FEMNI untersucht und fördert die Umweltbildung muslimischer Jugendlicher in Niedersachsen. Bisher ist noch unklar, welches ökologische Problembewusstsein junge Muslim*innen in Niedersachsen aufweisen und welche möglichen Zusammenhänge zwischen der islamischen Religion und Nachhaltigkeitshandeln bestehen. Welche Rolle spielt eine ökologische und nachhaltige Lebensweise im Alltag der jungen Menschen? Aus welchen Gründen engagieren sie sich zivilgesellschaftlich für Umweltbelange und welche Rolle spielt dabei der Islam? Welche Push- und Pull-Faktoren gibt es hinsichtlich der Mobilisierung hinsichtlich des Engagements für eine lebenswerte Umwelt? An drei Themenwochenenden führen der Antragssteller und MUJOS e.V. (Muslimische Jugendcommunity Osnabrück) als Kooperationspartnerin (1.) Workshops und Gruppendiskussionen mit muslimischen Jugendlichen zu den Themen „Umweltschutz islamisch“, „Nachhaltigkeit und Zivilgesellschaft“ sowie „Umwelt, Klima, Katastrophe – Was kann ich tun, was können wir tun?“ durch. (2.) Begleitend werden Kurzvideos zu den drei Workshopthemen erstellt und über die Social-Media-Kanäle von MUJOS veröffentlicht, um die Ergebnisse bereits im laufenden Projekt in die Öffentlichkeit zu transferieren. Zudem wird gemeinsam mit den Teilnehmer*innen ein Bildungsformat erarbeitet, um Angebote der Umweltbildung in der außerverbandlichen muslimischen Zivilgesellschaft und Moscheegemeinden zu verankern. Die Teilnehmer*innen werden als Multiplikator*innen wirken, um so die Projektergebnisse nachhaltig und langfristig in ihre jeweiligen Communities zu tragen. Der Anschluss an die universitäre Lehre wird über die Einbindung in den am IIT angesiedelten Masterstudiengang „Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft“ hergestellt. (3.) Zusätzlich führen die Projektmitarbeiter*innen Expert*inneninterviews mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen in Niedersachsen, die sich mit Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen befassen. Die hieraus und aus den Gruppendiskussionen gewonnenen Erkenntnisse und auch die Videos werden in die im Projekt erstellte praxisorientierte Handreichung einbezogen. Die Handreichung gibt Praktiker*innen ein Konzept an die Hand um die Themen Umwelt und Nachhaltigkeit in der eigenen Arbeit zu verankern. Der Wissenschafts-Praxis-Transfer wird wie folgt hergestellt: Zum Projektende ist eine Fachtagung geplant, an der die Ergebnisse der Projektarbeit der interessierten Öffentlichkeit vorgestellt werden sollen. Dort werden die am Projekt teilnehmenden Jugendlichen sowie externe Referent*innen die Projektergebnisse vorstellen und diese durch wissenschaftliche und Praxisperspektiven rahmen.
FEMNI besteht aus fünf Teilprojekten.
Teilprojekt I: "Erhebung des Umwelt- und Nachhaltigkeitsbewusstsein muslimischer Jugendlicher in Niedersachsen"
Hierzu wurden an drei Wochenenden gemeinsam mit dem Kooperationspartner MUJOS e.V. Themenworkshops (WS) mit den am Projekt teilnehmenden Jugendlichen durchgeführt. Die Themen:
■ Nachhaltigkeitsbewusstsein im Islam;
■ Nachhaltigkeit und Zivilgesellschaft;
■ Umwelt, Klima, Katastrophe – Was kann ich tun, was können wir tun?
An den drei Workshops wurden 15 Gruppendiskussionen durchgeführt, um die Projektergebnisse zu erheben. Die Diskussionen an WSI wurden als World-Café- durchgeführt, um die Wissensbestände der Teilnehmer:innen hinsichtlich Umweltschutz, Nachhaltigkeit im Alltag und religiös begründetem Nachhaltigkeitshandeln zu erheben. Die Diskussionen an WS2 bis 3 wurden als Gruppendisskussion nach Bohnsack geführt. Hier standen die Narrationen der Teilnehmer:innen im Vordergrund.
Teilprojekt II: "Videodokumentation"
Die Themenworkshops wurden von einer Digitalagentur begleitet, als Video dokumen- tiert und über die Social-Media-Kanäle von MUJOS e.V. und der Internetseite des Instituts für Islamische Theologie (IIT) in Osnabrück veröffentlicht. Zudem wurde der Anschluss an die universitäre Lehre über die Einbindung in den am IIT angesiedelten Masterstudiengang »Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft« hergestellt.
Teilprojekt III: "Expert:inneninterviews mit Praktiker:innen und Wissenschaftler:innen"
Begleitend zu den WS wurden 11 Expert:inneninterviews nach Meuser/Nagel mit zivilgesellschaftlichen Akteur:innen, Wissen- schaftler:innen, Lehrkräften sowie mit Vertreter:innen von Moscheegemeinden durchgeführt. Die Expert:innen wurden hierbei als solche für ihr jeweiliges Arbeitsfeld betrachtet und u.a. nach ihrer professionellen Einschätzung über das Umwelt- und Nachhaltigkeitsverständnis bzw. -handeln junger Muslim:innen in Niedersachsen befragt.
Expert:inneninterviews und Gruppendiskussionen wurden nach der Erhebung transkribiert und einer qualitativen inhaltlich-strukturierenden Inhaltsanalyse nach Kuckartz unterzogen.
Teilprojekt IV: "Praxisrelevante Handreichung"
Die Projektergebnisse wurden in einer praxisrelevanten Handreichung zusammengetragen. Diese ist über das Open-Access-Portal der Universität Osnabrück kostenfrei beziehbar.
Teilprojekt V: "Wissenschaftliche Fachtagung"
Projektergebnisse und Handrichung wurden an wissenschaftlichen Fachtagung der Öffentlichkeit vorgestellt.
Die Projektziele von FEMNI wurden erreicht. Alle Teilprojekte konnten wie im Arbeits- und Zeitplan angegeben durchgeführt werden.
Die Projektergebnisse zeigen deutlich, dass junge Muslim:innen einen klaren Zusammenhang zwischen ihrer Religion und einem Nachhaltigkeitshandeln beschreiben können. Jedoch bleibt in der Praxis mitunter unklar, was dies jeweils bedeutet. Das heißt aber nicht, dass sich in allen Nach- haltigkeitspraxen bzw. -orientierungen musli- mischer Jugendlicher und junger Erwachsener die eigene oder familiäre Migrationsgeschichte widerspiegelt. Migrationsspezifische Orientie- rungen bezüglich Nachhaltigkeit fanden sich unter den FEMNI-Teilnehmer:innen größten- teils bei jenen mit eigener Migrationsgeschichte. Vor allem sie hoben die aus ihrer Sicht großen Schnittstellen zwischen dem Nachhaltigkeits- konzept und dem Islam bzw. ihrer Lebensweise in ihren Heimatländern hervor. Nachhaltigkeit sei gewissermaßen ein »Islam-Lifestyle«. Damit sollen die gravierenden Umweltprobleme in islamisch geprägten Ländern keinesfalls ignoriert werden.Die Ergebnisse aus FEMNI zeigen aber, dass den jungen Muslim:innen ihre reli- giöse Verantwortung bewusst ist, die Umwelt zu schützen und den kommenden Generationen einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen. Da- bei nehmen sie auch und besonders die gegenwärtigen Generationen explizit in die Pflicht. Das etwa von Denker:innen wie Mouhanad Khorchide, Fatima Kowanda-Yassin oder Ibrahim Abdul-Matin seit Jahren geforderte kulturelle Bewusstsein von (jungen) Muslim:innen für Umweltschutz scheint sich aus dieser Perspektive gerade zu entwickeln.
Künftige Forschungsprojekte, die das (religiöse) Nachhaltigkeitshandeln junger Muslim:innen in Deutschland untersuchen, sollten das die migrationsspezifischen Wissensbestände bzgl. Umwelt- und Nachhaltigkeit stärker in den Blick nehmen. Das tatsächliche Nachhaltigkeitshandeln „in situ“, konnten wir mit dem in FEMNI gewählten methodischen Vorgehen zudem nicht erheben. Vor welchen Herausforderungen und Problemen die jungen Muslim:innen dabei stehen und wie sie diese praktisch bearbeiten bzw. lösen, bleibt eine Aufgabe für künftige Forschung. Hierzu bieten sich problemzentrierte Einzelinterviews oder teilnehmende Beobachtungen an. So könnte etwa eine Ethnographie im Rahmen einer Veranstaltung des „Greeniftar“-Programmes von NourEnergy lohnend sein, um das tatsächliche Nachhaltigkeitshandeln und dessen Verwobenheit mit anderen Alltagspraxen zu erforschen.
Die Projektergebnisse wurden auf mehrere Wege in die relevanten Öffentlichkeiten transferiert.
Wissenschaftliche Veröffentlichungen:
Das Projektteam stellte erste Forschungsergebnisse bei der Tagung des "European Muslim Eco Lab" (Emel) im Dezember 2022 vor. Weitere Forschungsergebnisse werden Ende 2023 in der Zeitschrift "Soziologie und Nachhaltigkeit" veröffentlicht. Die komprimierten Forschungsergebnisse wurden in einer praxisotientierten Handreichung zusammengestellt. Diese wurde an der wissenschaftlichen Fachtagung veröffentlicht. Die Handreichung ist über das Open-Access-Portal der Universität Osnabrück kostenfrei downloadbar.
Wissenschaftliche Fachtagung:
Die Projektergebnisse wurden an der das Projekt abschließenden wissenschaftlichen Fachtagung der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Tagung wurde über die Internetseite der Universität Osnabrück, das Fachportal "Soziopolis" sowie durch persönliche Einladungen bekanntgemacht.
Videodokumentation:
In Zusammenarbeit mit der Digitalagentur ("Digital Hoch 5) wurde eine Videodokumentation über das Projekt erstellt. Diese ist unter https://t1p.de/21sun kostenfrei zugänglich.
Das Nachhaltigkeitsverständnis muslimischer Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland ist vielfältig. Sie sind nicht »weitgehend aus dem Nachhaltigkeitsdiskurs ausgeschlossen«, wie Sigrid Nökel noch vor 15 Jahren konstatierte. Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen sind mitten in ihrem Alltag angekommen. Das individuelle Nachhaltigkeitsverständnis der jungen Muslim:innen äußert sich dabei unterschiedlich. Für manche bedeutet es eine vegetarische Ernährungsweise zu befolgen oder zumindest auf Fleisch zu verzichten. Andere versuchen beim Einkauf auf unnötige Plastikverpackungen zu verzichten.
Welche Rolle spielt nun Nachhaltigkeit im alltäglichen Leben muslimischer Jugendlicher in Niedersachsen? Hier hat sich einmal wieder gezeigt, dass muslimische Jugendliche keine homogene Gruppe darstellen, sondern sich in ihrem individuellen Nachhaltigkeitshandeln stark ausdifferenzieren. Sie unterscheiden sich darin kaum von ihren Peers in der sog. Mehrheitsgesellschaft. Auch sie sind Mitglieder der ›Generation Greta‹ und stehen mitten in den deutschen Diskursen rund um Umwelt- und Nachhaltigkeit. Die islamische Religion und dessen religiöse Dogmen geben einigen von ihnen die Motivation einen nachhal- tigen Lebensstil zu leben und auch gegen Widerstände und Enttäuschungen aufrechtzuerhalten. Für andere muss eine solche Lebensweise nicht zwangsläufig religiös begründet werden. Junge Muslim:innen sind nicht (mehr) vom Nachhaltigkeitsdiskurs ausgeschlossen. Sie stehen mittendrin.