Das Konzept der „Planetaren Gesundheit“ (Planetary Health) befasst sich mit den Zusammenhängen zwischen der menschlichen Gesundheit und den politischen, ökonomischen und sozialen Systemen - sowie zusätzlich mit den natürlichen Systemen unseres Planeten, von denen die Existenz der menschlichen Zivilisation abhängt. Es berücksichtigt veränderte globale Verhältnisse und deren Bedeutung für Prävention, Krankheit, Therapie und Epidemiologie im Rahmen interdisziplinärer Ansätze. Die Entstehung des Konzeptes ist als eine notwendige Reaktion auf neue Herausforderungen und Bedrohungen für die nationale und globale Gesundheit, wie bspw. den Klimawandel zu sehen (Müller et al. 2018).
In Deutschland gibt es bereits jetzt sichtbare Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit, z.B. vermehrte Krankheits- und Todesfälle durch häufigere, länger andauernde und ausgeprägte Hitzeperioden. Hausärzt:innen sind für die meisten Patient:innen in Deutschland erste Ansprechpartner:innen (Höhne et al. 2009), haben zumeist eine vertrauensvolle und langjährige Beziehung zu ihren Patient:innen und anhaltend hohe Vertrauenswerte in der Bevölkerung (Ipsos 2021). Eine hausärztliche Kernkompetenz ist es dabei, Patient:innen in ihrem biopsychosozialen Kontext wahrzunehmen und zu begleiten. Daher ist es notwendig, auch die Auswirkungen globaler Umweltveränderungen auf die Gesundheit als Kontextfaktor in die hausärztliche Arbeit mit einzubeziehen (Hermann et al. 2021). Hausärzt:innen sind zunehmend gefragt, sich mit Anliegen ihrer Patient:innen zu dieser Thematik auseinanderzusetzen und sich über Hintergründe und mögliche Lösungsansätze im Praxisalltag zu informieren.
Die Handlungsoptionen des Gesundheitssektors in Bezug auf die gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise werden bisher hauptsächlich im Bereich der Adaptation, der Klimafolgenanpassung gesehen. Große Handlungsspielräume existieren noch im Bereich der Mitigation, also des Klimaschutzes. Eine Intention dieses Projektes ist es, Haus:ärztinnen diesen Handlungsspielraum bewusst zu machen und ihnen Handlungsoptionen für eine klimasensible Gesundheitsberatung zu geben. Patient:innen können dabei durch die Bewusstmachung von Co-Benefits, den Synergien zwischen einem gesünderen und gleichzeitig klimafreundlicheren Verhalten und Lebensstil, zu mehr aktivem Klimaschutz angeregt werden (Herrmann et al. 2019).
Im Rahmen des Projektes wird ein „Leitfaden für die klimasensible Gesundheitsberatung in hausärztlichen Praxen“ entwickelt und erprobt. Er hat das Ziel, Hausärzt:innen diesbezügliches Wissen zu vermitteln und ihnen konkrete und evidenzbasierte Handlungsanweisungen für eine klimasensible Gesundheitsberatung zu geben. Er will den Schritt in das transformative Handeln niedrigschwellig ermöglichen, so dass sich interessierte Hausärzt:innen zutrauen, wichtige Aspekte des Klima- und Umweltschutzes und damit der Planetaren Gesundheit in ihre Gesundheitsberatung mit einzubeziehen.
Hermann A, Krolewski R, Lenzer B, Müller B, Veit I. Allgemeinmedizin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft; 2021.
Herrmann A, de Jong L, Kowalski C, Sauerborn R. [Health Co-benefits of climate change mitigation measures-how houeseholds and policy makers can benefit]. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2019; 62(5): 556-64.
Höhne A, Jedlitschka K, Hobler D, Landenberger M. [General practitioner-centred health-care in Germany. The general practitioner as gatekeeper]. Gesundheitswesen 2009; 71(7): 414-22.
Ipsos. IPSOS Global Trustworthiness Index. 2021. https://www.ipsos.com/sites/default/files/ct/news/documents/2021-10/Global-trustworthiness-index-2021-ipsos.pdf.
Müller O, Jahn A, Gabrysch S. Planetary Health: Ein umfassendes Gesundheitskonzept. Dtsch Arztebl 2018.
Zu Beginn erfolgt eine Literaturrecherche. Im Anschluss werden online zwei Fokusgruppen mit jeweils 6-8 Teilnehmenden durchgeführt und aufgezeichnet, eine Gruppe mit in klimasensibler Gesundheitsberatung erfahrenen und eine mit nicht erfahrenen Hausärzt:innen. Es wird diskutiert, welche Erwartungen und Wünsche von hausärztlicher Seite an einen Leitfaden für eine klimasensible Gesundheitsberatung bestehen. Die Aufzeichnungen werden anschließend transkribiert und mittels Qualitativer Inhaltsanalyse (QIA) nach Kuckartz (Kuckartz, 2018) ausgewertet. Auf Basis der Ergebnisse der Literaturrecherche und der Fokusgruppen wird ein Leitfaden für die klimasensible Gesundheitsberatung entworfen. Dieser Entwurf wird anschließend von Hausärzt:innen in der Praxis erprobt. Die Erfahrungen und daraus abzuleitende Verbesserungsvorschläge und Überarbeitungswünsche werden anhand einer schriftlichen Evaluation der Hausärzt:innen erfasst. Zur gemeinsamen Auswertung der Ergebnisse und Erfahrungen sowie der Erarbeitung weiterer Verbesserungsmöglichkeiten für den finalen Leitfaden finden zwei abschließende Fokusgruppen statt. Der Leitfaden wird nach Auswertung der abschließenden Fokusgruppen finalisiert und gelayoutet. Über das bundesweite Netzwerk von KLUG (Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit) und der DEGAM (Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin) wird der finale Leitfaden einer breiten Ärzt:innenschaft zur Verfügung gestellt. Weitere Verbreitungswege werden genutzt, Publikationen werden angestrebt. Der Leitfaden wird online kostenfrei abrufbar sein.
Kuckartz U. Qualitative Inhaltsanalyse: Methoden, Praxis, Computerunterstützung. 4. Auflage. Weinheim Basel: Beltz Juventa 2018.
Das Ziel des Projektes, die Erstellung eines Leitfadens zur klimasensiblen Gesundheitsberatung für hausärztliche Praxen, konnte im Rahmen der ursprünglichen Kostenkalkulation erreicht werden.
Da die ursprünglich geplante Projektlaufzeit bis zum 30.09.2024 nicht eingehalten werden konnte, wurde im Mai 2023 eine kostenneutrale Verlängerung bis zum 31.12.2023 beantragt. Die Überarbeitung der Kapitel nach der schriftlichen Evaluation und den anschließenden Fokusgruppen erwies sich als zeitintensiver als erwartet. Auch mussten neu erschienene Internet-Quellen und Publikationen eingearbeitet, Internet-Links auf den neusten Stand geprüft und Co-Autor:innen in die Überarbeitungsschleifen eingebunden werden. Die Kapitel konnten zum 31.12.2023 finalisiert, aber die grafische Aufbereitung konnte erst anschließend in Auftrag gegeben werden. Diese benötigte mehr Zeit als erwartet. Aktuell befindet sich die PDF-Version nach einer ausführlichen Durchsicht durch das Projektteam bei der Grafikfirma Digital Finest zur erneuten Überarbeitung.
Entstanden ist ein umfassender Leitfaden mit thematischer Einführung, einem Kapitel „Basiswissen für Hausärzt:innen“ zu bspw. gesundheitlichen Auswirkungen (z.B. durch Hitze, Zoonosen, psychischen Belastungen), einem Kapitel „Klimasensible Gesundheitsberatung“ (z.B. Klimakommunikation und Praxisbeispiele) sowie Tipps, Abbildungen, weiterführender Literatur und Links.
Basierend auf dem Leitfaden wird zusätzlich eine DEGAM S1-Handlungsempfehlung erarbeitet. Die Erstellung wird von Dr. Alina Herrmann (Vorsitzende Sektion Klimawandel und Gesundheit der DEGAM) und Dr. Heike Hansen koordiniert (siehe https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/053-061). Die Fertigstellung ist für Ende 2024 geplant.
Durch die vermehrte Verbreitung und Anwendung der klimasensiblen Gesundheitsberatung in hausärztlichen Praxen ist eine potentielle Umweltentlastung gegeben. Neben den Handlungsoptionen im Bereich der Adaptation, der Klimafolgenanpassung, macht der entstandene Leitfaden die Handlungsspielräume im Bereich der Mitigation, des Klimaschutzes, bewusst. So kann die klimasensible Gesundheitsberatung beispielweise durch die Auswahl klimaschonender Medikamente oder die Betonung von Co-Benefits, den Synergien zwischen einem gesünderen und gleichzeitig klimafreundlicheren Verhalten und Lebensstil, auf Ärzt:innen- und Patient:innenseite zu mehr aktivem Klimaschutz beitragen und somit auch zu einer Verbesserung der planetaren Gesundheit führen.
Projektvorstellung auf Kongressen und Veranstaltungen
- DEGAM Kongress 2022: Vortrag
- Planetary Health Academy 2022: Projektvorstellung
- DEGAM Kongress 2023: Vortrag und Workshop
- Planetary Health Forum 2023: Poster
Publikationen
- CME-Publikation: Herrmann, A; Mews, C; Hansen, H; Lenzer, B; Schwienhorst-Stich, EM; Quitmann, C (2023): Klimasensible Gesundheitsberatung. In: Zeitschrift für Allgemeinmedizin 99 (8), S. 426–436. DOI: 10.1007/s44266-023-00139-8
- Buchbeitrag: Die grüne Arztpraxis. Gesundheit, Nachhaltigkeit und ökologische Wende in Zeiten der Klimakrise (Arbeitstitel). F. von Gierke, G. Keller, N. Mezger (Hrsg.).
Internetpräsenz
- Projektbeschreibung in Instituts-Newslettern und
- auf Instituts-Websites
Geplante Verbreitung
- Platzierung finaler Leitfaden + QR Code zum Download auf Instituts-Websites
- Veröffentlichung des Leitfadens über
- Gesellschaften und Vereine wie DEGAM, KLUG, Health for Future, Junge Allgemeinmedizin Deutschland (JADE)
- Newsletter: Institute für Allgemeinmedizin, Hausärztinnen- und Hausärzteverband
- Qualitätszirkel, Ärzt:innennetze
- Medizinische Aus- Weiter- und Fortbildung
- Tage der Allgemeinmedizin
- weitere Publikationen
- DEGAM S1-Handlungsempfehlung
In diesem Projekt wurde ein Leitfaden zur klimasensiblen Gesundheitsberatung für die hausärztliche Praxis erstellt, für dessen Praxistauglichkeit die Sicht der praktizierenden Hausärzt:innen unerlässlich ist. Anhand der Fokusgruppen mit Hausärzt:innen konnten zahlreiche Wünsche und Anforderungen an den Leitfaden erfasst werden. Diese wurden im nächsten Schritt in der Entwicklung des Leitfadens umgesetzt und anschließend von den Hausärzt:innen erprobt und bewertet. Die Erfahrungen und daraus abzuleitende Verbesserungsvorschläge und Überarbeitungswünsche wurden anhand einer schriftlichen Evaluation und durch zwei weitere Fokusgruppen mit Hausärzt:innen erfasst. Dieses Vorgehen war gut dazu geeignet, die Anwendbarkeit des Leitfadens in der Praxis sicherzustellen.
Im Rahmen der Fokusgruppen gab es weitere Wünsche und Vorstellungen zu Formaten und Inhalten, die nicht alle im jetzigen Projektrahmen umgesetzt werden konnten. Altersangepasste Patient:innen-Informationen oder die Umsetzung einer Website könnten bspw. weitere Projektansätze sein.
Parallel wurde die Entwicklung einer S1-Handlungsempfehlung der DEGAM als ein sinnvolles Format zur ärztlichen Wissensvermittlung auf den Weg gebracht.