Die Stiftung ReFrastructure hat es sich mit dem Pilotprojekt in der Gemeinde Haar zum Ziel gesetzt die Idee einer systemübergreifenden Infrastruktur für Mehrweg im Take-Away Bereich erstmalig physisch und digital in einem Mikrokosmos zu testen. Gemeinsam mit den drei Mehrweg-Systemanbietern (RECUP, ReCircle und Relevo) wurde in Haar über drei Monate ein verdichtetes Rückgabe-Netz simuliert, in dem Mehrwegbehältnisse - unabhängig von ihrem eigens angebotenem System - bei allen teil-nehmenden Gastronomiebetrieben zurückgeben werden konnten („Cross-Rückgabe“). Aus dem Piloten werden nötige Erkenntnisse für eine zukünftige Skalierung des Konzepts auf rund 30.000 deutschlandweit existierenden Ausgabestellen von Mehrweg-Poolsystemanbieter für Speisen- und Getränke-To-Go, gewonnen.
ProjektwebsiteTV-Beitrag München TV1. Hypothesen und Wirkungsmessung:
ReFrastructure startete das Pilotprojekt in München Haar mit zwei Hypothesen: Erstens, dass eine Kampagne die Bürger für Mehrweg sensibilisiert und zweitens, dass eine digitale, systemübergreifende Infrastruktur für Mehrweg-To-Go umsetzbar ist. Aufgrund des kurzen Projektzeitraums von drei Mona-ten wurde keine direkte Steigerung der Mehrweg-Nutzung erwartet. Die entwickelten Messmethoden sol-len zukünftigen Projekten als Grundlage dienen.
2. Standortanalyse:
Haar wurde aufgrund seines Engagements im Bereich Kreislaufwirtschaft und seiner optimalen Lage für das Pilotprojekt ausgewählt. Die Gemeinde hat rund 23.000 Einwohner und ist bekannt für ihre nachhal-tigen Maßnahmen. Vor Projektbeginn zeigten Umfragen, dass viele Bürger To-Go-Angebote nutzen, aber selten Mehrweg-Behälter. Die Gastronomiebetriebe in Haar zeigen sich wenig interessiert an Mehrweg-Lösungen, was auf niedrige Kundennachfrage und wirtschaftliche Herausforderungen zurück-zuführen ist.
3. Bürger:innenkampagne:
Eine umfassende Kommunikationskampagne begleitete das Projekt, um die Bürger über Mehrweg und Kreislaufwirtschaft zu informieren und zu motivieren. Zielgruppen waren die Bürger und Berufspendler. Die Kampagne nutzte regionale Presse, Social Media und Veranstaltungen. Ein zentraler Info-Point wurde eingerichtet, um die Bevölkerung direkt anzusprechen und als Rücknahmestation zu dienen.
4. Machbarkeitsstudie zur Infrastruktur:
Die dreimonatige Erprobung der Infrastruktur bestand aus einer digitalen und physischen Komponente. Eine neue Software wurde entwickelt, um den Datenaustausch zwischen verschiedenen Akteuren im Mehrweg-Kreislauf zu ermöglichen. Die Akquise von Gastronomiebetrieben stellte sich als herausfordernd heraus, trotz mehrerer Maßnahmen und Veranstaltungen. Nur wenige Betriebe beteiligten sich am Pilotprojekt. Die Bürgerkampagne beinhaltete auch eine Mehrweg-Lotterie und Veranstaltungen, um die Teilnahme zu fördern. Die Maßnahmen erhöhten die Sichtbarkeit und das Interesse an Mehrweg-Lösungen in Haar.
Zu Beginn des Projekts wurden Parameter und Methodiken zur Bewertung der Wirkung entwickelt. Die Bürger*innenkampagne steigerte die regionale Bekanntheit des Projekts erheblich und informierte verschiedene Alters- und Interessengruppen über Kreislaufwirtschaft und Mehrweg. Über 140.000 Impressionen wurden erreicht, und etwa 700 Personen besuchten den Info-Point. Eine Umfrage mit 47 Teilnehmenden ergab, dass drei Fünftel vom Projekt und der Mehrweg-Infrastruktur erfahren hatten. Eine Abschlussbefragung zeigte, dass die Zufriedenheit mit dem Mehrwegangebot um 18% gestiegen war.
Die Befragungen waren nicht repräsentativ, aber wertvoll für die Bewertung. Es konnte keine signifikante Verhaltensänderung hin zu mehr Mehrweg-Nutzung festgestellt werden. Es fehlen regionale Daten zur genauen Bestimmung der Mehrweg-Quote, da Abfragen bei verschiedenen Stellen keine klaren Zahlen lieferten.
Während des Pilots wurden 1.303 Mehrweggefäße erfasst, von denen 319 aktiv genutzt wurden. Insgesamt gab es 3.659 digitale Bewegungen und 564 Ausleihen. Rückgaben erfolgten meist dort, wo die Behälter ausgeliehen wurden, was auch für das "Heavy User" Café Jedermann galt. Insgesamt gab es 440 Rückgaben an acht Rückgabepunkten und 80 im Info-Point.
Im Bereich Mikrologistik wurden 16 Fahrten und zwei externe Spülungen dokumentiert, wobei eine erste Kalkulationsbasis für Anfahrt und Reinigung gelegt werden konnte. Aufgrund geringer Nutzungsquoten fanden weniger Logistikfahrten statt als erwartet.
Der Pilot zeigte Grenzen bei der Datenauswertung aufgrund des kurzen Zeitraums und der geringen Repräsentativität. Langfristige Effekte werden erst bei einer Verstetigung der Infrastruktur sichtbar.
Ein Hypothesenabgleich ergibt folgende Kernaussagen zur Wirkung des Piloten: Der Pilot konnte beweisen, dass eine regionale Kampagne das Medien- und Konsument:innen-Interesse für Mehrweg weckt. Eine relevante Auswirkung auf das Konsumverhalten von Mehrweg konnte innerhalb des Versuchszeitraums nicht bestätigt werden. Der Pilot konnte beweisen, dass eine systemübergreifende, gemeinwohlorientierte Infrastruktur für den Mehrweg-Kreislauf funktioniert und Bereitschaft zur Teilnahme besteht. Es konnten Indikatoren zur Bestimmung der Auswirkungen bei optimierten Bedingungen definiert werden.
Im Rahmen des Projektes wurden vielseitige Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit umgesetzt. Hauptbestandteil des Piloten in der Gemeinde Haar war eine Bürger:innenkampagne. Die im Rahmen dieser Kampagne umgesetzten regionalen Maßnahmen sind in der Abschlussdokumentation ausführlich be-schrieben.
Auch überregional wurde stets von dem Projekt, Fortschritten und Ergebnissen berichtet. Die breite Öffentlichkeitsarbeit begann im Juni 2023 mit der Herausgabe einer Pressemitteilung von ReFrastructure in der das Vorhaben und die Zielsetzung bekannt gemacht wurden. ReFrastructure nutzte zudem über den gesamten Zeitraum seinen eigenen LinkedIn-Kanal, um über das Projekt zu berichten. Ein Highlight der Öffentlichkeitsarbeit stellte der Besuch der europäischen und deutschen Mehrwegverbände (New ERA und Mehrwegverband Deutschland e. V.) in München Haar dar. Im Rahmen des Tagungspro-gramms lockte der Info-Point internationales Publikum an und „Haar geht den MehrWeg“ konnte als Leuchtturmprojekt im Bereich Mehrweg für Take-Away platziert werden. Zu allen gegeben Anlässen – ob klein oder groß – war stets der engagierte Bürgermeister der Gemeinde, Andreas Bukowski, anwesend, der das Projekt mit voller Kraft unterstützt hat.
Das Projekt bewies, dass eine systemübergreifende Infrastruktur machbar ist, aber den Mehrweganteil nicht allein steigern kann. Durch die begleitende Kampagne wurden Bewusstsein und Wissen gesteigert. Der Pilot liefert wichtige Erkenntnisse für die Skalierung von Mehrweg-Infrastruktur und hat internationale Bekanntheit erlangt. Die Ergebnisse sollen in die Planung weiterer Piloten 2024 und 2025 einfließen.
Infrastrukturelemente, die die Mitarbeit von Gastronom*innen erfordern, müssen einfacher und weniger zeitaufwändig gestaltet werden. Die Gastronom*innen in Haar bemängeln den hohen Zeitaufwand für das Scannen der Gebinde. Eine intensive Vor-Ort-Betreuung kann helfen, die Scan-Aktivität zu gewährleisten.
Es wurde erkannt, dass Mehrweg-Infrastruktur allein keine Initialzündung zur Steigerung der Mehrwegquote ist, aber eine Voraussetzung für die langfristige Etablierung von Mehrweglösungen darstellt. Künftige Pilotprojekte sollten in Regionen mit einer höheren initialen Mehrwegnutzung durchgeführt werden. Ein hohes Gebindeaufkommen ermöglicht repräsentative Daten und eine realistische Erprobung der Logistik. Zur Erreichung einer Mindest-Mehrweg-Quote könnten zusätzliche Maßnahmen wie Verpackungssteuern oder verpflichtende Preise für Einwegverpackungen eingeführt werden. Außerdem ist ein deutlich längerer Pilotzeitraum anzustreben um mittelfristige Effekte messen zu können, da insb. Verhaltensänderungen nur mittelfristig möglich sind.