Angeln, Evolution und Schutz aquatischer Diversität
In den industrialisierten Ländern gehen Millionen von Menschen der freizeitmäßigen Angelfischerei nach. Sie stellt weltweit als auch in Deutschland selbst die dominierende Fischerei- und Nutzungsform der Süßwasser-Fischbestände dar. Hierzulande werden von Anglern etwa 45.000 t Fisch den Gewässern entnommen, während der Ertrag der kommerziellen Fischerei lediglich etwa 3.500 t beträgt. Auch die ökonomische Dimension der Angelfischerei übersteigt die der kommerziellen Seen- und Flussfischerei in Größenordnungen (6,4 Mrd. Euro in der Angelfischerei, lediglich etwa 10 Mio. Euro in der Erwerbsfischerei). Ungeachtet dessen wird die soziale, ökonomische und auch ökologische Bedeutung der Hobbyangelei weiterhin häufig unterschätzt, da die Wissenschaft bisher überwiegend auf die Auswirkungen der kommerziellen Fischerei, meist in marinen Systemen, fokussiert hat. Vergleichbar zur kommerziellen Fischerei kann allerdings auch die Angelfischerei alleine durch die schiere Zahl an Anglern an den Gewässern Fischpopulationen messbar beeinflussen und durch selektive Befischung, Fischbesatz u.ä. auf die aquatische Biodiversität einwirken. Dieses geschieht durch die Dezimierung der Individuenzahl per se sowie der Selektion begehrter Arten. Darüber hinaus ist die Angelfischerei selektiv in Bezug auf Größe, Alter, Geschlecht und bestimmte Verhaltensmuster von Fischen. Gerichtete angelfischereilich-induzierte Selektion setzt wie in der natürlichen Selektion an phänotypischen Ausprägungen an. Wenn wie üblicherweise der Fall, ein Teil des Phänotyps genetisch determiniert ist, kann die Selektion durch die Angelfischerei zu evolutionären Veränderungen führen und so die genotypische Variabilität innerhalb einzelner Fischgemeinschaften beeinflussen. Das Wissen über genotypische Veränderungen durch selektive Mortalität stammt hauptsächlich aus Untersuchungen kommerzieller Fischerei, allerdings sind auch in der Angelfischerei evolutionäre Veränderungen denkbar, wenn sich z.B. einzelne Individuen einer Art aufgrund bestimmter phänotypischer Ausprägungen besser fangen lassen und in der Folge bestimmte Gene häufiger aus dem Genpool entfernt werden als andere. Anhand von Selektionsexperimenten bei Forellenbarschen (Micropterus salmoides) konnte gezeigt werden, dass die Eigenschaft eines Fisches, gut- bzw. schlecht mit der Angel fangbar zu sein, vererbbar ist. Bisher fehlen jedoch Untersuchungen die dezidiert beschreiben, welche phänotypischen Merkmale bei Fischen zu einer guten oder schlechten Fangbarkeit führen. Allerdings ist genau dieses Wissen notwendig, um abzuschätzen zu können, welche Konsequenzen für die Biodiversität eine gerichtete Selektion durch die Angelfischerei haben kann.Ziel der der Arbeit ist es daher, am Beispiel einer angelfischereilich relevanten Fischart verschiedenste phänotypische Merkmale zu charakterisieren und deren Korrelation zur Fangbarkeit mit der Angel zu überprüfen. Dies soll am Beispiel von Karpfen (Cyprinus carpio), einem der wichtigsten Fischarten in der europäischen Binnenfischerei und insbesondere der europäischen Angelfischerei, geschehen. Die Studie findet am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin Friedrichshagen statt.Zielsetzung ZusammenfassungZiel des Vorhabens ist es, 1) durch die Analyse der Korrelation verschiedenster phänotypischer Merkmale bei Fischen mit deren Fangbarkeit durch die Handangel einen Beitrag zum Verständnis des evolutionären Potentials der Angelfischerei zu liefern sowie 2) zu analysieren, inwieweit die phänotypische Variabilität innerhalb einer Fischpopulation zum Erhalt der Population unter befischten Bedingungen beitragen kann. Die Studie liefert somit Grundlagenwissen zur Bedeutung der intraspezifischen phänotypischen Variabilität für den Erhalt von Fischpopulationen. Sie hat darüber hinaus enorme Ausstrahlungskraft für das praktische fischereiliche Management.Erste Ergebnisse zu den phänotypischen Korrelaten der Angelfabngbarkeit wurden mit Hilfe eines Teichversuchs unter Verwendung neuartiger und innovativer telemetrischer Verfahren generiert. Es zeigte sich, dass eine Fischpopulation in Gruppen gut und schlecht fangbarer Fische unterteilt werden kann. Zudem war vor allem die Aktivität der Fische positiv mit der individuellen Fangbarkeit korreliert. Weiterhin zeigten gut fangbare Fische eine signifikant höhere Wachstumsrate. Weitere Untersuchungen zu den phänotypischen Korrelaten der Angelfangbarkeit sollen unternommen werden, insbesondere in Bezug auf das Verhalten, die Physiologie und die Morphologie der Fische, um letztlich das evolutionäre Potential angelfischereilicher Selektion besser einschätzen zu können.