Projekt 38168/01

Handlungsfeldanalyse zur Dekarbonisierung der industriellen Prozesswärme im energieintensiven Mittelstand am Beispiel des Klimahafens Gelsenkirchen als klimaneutraler Industrie- und Logistikstandort

Projektdurchführung

Wissenschaftspark Gelsenkirchen GmbH
Munscheidstr. 14
45886 Gelsenkirchen

Zielsetzung

Prozesswärme wird bisher überwiegend aus Erdgas gewonnen. Durch die aktuelle Versorgungskrise auf dem Erdgasmarkt und die schrittweise Erhöhung der CO2-Bepreisung sehen sich die Unternehmen zunehmenden Preisrisiken ausgesetzt. Gleichzeitig fordern immer mehr Kunden eine Reduzierung der CO2-Intensität der Produkte. Insgesamt ist für Unternehmen im internationalen Wettbewerb ein enormer Handlungsdruck entstanden, ihre Produktion zu dekarbonisieren und dafür den wirtschaftlichsten und nachhaltigsten Technologiepfad zu wählen.

Dabei sind zwei grundsätzliche Optionen zu unterscheiden: Die Umstellung der bestehenden Anlagentechnik auf ein klimaneutrales Brenngas (z.B. grüner Wasserstoff) und die Umstellung auf direkt-elektrische Prozesse auf Basis von grünem Strom (z.B. Hochtemperatur-Wärmepumpe (bis 180°C) oder Induktionserwärmung). In der aktuellen Diskussion um Dekarbonisierungspfade für die deutsche Industrie besteht ein breiter Konsens, dass Wasserstoff bei der Transformation wichtiger Grundstoffindustrien (Primärstahl, Chemie, Raffinerieprozesse) vor allem in der stofflichen Nutzung eine zentrale Rolle spielen wird. Ebenso zeichnet sich ab, dass die Transformation im Bereich der Niedertemperaturwärme vor allem durch Elektrifizierung, Abwärmenutzung oder direkte Nutzung erneuerbarer Wärme erreicht werden kann.

Bislang ist jedoch unklar, welcher Pfad für die industrielle Hochtemperaturwärme (u.a. Industrieöfen, Brenner, Feuerungsanlagen) aus betriebswirtschaftlicher und volkswirtschaftlicher/leitungsinfrastruktureller Sicht zu bevorzugen ist. Insgesamt betrifft diese Unsicherheit in Deutschland mehrere tausend kleine und mittlere Unternehmen mit hunderttausenden hochwertigen Industriearbeitsplätzen. Aufgrund der großen Vielfalt der Branchen und Produktionsprozesse wird diese Unternehmensgruppe trotz ihrer enormen Bedeutung sowohl in der Energiestatistik als auch in den Dekarbonisierungsstrategien des Bundes und der Länder für die Industrie noch nicht ausreichend berücksichtigt.

Die Studie „Dekarbonisierung der Prozesswärme im Klimahafen Gelsenkirchen“ wurde von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördert, vom Wissenschaftspark Gelsenkirchen (WIPAGE) koordiniert und vom Wuppertal Institut (WI) und Fraunhofer UMSICHT durchgeführt. Als eine der ersten „Bottom-up-Studien“ analysiert sie Dekarbonisierungspfade auf einzelbetrieblicher Ebene in insgesamt sechs Unternehmen und fasst diese für das Wärmecluster im Klimahafen zusammen.

Arbeitsschritte

Die von den Forschungsinstituten Fraunhofer UMSICHT und Wuppertal Institut bearbeitete Studie erhebt die IST-Situation der Prozesswärme-Erzeugung in den einzelnen Unternehmen und entwickelt daraus Transformationspfade, die jeweils eine maximale Umstellung auf strombasierte Technologien, wasserstoffbasierte Technologien und einen individuellen Mix aus beiden vorsehen. Dabei werden technische und ökonomische Eignung der Alternativen und der entsprechenden technischen Umrüstungen berücksichtigt und mit Blick auf zukünftige Energiepreisszenarien und Versorgungsoptionen bewertet, um exemplarisch Schlussfolgerungen für die Unternehmen und den Prozesswärmecluster zu ziehen. Die Erstellung der Studie wurde von Auftakt- und Abschlussworkshops begleitet, um den wichtigen Beitrag der Studie zur politisch-strategischen Diskussion der Prozesswärme in Deutschland zu unterstreichen.

Die Kurzstudie zum Klimahafen Gelsenkirchen setzt auf der konkreten, betrieblichen Ebene an. Dazu wurde in AP 1 die Ist-Situation in den Unternehmen erfasst, auf deren Basis Transformationspfade für die jeweiligen Produktionsprozesse in Richtung Elektrifizierung bzw. Wasserstoffnutzung ermittelt wurden (AP 2). In verschiedenen Szenarien, die die technischen Rahmenbedingungen der jeweiligen Prozesse berücksichtigen, wurden die ermittelten Energiebedarfe für die Optionen Wasserstoff und Elektrifizierung dem zu erwartenden Angebot und den entsprechenden Kosten gegenübergestellt (AP 3). Abschließend wurde der Frage nachgegangen, welcher der betrachteten Prozesse unter welchen Bedingungen von den Umstellungsoptionen profitieren kann, bevor Schlussfolgerungen für das gesamte Cluster „Klimahafen“ gezogen wurden (AP 4). Das Arbeitspaket 5 umfasste die begleitenden Arbeiten im Rahmen des Projektmanagements, die Konzeption und Durchführung von Workshops sowie die Berichterstattung und Dokumentation gegenüber der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU).

Ergebnisse

Die Studie im Klimahafen Gelsenkirchen zeigt: Der optimale Pfad zur Klimaneutralität kann nicht top-down durch Zuordnung zu Branchen oder Temperaturniveaus festgelegt werden. Vielmehr muss die Komplexität und Vielfalt der Prozesse zur Wärmeerzeugung berücksichtigt werden. Neben der Elektrifizierung mit grünem Strom erweist sich in vielen Fällen die Umstellung auf grünen Wasserstoff als sinnvolle Option. Bisher galt die Elektrifizierung der Prozesswärme als der bevorzugte Weg. Die Studie bricht diesen Fokus deutlich auf und zeigt, dass Wasserstoff eine ebenso sinnvolle Alternative ist. Für die Energiewende in Deutschland ist daher die parallele Entwicklung redundanter Hybridsysteme für viele Unternehmen sinnvoll. Aus Sicht der Initiative ist daher neben dem Ausbau der Stromnetze mit gleicher Priorität der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur erforderlich, die nicht nur die Großindustrie versorgt, sondern gleichzeitig eine frühzeitige Anbindung von mittelständisch geprägten Prozesswärmeclustern ermöglicht.

Die Studie der Initiative Klimahafen unterscheidet sich von anderen Studien durch den Bottom-up-Ansatz der Ableitung von Transformationspfaden über eine technologiefeine Analyse und Feinabstimmung mit den beteiligten Unternehmen. Die Ergebnisse fügen sich auch passgenau in bestehende Metastudien ein: Die Dekarbonisierung der Prozesswärme ist zu einem großen Teil im Übergangsbereich zwischen Elektrifizierung und Umstellung auf Wasserstoff zu verorten.

Der Klimahafen Gelsenkirchen mit seinen mittelständischen, energieintensiven Unternehmen steht prototypisch für Prozesswärme-Cluster in ganz Deutschland mit Hunderten von Unternehmen und Tausenden von Beschäftigten. Die Vielfalt der technischen Prozesse zur Wärmeerzeugung über alle Branchen hinweg ist immens. Für einige Unternehmen wird der Weg zur Klimaneutralität über die Elektrifizierung der Prozesse führen - für andere wird der Systemwechsel von Molekülen zu Elektronen technisch kaum möglich sein und daher die Umstellung von Erdgas auf grünen Wasserstoff die bevorzugte und hinsichtlich der Investitionskosten wirtschaftlichere Alternative sein. Die Besonderheit des Clusters in der Konzentration energieintensiver Unternehmen auf kleinem Raum und die einzigartige Lage in der Nähe bestehender und zukünftiger Gasinfrastrukturen kann auf andere Cluster und übergeordnete Betrachtungsebenen über-tragen werden: Auch unter diesen Gesichtspunkten bietet das Ruhrgebiet als Anwendungsfall einer dualen Infrastruktur beste Voraussetzungen für eine schnelle und effiziente Transformation zu einer klimaneutralen Industrieregion.

Die Ergebnisse des Projektes und die Erkenntnisse der Studie können als Grundlage für vergleichbare Transformationsprozesse im Bereich der Prozesswärme dienen, um die Dekarbonisierung dieses Sektors möglichst schnell, aber auch ökonomisch und technisch effizient umzusetzen.

Link zur Langfassung der Studie

Öffentlichkeitsarbeit

Die Implikationen und Ergebnisse der Studie wurden und werden über verschiedene Fachveranstaltungen und Publikationen verbreitet und diskutiert. Dazu zählen zum einen die frei zugängliche Langfassung der Studie als solche, aber auch Pressemitteilungen zu Meilensteinen des Erstellungsprozesses, eine entsprechende Unterseite auf der Homepage der Initiative Klimahafen Gelsenkirchen (www.klimahafen-gelsenkirchen.de), die Diskussionen in den begleitenden Workshops sowie Fachartikel in Fachzeitschriften, die anstehende Veröffentlichung eines politischen Positionspapiers auf Basis der Studienergebnisse sowie zahlreiche Vorträge und Präsentationen auf Branchen- und Netzwerkveranstaltungen.

Webauftritt der Initiative inklusive ÖffentlichkeitsarbeitUnterseite zur KurzstudieArtikel zur Studie im Magazin des DVGWLinkedIn Auftritt der Initiative inkl. Posts zur Studie

Fazit

Zusammenfassend kann das Projekt als Erfolg gewertet werden. Trotz leichter zeitlicher Verzögerungen wurde eine wichtige Bottom-up-Studie erarbeitet, die sowohl die Initiative Klimahafen Gelsenkirchen unterstützt als auch einen einzigartigen Beitrag zur Diskussion um die Dekarbonisierung der Prozesswärme in Deutschland leistet und als solche eine hohe Resonanz fand und findet.
Die unvoreingenommene Herangehensweise der Studie durch beauftragte Dritte erhöhte nicht nur die Legitimation der Ergebnisse, sondern befruchtete die Diskussion durch die doch individuell sehr unterschiedlichen Transformationspfade der Unternehmen zusätzlich.
Zukünftige Studien, die auf dieser Studie aufbauen, sollten sich noch detaillierter mit den CAPEX der Umrüstung sowohl bei der Elektrifizierung als auch bei der Umstellung auf Wasserstoff beschäftigen und diese Erkenntnisse nach Möglichkeit für bestimmte Branchen, Ofentypen/-größen verallgemeinern, um diese Umrüstungskosten noch besser abschätzen und auf andere Cluster/Unternehmen in ganz Deutschland übertragen zu können.

Übersicht

Fördersumme

70.100,00 €

Förderzeitraum

06.04.2022 - 31.12.2022

Bundesland

Nordrhein-Westfalen

Schlagwörter

Klimaschutz
Ressourcenschonung
Umweltforschung
Umwelttechnik