A6 angewendet, um einen Satz von fünf Dimeren und darauf aufbauend 21 Quadrumeren zu erzeugen, sind unter diesen Geometrien sowohl solche, die gutes sogenanntes „π-π-stacking“ aufweisen, als auch solche, die dies nicht tun. Diese Diversität in den resultierenden Strukturen ist von großer Bedeutung für die realistische Beschreibung des Solarzellinneren, da die innere Morphologie organischer Solarzellen nicht dem thermodynamischen Gleichgewicht entsprechen muss.

Makroskopische Eigenschaften

Es ist mit geringem manuellen Aufwand möglich, mithilfe des umfangreichen Programmpakets VOTCA-CTP Ladungstransfersimulationen an makroskopischen organischen Strukturen durchzuführen. Um dies für A6 tun zu können, wurden die im vorhergehenden Schritt erzeugten Quadrumere zuerst auf makroskopische Dimensionen ausgedehnt. Um den Rahmen dieses Projektes nicht zu übersteigen, wurden von den 21 Strukturen diejenigen beiden Quadrumere für dieses Vorgehen gewählt, die aufgrund ihrer stark unterschiedlichen molekularen Packungen ebenso stark unterschiedliche Lochmobilitäten erwarten lassen. Zudem wurden die ausgedehnten festkörperartigen Strukturen sowohl morphologisch als auch die simulierte Lochmobilität betreffend mit einer die experimentelle Kristallstruktur repräsentierenden Struktur (im Weiteren schlicht „Kristall“ genannt) verglichen. Die durchgeführten Ladungstransfersimulationen zeigen klar eine starke Richtungsabhängigkeit der Lochmobilität von A6, unabhängig von der untersuchten Packung. Der Kristall besitzt dabei die höchste Lochmobilität, was daher rührt, dass er von allen drei Strukturen am dichtesten gepackt ist und „π-π-stacking“ aufweist. Obschon die erhaltenen Lochmobilitäten eine klare Temperaturabhängigkeit aufweisen, können aus dieser keine quantitativen Schlüsse gezogen werden, da thermisch bedingte Fluktuationen in den Kernpositionen in den Simulationen vernachlässigt wurden.

Eignung von A6 für die OPV

Basierend auf den vorliegenden Ergebissen kann gefolgert werden, dass A6 zwar kein perfektes aber doch ein adäquates Donormaterial darstellt: In Bezug auf die Molekülorbitalenergielagen der zehn untersuchten Azaazene ist A6 einer von lediglich zwei möglichen Kandidaten, die einen Ladungstransfer mit PCBM durchführen können. Obwohl für A6 ungefähr die selbe offene Klemmspannung wie für A8, also den anderen Kandidaten, erwartet werden kann, absorbiert A6 jedoch bei signifikant niedrigeren Energien und kann somit einen größeren Teil des Sonnenspektrums verfügbar machen. Der Ladungstransport durch eine makroskopische Struktur von A6 ist jedoch stark richtungsabhängig. Dieser Effekt ist besonders stark ausgeprägt in Stukturen, die keine so dichte Packung wie die Kristallstruktur aufweisen, also solchen, die in echten organischen Solarzellen wahrscheinlich vorliegen. Diesem Fakt muss bei der Solarzellherstellung besonders Rechnung getragen werden, indem durch die Herstellungsverfahren sichergestellt wird, dass die Richtung des „π-π-stacking“ und die gewünschte Ladungstransferrichtung miteinander übereinstimmen. Die Gültigkeit der hier getroffenen Aussagen sollte anhand von mit entsprechenden Verfahren hergestellten Solarzellen, die aus PCBM-A6 (und möglicherweise aus PCBM-A8) bestehen, geprüft werden.

Abschießende Bemerkungen

Zusammenfassend kann man sagen, dass im Rahmen dieses Projektes Erweiterungen zu computergestützten Verfahren erstellt und beschrieben wurden, die sowohl die Ebene von Einzelmolekülen betreffen, als auch solche, die darüber hinausgehend bis hin zur makroskopischen Ebene anwendbar sind. Nach bestem Wissen ist dies das erste Mal, dass eine solche Vielzahl an unterschiedlichsten computergestützten Verfahren kombiniert wird, um die Eignung chemischer Substanzen für eine Anwendung in der organischen Photovoltaik zu beurteilen. Im Weiteren stellen die dargelegten Verfahren eine solide Grundlage für weitere Forschung in diese Richtung dar, nicht zuletzt, da sie in großen Teilen jedem Interessierten frei verfügbar sind, und somit auch, möglicherweise, in andere Forschungsbereiche Einzug halten könnten.

AZ: 20014/320

Zeitraum

01.06.2014 - 31.05.2017

Institut

Friedrich-Schiller-Universität Jena
Institut für Physikalische Chemie

E-Mail

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Betreuer

Prof. Dr. Benjamin Dietzek