Ökosystemdienstleistungen und Totholzanreicherung – Menge versus Vielfalt
Zielsetzung und Projektbeschreibung:
Die zunehmende Intensität der Landnutzung während der letzten 50 Jahre führte zu starken Veränderungen in der Struktur von Ökosystemen, die den Verlust von Biodiversität nach sich ziehen können, aber auch die Aufrechterhaltung von Ökosystemdienstleitungen wie die Bereitstellung von Rohstoffen, Reinigung von Luft und Wasser oder CO2-Speicherung gefährden. Insbesondere Waldökosysteme sind hiervon betroffen. Eine der augenfälligsten Veränderungen ist der Rückgang der Totholzvorräte im Wald. Totholz und seine Bewohner spielen jedoch eine wichtige Rolle in der Rückführung von Nährstoffen, CO2-Speicherung oder der Verjüngung bestimmter Waldgesellschaften. Zudem sind circa 30% der in Wäldern lebenden Arten an Totholz gebunden. Erkenntnisse über den Beitrag von Totholz zu diesen unverzichtbaren Ökosystemdienstleitungen sowie dessen Bedeutung für die Biodiversität haben daher zu einer breiten Akzeptanz für das Belassen von Totholz im Wald geführt, die jedoch aufgrund steigender Energieholzpreise einem zunehmenden Nutzungsdruck gegenübersteht. Um diesen Konflikt zu lösen, wird von Seiten der Praxis zunehmend der Bedarf nach optimierten Nutzungskonzepten verlautbart.
Ziel dieses Promotionsvorhabens ist es, am Beispiel der funktional vielfältigen Artengruppe der Totholzkäfer die Effekte von Totholzmenge und -diversität auf biologische Vielfalt und Abbauprozesse zu untersuchen.
Zu diesem Zweck wurden innerhalb der montanen Bergmischwaldzone des Nationalparks Bayerischer Wald 190 Versuchsflächen angelegt. Auf diesen wurden definierte Mengen und Qualitäten an Totholz so platziert, dass sämtliche Kombinationen der Faktoren Mikroklima (offene und geschlossene Waldbestände), Ressourcenverfügbarkeit (Totholzmenge) und Ressourcendiversität (Baumart und Dimension des Totholzes) abgedeckt werden. Über drei Jahre hinweg sollen nun auf diesen Flächen xylobionte Käfer mittels Flugfenster- und Barberfallen sowie Stammeklektoren gefangen und bestimmt werden. Totholzkäfer sind für die vorliegende Fragestellung besonders geeignet, da sie eine sehr diverse Gruppe mit zahlreichen hochspezialisierten Arten darstellen, über die ein hoher Wissensstand vorliegt. Desweiteren werden auch Laufkäfer, Spinnen, Springschwänze und xylobionte Wanzen erfasst, die ebenfalls von der Erhöhung der strukturellen Vielfalt durch die Anreicherung von Totholz profitieren. Um die Effekte des liegenden Totholzes auf Boden und Nährstoffhaushalt zu untersuchen, werden auf allen Versuchsflächen Bodenproben entnommen und analysiert. Die Aktivität von Bodenorganismen beim Abbau organischer Substanz wird mit Hilfe sogenannter „Bait Lamina“ erfasst. Durch die Berechnung von gemischten generalisierten linearen Modellen, Pfadanalysen und partiellen Redundanzanalysen sollen die komplexen Beziehungen zwischen Totholzmenge, -diversität und -dimension sowie deren Effekte auf xylobionte Artengemeinschaften in offenen und geschlossenen Wäldern aufgeschlüsselt werden.
Auf Basis der gewonnen Erkenntnisse sollen wissenschaftlich begründete Empfehlungen abgegeben werden, wie eine Totholzanreicherung trotz zunehmender ökonomischer Zwänge optimiert werden kann. Diese Ergebnisse können sowohl in Naturschutzkonzepten von Forstbetrieben als auch in staatlichen Förderprogrammen Eingang finden und damit einen wichtigen Beitrag zu einer integrativen Waldbewirtschaftung leisten.
Stand November 2014:
Xylobionte Käfer und Wanzen
Mit Hilfe der Fensterfallen konnten 2012 und 2013 insgesamt rund 1500 Käferarten nachgewiesen werden, wovon 460 Arten als xylobiont eingestuft sind. Vorläufige Auswertungen zeigen, dass die Zusammensetzung der Artengemeinschaften je Versuchsfläche stark vom Mikroklima geprägt ist. Das bedeutet, schattige Bestände und besonnte Freiflächen werden von unterschiedlichen Artengemeinschaften besiedelt. Desweiteren finden sich unabhängige Effekte der Totholzmenge und –diversität: Die Artenzahl xylobionter Käfer steigt signifikant mit der Menge ausgebrachten Totholzes und mit steigender Totholzdiversität.
Auch wenn die endgültige Auswertung des Gesamtdatensatzes inklusive der Fänge aus 2014 abzuwarten bleibt, würden diese unabhängigen Effekte bedeuten, dass bei der Anreicherung von Totholz nicht nur auf die Menge sondern auch auf die Art des Totholzes und das Mikroklima geachtet werden müsste. Wenn sich die Ergebnisse bestätigen, würde dies bedeuten, dass bei Bereitstellung eines vielfältigen Totholzangebots die Gesamtmenge reduziert werden könnte.
Innerhalb der Ordnung der Wanzen gibt es eine geringe Anzahl echter Totholzbewohner, alle fast ausschließlich aus der Familie der Aradidaen bzw. Rindenwanzen. Auch wenn in Deutschland nur knapp über 20 Arten vorkommen, ist diese Gruppe für den Naturschutz von Bedeutung, da ein Großteil dieser Arten auf der Roten Liste geführt wird. 2012 und 2013 konnten insgesamt über 220 Tiere aus 6 Arten gefangen werden (Seibold et al. 2014). Die Auswertung zeigte, dass obwohl diese Arten an Holzpilzen fressen, nicht die Abundanz bestimmter Pilzarten, sondern die Totholzmenge die Häufigkeit der Rindenwanzen erklärte. Dies lässt darauf schließen, dass Rindenwanzen bei der Lokalisierung neuer Habitate eher den Duftstoffen von Holz als denen von Pilzen folgen. Desweiteren lässt sich für den Naturschutz ableiten, dass die Anreicherung von Totholz auf besonnten Flächen dieser gefährdeten Artengruppe zu Gute kommt.
Epigäische Insekten
Mit Hilfe der Barberfallen wurden 2012 und 2013 insgesamt 464 epigäische Käferarten, 229 Spinnenarten und 36 Collembolenarten (nur 2012) nachgewiesen. Bei allen drei Artengruppen zeigt sich wiederrum eine klare Separierung der Artengemeinschaften nach Mikroklimaten. Desweiteren zeigt sich ein Anstieg der Collembolendichten mit Erhöhung der strukturellen Vielfalt in Form von Totholz, sowie höhere Dichten von Käfern und Collembolen an Totholz als in 2m Entfernung. Ebenso finden sich höhere Artenzahlen von Spinnen und Käfern unmittelbar an Totholz. Diese Ergebnisse zeigen, dass Totholz auch für nicht-xylobionte Artengruppen von Bedeutung ist und diese zumindest teilweise sogar fördert. Die Anreicherung von Totholz kann also ohne Schaden für diese Artengruppen durchgeführt werden.
Abbauaktivität von Bodenorganismen
Die Abbauaktivität der bodenlebenden Organismen war wie zu erwarten vom Mikroklima geprägt mit höheren Abbauraten auf besonnten Flächen. Desweiteren stieg die Abbauaktivität mit der Menge ausgebrachter Äste. Stämme hatten keinen signifikanten Effekt. Diese Ergebnisse zeigen, dass die schnelle Umsetzung schwachen Totholzes bereits im dritten Jahr nach der Ausbringung durch die Rückführung von Nährelementen zu einer Förderung der Destruentengemeinschaften führt. Dieser Effekt ist bei vergleichsweise schwach zersetztem starkem Totholz zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu finden. Die Bedeutung von schwachem Totholz für die Funktionalität der Destruentengemeinschaften und Nährstoffkreisläufe im Wald wird dadurch unterstrichen und sollte bei der Energieholzgewinnung unbedingt beachtet werden.
Zusammenfassung
Totholz ist einer der zentralen Streitpunkte in der Diskussion um Biodiversität, Ökosystemdienstleistungen und Forstwirtschaft. Totholzanreicherung hat starke, positive Effekte auf xylobionte Arten aber auch auf nicht-xylobionte Arten wie Laufkäfer oder Spinnen. Neben der Totholzmenge ist die Art und Vielfalt des angereicherten Totholzes von großer Bedeutung und sollte daher in Totholzkonzepten berücksichtigt werden. Darüber hinaus zeigen sich bereits kurz nach Ausbringung von schwachem Totholz positive Effekte auf die Funktionalität von Destruentengemeinschaften, was die Bedeutung dieser Ressource für Waldökosysteme unterstreicht.