Schildläuse im Weinbau – Befallsursachen und Grundlagen für ein umweltschonendes SchädlingsmanagemenZUSAMMENFASSUNGIn den Jahren 1998 bis 2001 wurden Untersuchungen zu Artenspektrum, Biologie und Synökologie der im Weinbau auftretenden Schildläuse durchgeführt. Damit sollte eine Arbeitsgrundlage geschaffen werden, auf deren Basis später praxisorientierte Versuche geplant und durchgeführt werden können.Bei den fünf an Reben gefundenen Schildlausarten handelt es sich durchweg um polyphage Arten, die auch noch eine Vielzahl anderer Wirtspflanzen besiedeln können. Bis auf die Schildlaus Pulvinaria vitis konnten alle an Reben gefundenen Schildlausarten auch im direkten Umfeld von Rebanlagen auf alternativen Wirtspflanzen nachgewiesen werden. Neu für die deutsche Fauna war dabei die Pfirsichschildlaus Parthenolecanium persicae. Weitere 21 Schildlausarten, die zum Teil als alternative Wirtstiere der Parasitoide der Rebenschildläuse dienen können, konnten im direkten Umfeld von Rebanlagen nachgewiesen werden. Von diesen 21 Arten konnten drei auch auf Begrünungspflanzen innerhalb von Rebanlagen nachgewiesen werden.Das Spektrum der natürlichen Feinde der Rebenschildläuse wurde ermittelt. Es konnte gezeigt werden, dass eine Reihe von Wechselwirkungen mit Organismen innerhalb und außerhalb der Rebanlage existieren, die für die Populationsentwicklung einer Rebenschildlaus im Weinberg von Bedeutung sein können. Von den 12 Parasitoid Species, die an Rebenschildläusen nachgewiesen wurden, konnte eine Art innerhalb der Begrünung an einem alternativen Schildlauswirt, der die Rebe nicht befällt, nachgewiesen werden. Neun dieser Arten konnten aus Rebenschildläusen, die im Umfeld von Rebanlagen alternative Wirtspflanzen besiedelten, und acht aus alternativen Schildlauswirten, gezüchtet werden. Drei Räuber und drei Parasitoide, die als natürliche Feinde der Rebenschildläuse bekannt sind, konnten nur aus alternativen Schildlauswirten im Umfeld von Rebanlagen nachgewiesen werden. Bei den Parasitoiden der Rebenschildläuse reicht das Spektrum von monophagen Arten wie Blastothrix hungarica, die ausschließlich Parthenolecanium persicae parasitiert, bis zu polyphagen Arten, wie Coccophagus lycimnia, die sowohl P. corni, P. persicae, Pulvinaria vitis als auch eine Vielzahl von anderen Schildlausarten außerhalb von Rebanlagen parasitiert. Im Fall dieser Species wäre eine gezielte Förderung des Nützlings durch eine geeignete Bepflanzung von Rebböschungen denkbar.Für die natürliche Regulation der Schildläuse im Weinbau kann entscheidend sein, wie viele Arten von Rebenschildläusen auf einmal auftreten, welche Pflanzen in der Begrünung und im Umfeld der Rebanlagen zu finden sind und welche Schildlausarten sich dort jeweils ansiedeln. Die Kenntnis solch komplexer qualitativer Wechselwirkungen ist die Voraussetzung für das Verständnis quantitativer Prozesse im Feld. Der Versuch einer Quantifizierung der jeweiligen Wechselwirkungen wurde nicht unternommen. An diesem Punkt könnten Nachfolgestudien ansetzen.Für die Einschätzung der Bedeutung einzelner Parasitoide ist die Kenntnis ihrer Generationszahl, der Phasen ihrer Aktivität sowie der Mechanismen der Synchronisation ihrer Entwicklung mit der ihrer Wirte notwendig. Mit Hilfe von Gelbschalen wurde drei Vegetationsperioden hindurch die Aktivitätsdichte der Schildlausparasitoide bestimmt, mit Zuchtergebnissen und mikroskopischen Untersuchungen abgeglichen und daraus Generationszahlen und Überdauerungsstrategien im Weinberg ermittelt.Für das Verständnis der Befallsursachen und der Populationsdynamik der Schildläuse war es notwendig, Methoden zur Quantifizierung des Befalls zu erarbeiten. Es stellte sich heraus, dass es weder auf einem befallenen Stock noch in einer befallenen Anlage oder in einem größeren Gebiet homogene Verteilungsmuster gibt. Es wurden die Phänologie und das Wanderungsverhalten der Schildläuse studiert und die Befallsmuster auf dem Stock zu unterschiedlichen Jahreszeiten sowie jene in kompletten Anlagen ermittelt. Die Schildlausbestände der untersuchten Anlagen waren negativ-binomial verteilt. Da die vorgefundenen Verteilungen eine Zufallsbeprobung bei Versuchen nicht zulassen, wurden Ansätze ausgearbeitet, anhand derer sich praxisorientierte Experimente zur Bekämpfung von Schildläusen in Rebanlagen auswerten und quantifizieren lassen. Neu dabei ist die Vor- und Nachbonitur markierter Stöcke und Blätter und bei letzteren die Konstruktion und der Einsatz eines Geländebinokulars. Das Studium der Populationsdynamik von Schildläusen an Einzelstöcken durch die Erstellung von Lebenstafeln entpuppte sich aus verschiedenen Gründen als fragwürdig:1. Durch den Rebschnitt finden drastische und gleichzeitig chaotische Eingriffe in die Schildlauspopulation eines einzelnen Stockes statt.2. Die Anzahl der Eier ist so groß (bis zu 3500), dass bereits Änderungen in der Gesamtmortalität der Schildläuse im Promillebereich – die jedoch weit unterhalb der Messgenauigkeit von Feldmethoden liegen – zu einer Vervielfachung der Schildlauspopulation führen können.Trotz dieser Schwierigkeiten wurden mit Hilfe der Bonitur kompletter Rebanlagen Verfahren entwickelt, anhand derer allgemeine Veränderungen in der Populationsdichte – trotz chaotischer Eingriffe am Einzelstock – beschrieben werden können. Der allgemeine Effekt einer Kulturmaßnahme (Zeitpunkt des Rebschnittes) auf eine Schildlauspopulation konnte visualisiert und mit parameterfreier Statistik überprüft werden.Zur Ermittlung der Todesursachen von Schildlauslarven wurden Licht- und Rasterelektronenmikroskope eingesetzt.Im Hinblick auf die Ursachen des Schildlausbefalls kann für alle fünf Arten ausgeschlossen werden, dass Massenvermehrungen durch generelles Fehlen natürlicher Feinde begründet sind. Ebenso können vermeintliche Nebenwirkungen von Pflanzenschutzmitteln als generelle Ursache einer Schildlausvermehrung in Rebanlagen ausgeschlossen werden, da auch Anlagen, in denen überhaupt kein Pflanzenschutz betrieben wurde, betroffen waren. Der Phosphorsäureester ME 605, der häufig zur Bekämpfung der Traubenwickler (Lep.: Tortricidae: Eupoecilia ambiguella, Lobesia botrana) eingesetzt wird, führt zu hoher Mortalität bei Schildläusen. Nach Jahren grossflächiger insektizidfreier Bewirtschaftung von Rebanlagen blieben Schildläuse in Rebanlagen jedoch lokale, oft eng begrenzte Phänomene. An diesen Stellen liegt eine physiologische Prädisposition der Pflanze für Schildlausbefall vor, denn unbefallene Stöcke ließen sich bei Stichproben nicht erfolgreich infizieren.In Anlagen mit deutlich abgrenzbaren Schildlausherden wurden deshalb vergleichende chemische Untersuchungen des Bodens, der Blätter und des Mostes befallener und unbefallener Stöcke durchgeführt. Bei den Blattanalysen konnten keine deutlichen Unterschiede beim Stickstoffgehalt und in den Mineralstoffgehalten zwischen befallenen und unbefallenen Reben festgestellt werden. Bei den Bodenverhältnissen wurden zwar zum Teil große Unterschiede in den Nährstoffgehalten ermittelt, jedoch zeigte jede untersuchte Anlage ein anderes Bild. Beim Vergleich der Moste von Trauben unbefallener und befallener Stöcke zeigten sich Unterschiede in den Gehalten verschiedener Stickstoffverbindungen: Die Moste befallener Reben zeigten in vier von fünf Fällen höhere Gesamt-Aminosäuregehalte als die unbefallener Reben. Einmal waren die Verhältnisse genau umgekehrt.Ein Versuch zum Einfluss einer Blattdüngung auf die Mortalität von Schildläusen erbrachte wenig verwertbare Ergebnisse bis auf die Erkenntnis, dass Schildlauslarven im Sommer offenbar auch die Begrünung besiedeln und bei deren Absterben höchstwahrscheinlich auf die Rebe zurückkehren, was bisher nicht bekannt war.Eine Bekämpfung der Schildläuse ist nur dann sinnvoll, wenn sie Schäden verursachen. Bei den bisherigen Untersuchungen konnten auch bei starkem Befall keine äußerlich sichtbaren Symptome ausgemacht werden, die auf eine schildlausbedingte Schwächung der Rebe hindeuten. Rußtauschwärzungen der Trauben sind offenbar Phänomene niederschlagsarmer Gebiete und traten im Untersuchungsgebiet nur in sehr geringem Ausmaß auf. Nach dem bisherigen Stand der Kenntnis ist daher eine Schildlausbekämpfung in mitteleuropäischen Rebanlagen in der Regel nicht nötig.Forschungsbedarf besteht noch hinsichtlich folgender zwei Aspekte des Schildlausbefalls:1. Wie realistisch ist eine im Labor nachgewiesene Virusübertragung im Freiland?2. Können Schildläuse Verursacher der Holzfäuleerkrankung ESCA sein?