Promotionsstipendium: Dr. Franziska Tanneberger

Schlüsselfaktoren und Entwicklungspotential von Lebensräumen des Seggenrohrsängers (Acrocephalus paludiola) im Unteren Odertal und Empfehlungen für deren dauerhafte Wiederherstellung

Das Entwicklungspotential von Lebensräumen des Seggenrohrsängers im Unteren OdertalPlease scroll down for an English version! ZUSAMMENFASSUNGDer Seggenrohrsänger (Acrocephalus paludicola) ist die einzige global bedrohte Singvogelart Kontinentaleuropas. Noch um 1900 gehörte er zu den häufigsten Vogelarten der europäischen Niedermoore. Im Laufe des 20. Jh. brach die Weltpopulation aufgrund von Habitatverlust durch Moorentwässerung und landwirtschaftliche Intensivierung zusammen. Aktuell besteht die Weltpopulation nur noch aus ca. 12 500 singenden Männchen, von denen die Kernpopulation (ca. 90%) in Weißrussland, Ostpolen und in der Ukraine brütet. Die kleine und geographisch isolierte Pommersche Population (Nordost-Deutschland/Nordwest-Polen, aktuell 80 singende Männchen) stellt den letzten Rest eines vormals großen Vorkommens im westlichen Mitteleuropa dar und ist akut vom Aussterben bedroht. Ihr Schutz hat hohe Priorität, die sich z.B. in einem CMS Memorandum of Understanding (2003) widerspiegelt.Hauptanliegen dieser Arbeit war es, die wissenschaftliche Basis für den Schutz und die Wiederherstellung von Habitaten der pommerschen Seggenrohrsänger auszuarbeiten. Deren geringe Kenntnis hat – im Gegensatz zur gut untersuchten Kernpopulation ? Schutz-maßnahmen bisher erschwert. Da Sukzession als Hauptgrund für die Habitatverschlechterung vermutet wurde, wurden insbesondere Vegetations- und Standortparameter als Schlüsselfaktoren der Habitatwahl, die besten noch verfügbaren Habitatbedingungen sowie diese erhaltende bzw. wiederherstellende Landnutzungsformen untersucht. Während der Brutsaisons 2004-2006 wurden alle aktuell vom Seggenrohrsänger besiedelten pommerschen Gebiete sowie viele kürzlich von der Art aufgegebene und potentiell geeignete Gebiete untersucht. Daten zur Vegetationsstruktur (z.B. Vegetations- und Streuschichthöhe, Vegetationsdichte), Boden- und Nährstoffverhältnissen, Arthropodenfauna, Landnutzung und Habitat-Heterogenität wurden in Hinblick auf das Vorkommen von singenden Männchen analysiert. Außerdem wurden die Nistplatzwahl und das Fütterungsflugverhalten des Weibchens und die Nahrung der Nestlinge (mittels einer Surrogatart) untersucht.Anhand der detaillierten Analyse aller aktuellen Brutgebiete wurde deutlich, dass die weniger nährstoffreichen küstennahen Gebiete Schilfvegetation mit einer gut entwickelten Krautschicht aufweisen (z.B. das Rozwarowo-Moor, das größte Brutgebiet der pommerschen Population) und dass die Gebiete im unteren Odertal nährstoffreicher sind und eine charakteristische Vegetation aus Carex acuta, Phalaris arundinacea und Wiesengräsern aufweisen (z.B. der Nationalpark Unteres Odertal, das letzte Brutgebiet der Art in Deutschland).Wie in der Kernpopulation weisen optimale Gebiete im späten Mai/frühen Juni eine unter 70 cm hohe, schüttere Vegetation mit einer Deckung der unteren Krautschicht von ca. 20% und der oberen Krautschicht von weniger als 60% auf. Im Gegensatz zu den Kernpopulations-Habitaten, in denen die Wasserhöhe bis zu 20 cm beträgt und eine dicke Streuschicht für den Bau von Nestern über dem Wasserniveau benötigt wird, ist die Wasserhöhe nur 0-1 cm und die Dicke der Streuschicht unter 10 cm. Dies hängt wahrscheinlich mit dem besseren Nahrungsangebot auf relativ trockenen Flächen mit geringer Streuschicht zusammen. Ebenfalls anders als bei der Kernpopulation ist die Habitat-Heterogenität hoch, und das Weibchen bevorzugt bestimmte Bereiche mit einem Höhensprung in der Vegetation (Mahdkanten, Gräben) und feuchtere Bereiche (Gräben, Senken) für die Futtersuche. Die Distanz zwischen diesen Bereichen mit ausreichendem Nahrungsangebot und den Nistplätzen verursacht (möglicherweise ungünstige) längere Suchflüge, erlaubt aber immer noch erfolgreiche Bruten. Eine vertiefende Analyse der Nistplätze und des Bruterfolgs sowie eine Analyse der Populationsentwicklung und ?dynamik werden empfohlen.Die Nährstoffbedingungen in aktuellen und potentiellen Seggenrohrsänger-Lebensräumen beeinflussen stark das für den Erhalt oder die Wiederherstellung notwendige Management. In den nährstoffreicheren Gebieten wird eine frühe Sommernutzung benötigt, um die Habitatverschlechterung zu höherer und dichterer Vegetation zu verhindern. Da diese gleichzeitig die Bruten gefährdet, wird die Schaffung eines Mosaiks aus früh und spät genutzten Flächen durch alternierende Landnutzung empfohlen. Ein solches Mosaik bietet auch eine Vielzahl von Kanten, einem bevorzugten Bereich zur Futtersuche. In den weniger nährstoffreichen Gebieten kann eine Wintermahd mit ungemähten Streifen (zur Verbesserung des Angebots an Nahrungs- und Nistmaterial) derzeit geeignete Bedingungen erhalten. Eine Eutrophierung sollte verhindert und zur Habitatwiederherstellung sollte Sommermahd eingesetzt werden. Derartige ?nasse? Landnutzung auf Mooren (Paludikultur) bietet eine Vielzahl von positiven Effekten in Bezug auf Klima, Biodiversität und lokale Sozioökonomie.SUMMARYThe Aquatic Warbler (Acrocephalus paludicola) is the only globally threatened passerine bird species in continental Europe. Around 1900, it was one of the most common birds in European fen mires. The world population collapsed in the course of the 20th century due to habitat loss caused by wetland drainage and agricultural intensification. Currently, the world population is approx. 12 500 singing males, of which the current core population (approx. 90%) breeds in Belarus, Eastern Poland and Northern Ukraine. The small and geographically isolated population in Pomerania (Northeast Germany/Northwest Poland; 80 singing males in recent years) represents the last remnants of a formerly large western Central European population and is threatened with extinction. Its conservation has high priority (reflected e.g. in the CMS Memorandum of Understanding of 2003).The main objective of this study was to provide the scientific basis for the conservation and restoration of Aquatic Warbler habitats in Pomerania. In contrast to the well-studied core population, the poor knowledge of habitat requirements in Pomerania hampered conservation and restoration activities until recently. As it was assumed that the habitat deterioration in Pomerania is caused by vegetation succession, key vegetation and site condition parameters of habitat selection, currently best habitat conditions, and compatible land use techniques maintaining or creating such conditions were investigated.Throughout the breeding seasons 2004-2006 all sites currently used by the bird in Pomerania as well as several recently abandoned and potential sites were studied. Data on vegetation structure (e.g. vegetation and litter height, vegetation density), soil and nutrient conditions, invertebrate composition and biomass, land use, and habitat heterogeneity were analysed with regard to the occurrence of singing males. In addition, female nesting site selection and foraging behaviour and the nestling diet (using a surrogate species) has been studied. From the detailed analysis of all current breeding sites, it emerged that the less productive coastal breeding sites are characterised by dominant Phragmites australis stands with a well-developed herb layer (e.g. Rozwarowo Marshes, the stronghold of the species in Pomerania), and that the sites in lower Oder valley are more productive and dominated by Carex acuta, Phalaris arundinacea, or meadow grasses (e.g. Lower Oder Valley National Park, the last breeding site in Germany).As in the core population sites, optimal conditions during late May/early June include a vegetation height of less than 70 cm, a cover of the lower herb layer of approx. 20% and of the upper herb layer of less than 60%, i.e. rather sparse vegetation. In contrast to the core population sites, where the water height is up to 20 cm and a thick litter layer is needed for building nests above it, in Pomerania the water height is only 0-1 cm and the thickness of the litter layer less than 10 cm. This is probably connected to the larger invertebrate biomass on moist sites with a small litter layer. Again in contrast to the core population sites, habitat heterogeneity is high and specific foraging habitats with a vegetation height gradient (edges between used and not used areas, ditches) and with moister conditions (ditches, depressions) are preferred by females provisioning their nestlings. The distance between foraging habitats with sufficient food supply and nesting sites cause (probably unfavourably) long foraging flights, but still allows successful breeding. A refined analysis of nesting site conditions and breeding success as well as of population development and exchange between breeding sites is recommended.Trophic conditions in current and potential Aquatic Warbler habitats strongly influence the management needed to maintain or restore suitable conditions in Pomerania. Early summer land use is needed in the more productive sites to prevent habitat deterioration by succession to higher and denser vegetation. As this also poses a serious threat to broods, it is recommended to create a mosaic of early and late used patches by alternating land use. Such a mosaic also offers edges as preferred foraging habitats. In the less productive sites, winter mowing can maintain suitable habitat conditions. Small stripes should be left uncut to increase prey availability and to provide nest-building material. Further eutrophication needs to be prevented, and habitat restoration is probably best supported by summer mowing. Such land use on mires and re-wetted peatlands belongs to a variety of wet, environmentally harmless forms of peatland agriculture and forestry (so-called paludiculture) that offer climate, biodiversity, and socio-economic benefits.PUBLIKATIONEN / PUBLICATIONSTanneberger F, Bellebaum J, Dylawerski M, Fartmann T, Jurzyk S, Koska I, Tegetmeyer C, Wojciechowska M (in press): Habitats of the globally threatened Aquatic Warbler (Acrocephalus paludicola) in Pomerania ? site conditions, flora, and vegetation characteristics. Botanische Jahrbücher für Systematik, Pflanzengeschichte und PflanzengeographieOppel S, Pain DJ, Lindsell J, Lachmann L, Diop I, Tegetmeyer C, Donald PF, Anderson G, Bowden C, Tanneberger F, Flade M (in press) High variation reduces the value of feather stable isotope ratios in identifying new wintering areas for aquatic warblers in West Africa. Journal of Avian BiologyTanneberger F, Flade M, Preiksa Z, Schröder B (2010) Habitat selection of the globally threatened Aquatic Warbler at the western margin of the breeding range and implications for management. Ibis 152: 347-358.Tanneberger F, Tegetmeyer C, Dylawerski M, Flade M, Joosten H (2009): Slender, sparse, species-rich ? winter cut reed as a new and alternative breeding habitat for the globally threatened Aquatic Warbler. Biodiversity and Conservation 18: 1475-1489 Tanneberger F, Bellebaum J, Helmecke A, Fartmann T, Just P, Jehle P, Sadlik J (2008): Rapid deterioration of aquatic warbler Acrocephalus paludicola habitats at the western margin of its breeding range. Journal of Ornithology 149 (1):105-115Tanneberger F, Flade M, Joosten H (2005): An Introduction to Aquatic Warbler conservation in Western Pomerania. In: Kotowski W (ed.): Anthropogenic influence on wetlands biodiversity and sustainable management of wetlands. WETHYDRO Monographs. Warsaw Agricultural Press, Warsaw. p. 97-106

AZ: 20004/752

Zeitraum

01.04.2005 - 31.03.2008

Institut

Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
Institut für Botanik und Landschaftsökologie
Arbeitsgruppe Moor- und Paläoökologie

Betreuer

Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joosten