Analyse landschaftsgenetischer Aspekte mittels eines neuartigen interdisziplinären Methodenansatzes
Klimawandel und eine stetig intensivere Landnutzung durch den Menschen sind allgemeinhin als treibende Faktoren hinter dem globalen Biodiversitätsverlust anerkannt. Betrachtet man beide Faktoren gemeinsam ist anzunehmen, dass sich dieser Verlust in Zukunft weiter verstärkt und damit sämtliche Befürchtungen übertrifft. Vor allem Habitatverlust und –fragmentierung sind sehr problematisch, da hierdurch der Austausch von Individuen zwischen Populationen gebremst oder gar komplett unterbunden wird. Dieser Austausch ist jedoch notwendig um die negativen Effekte des Klimawandels zu kompensieren, etwa indem sich Artareale verschieben könnten. Dies kann ungeheure negative Effekte auf demographische oder genetische Eigenschaften von betroffenen Populationen haben.
Um diesen Effekten entgegenzuwirken, und damit effektivere Schutzbemühungen zu entwickeln, ist Wissen zur Konnektivität von Populationen unerlässlich. Diese Dissertation soll einen Beitrag zu diesem Wissen leisten, indem Methoden verschiedener Fachdisziplinen zusammengeführt werden, um diese für die Umweltplanung und der Raumökologie anwendbar zu machen. Dieses in den Kapiteln 1 und 2 als „potentitelles Konnektivitätsmodell“ (PKM) eingeführte System soll in zwei wesentlichen Themenbereichen Anwendung finden: Umweltplanung und Landschaftsgenetik. Darüber hinaus soll in einem abschließenden dritten Teil der Nutzen genetischer Informationen für prädiktive Nischenmodelle hervorgehoben werden.
Umweltplanung
Umweltplanung ist von entscheidender Wichtigkeit, um negative Einflüsse von Bauvorhaben auf Tiere und Pflanzen sowie auf deren Habitate zu bewerten und gegebenenfalls zu kompensieren. Desweiteren soll erreicht werden Biodiversität als Ganzes durch die Ausweisung von Schutzgebieten und deren Management zu schützen. Die Europäische Union hat mit der FFH und der Vogelschutz-Richtlinie (Natura 2000) ein beispielloses staatenübergreifendes rechtliches Rahmenwerk für den Naturschutz geschaffen. Allerdings forcieren diese Richtlinien stark auf die Ausweisung von Schutzgebieten anstatt auch auf eine entsprechende räumliche Vernetzung dieser Gebiete verbindlich einzugehen. Kapitel 3 stellt diesen Missstand in einem Kommentar auf eine entsprechende Facharbeit dar, die eine Vision für ein Natura 2020 aufstellt, hierbei jedoch den mangelhaften Bezug zur Konnektivität nicht andiskutiert.
Eine Quantifizierung von Konnektivität ist ebenfalls wichtig um Effekte auf lokaler Ebene von solchen auf größeren Skalenebenen zu unterscheiden. Beispielsweise sind viele Schmetterlingsarten in Offenlandlebensräumen in Mitteleuropa stark rückläufig. Der Erfolg von Schutzbemühungen wird daher kontrovers diskutiert. Kapitel 4 vergleicht Änderungen von Tagfalterzönosen in geschützten und ungeschützten Offenlandlebensräumen von 1970 bis heute. Wenngleich die Konnektivität höher zwischen ungeschützten Lebensräumen war sind die Ergebnisse sehr ähnlich bei allen Standorten: Tagfalterzönosen änderten sich von artenreichen zu artenärmeren und Generalist-dominierten Gesellschaften. Die negativen Effekte von Eutrophierung und Monotonisierung der Landschaft, sowie des Klimawandels beeinflussen sämtliche Habitate – ganz gleich wie deren Schutzbemühungen und Managementkonzepte aussehen. Daher ist es möglich mit einem Management geschützter Flächen (wie etwa einer extensiven Beweidung) großskalige Effekte abpuffern, jedoch lassen sich diese damit nicht Kompensieren.
Trotz der großen Zahl an Schutzgebieten und Bemühungen für deren Ausweisung, werden potentielle Vernetzungsstrukturen oftmals ignoriert in der Planungspraxis. Meistens ist dies darauf zurückzuführen, dass die Möglichkeiten solche Strukturen effektiv im Planungsprozess zu erfassen stark begrenzt sind. Feinskalige PKMs, die auf multispektralen Fernerkundungsdaten beruhen können einen hilfreichen Ansatz für die Umweltplanung darstellen, indem sie artrelevante Vernetzungsstrukturen räumlich explizit für strukturgebundene Arten abbilden können. Dieses Konzept wird in Kapitel 5 beispielhaft für die Zauneidechse (Lacerta agilis, L.) im Stadtgebiet von Köln vorgestellt. Das Modell zeigt sehr gut räumliche Vernetzungsstrukuren, wie beispielsweise Bahndämme an und bildet ebenfalls Habitate ab, in denen sich Populationen aufhalten. Diese Populationen können nun klar als gut vernetzt oder isoliert angesprochen werden. Durch die Implementierung von PKMs in der Planungspraxis lassen sich somit einige Unzulänglichkeiten in der Bewertung von strukturgebundenen Arten in Bezug auf die Vernetzung von Vorkommen sowie der Definition von lokalen Populationen beheben.
Landschaftsgenetik
Um zu verstehen, wie Landschaftselemente Genfluss von Arten mit unterschiedlichen ökologischen Eigenschaften beeinflussen ist es wichtig nah verwandte Arten in den gleichen Studienräumen vergleichend zu untersuchen. In Mitteleuropa stellen Dickkopffalter der Gattung Thymelicus ein solches System dar. Kapitel 6 untersucht mithilfe von PKMs welche Rolle verschiedene Landschaftselemente beim genetischen Austausch bei drei dieser Arten spielen. In der am wenigsten mobilen jedoch am stärksten spezialisierten Art T. acteon zeigte sich, dass Landnutzung ein wesentlicher Faktor für die genetische Vernetzung darstellt. Demgegenüber zeigte sich beim mobilen Generalisten T. lineola eine panmiktische genetische Struktur und somit keinerlei Korrelation mit irgendeinem der untersuchten Landschaftselemente. Bei der dritten Art, T. sylvestris, welche ökologisch zwischen seinen beiden Schwesternarten steht zeigte sich eine ausgeprägte zunehmende genetische Isolation mit der geographischen Distanz. Diese Korrelation bestand auch bei sämtlichen untersuchten Landschaftselementen. Weitaus am stärksten war diese jedoch mit den klimatischen Eigenschaften des Untersuchungsgebietes korreliert. Grundlegend deuten die Ergebnisse darauf hin, dass Arten mit graduell unterschiedlichen ökologischen Eigenschaften sich ebenfalls in ihren genetischen Antworten graduell unterscheiden. So in etwa mit der Skala, auf der die unterschiedlichen Landschaftselemente wirken. Während Landnutzung eher kleinräumig wirkt sind klimatische Charakteristika eher großräumig wirksam. Darüber hinaus beleuchtet das Kapitel die Bedeutung von der Verwendung unterschiedlicher genetischer Kennwerte bei solchen vergleichen, da mögliche Inkonsistenzen auf sich ändernde ökologische Gleichgewichte infolge menschlicher Eingriffe hinweisen können.
Neben solchen generellen Erkenntnissen ist es wichtig auch auf lokale Effekte zu achten. Landschaften sind dynamisch und damit räumlich sehr heterogen. Prozesse werden daher lokal in vielfältiger Weise beeinflusst. Genfluss als einer dieser Prozesse macht hierbei keine Ausnahme und kann durch lokale Landschaftscharakteristika unterschiedlich stark beeinflusst werden, die durch eine ganzheitliche Betrachtung, gemittelt über eine Untersuchungsregion, unter Umständen an Aussagekraft verlieren könnten. Dies führt letztlich zu räumlicher Nonstationarität wodurch die nicht erklärte Varianz in einer Korrelation zwischen genetischer Distanz und der effektiven Distanz einzelner betrachteter Faktoren zunimmt. Diese potentielle Fehlerquelle zu berücksichtigen würde unser Verständnis darüber erweitern, wie die Landschaft als Ganzes genetischen Austausch beeinflusst und welche Landschaftselemente lokal dafür verantwortlich sind. Kapitel 7 der Dissertation stellt eine Methode vor die auf den Prinzipien des statistischen Lernens beruht und welche den Zusammenhang zwischen der Landschaft und des Genflusses optimiert. Hierdurch werden Werte von Widerstandslandschaften unterschiedlicher Landschaftselemente kombiniert und in eine einzige abhängige Variable überführt und iterativ optimiert bis die Varianz des Zusammenhangs minimiert wurde. Diese Methode wird im Kapitel 7 an zwei Fallbeispielen exemplarisch vorgestellt. Die Beispiele und ein Literaturvergleich zeigen, dass die Logik der Methode eine Bereicherung für landschaftsgenetische Untersuchungen hat und einfach für verschiedene Verfahren modifiziert werden könnte, welche genetische Distanzen mit effektiven Distanzen aus der Landschaft korrelieren.
Gene zu den Nischen!
Der letzte Teil der Doktorarbeit beschäftigt sich mit den Auswirkungen, die genetische Informationen auf die konzeptionellen Grundlagen von prädiktiven Nischenmodellen (SDMs & ENMs) haben können. Die technologische Revolution der vergangenen 25 Jahre ermöglicht nun völlig neue Wege zur Untersuchung von Arealsystemen. SDMs stellen hierbei ein zentrales Werkzeug dar, da diese häufig genutzt werden um Fragen zum Globalen Wandel zu beantworten. Trotz ihrer Popularität, fehlt es diesen Modellen, neben anderen methodischen Herausforderungen, oft an biologischer Relevanz. Um diesem Problem zu begegnen kombinieren Wissenschaftler nun SDMs vereinzelnd mit genetischen Informationen. Allerdings existiert bislang kein konzeptionelles Rahmenwerk, welches populationsgenetische Aspekte in die theoretischen Grundlagen von SDMs integriert. Kapitel 8 zeigt fünf Gründe, wieso eine konzeptionelle Integration von genetischer Information in SDMs sinnvoll ist, Modellvorhersagen verbessert und die den Modellen zugrundeliegende Theorie erweitert. Im Speziellen könnten genetische Daten zeigen, wie Veränderungen in der Umwelt auf funktionale Konnektivität, räumliche genetische Struktur, Hybridisierung, dichteabhängige Effekte sowie auf Source-Sink Dynamiken wirken. Somit könnte diese Integration zu einem besseren Verständnis beitragen, wieso Arten auf bestimmte Änderungen reagieren wie sie es tun und verbessern die Möglichkeiten zur Vorhersage dieser Reaktionen. Dieses Kapitel illustriert diese Synthese mit Anthropozänen Beispielen, wo Habitatfragmentierung, biologische Invasionen, und der Klimawandel große Gefahren für die weltweite Biodiversität darstellen.