Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
Institut für Umweltplanung
Herrenhäuser Str. 2
30419 Hannover
Im Zuge des Ausbaus der erneuerbaren Energien kommt der Photovoltaik eine große Bedeutung zu. Freiflächenanlagen stehen dabei jedoch in räumlicher Konkurrenz zu einer landwirtschaftlichen Nutzung, was den Ausbau im ländlichen Raum erschwert und zu Nutzungskonflikten führen kann. Eine Kombination aus ackerbaulicher Nutzung und Energieerzeugung auf derselben Fläche ist mit Agriphotovoltaik (APV) möglich. Agriphotovoltaik kann somit einen Beitrag zur Energiewende leisten, ohne die Konkurrenz um Fläche zur Erreichung der Klimaziele zu verschärfen. Aspekte des Artenschutzes und der Biodiversität spielen beim Ausbau der erneuerbaren Energien ebenfalls eine wichtige Rolle. Welche Auswirkungen Agriphotovoltaik in dieser Hinsicht hat, ist bisher jedoch kaum untersucht. Insbesondere für die Vogelwelt der Agrarlandschaft könnten APV-Anlagen von Bedeutung sein. Ob sie die Attraktivität und Nutzbarkeit der Flächen zur Nahrungssuche und als Brutplatz fördern oder einschränken ist jedoch unklar und möglicherweise artspezifisch.
Im Rahmen dieses Fördervorhabens werden erstmals Untersuchungen zu den Auswirkungen von Agriphotovoltaik (APV) auf die Vogelwelt der Agrarlandschaft durchgeführt. An einer Anlage im Landkreis Lüchow-Dannenberg wird dafür die Attraktivität der Nutzfläche direkt unter den APV-Modulen im Vergleich zu den angrenzenden Kulturen untersucht und bewertet. Auch die Nutzung der Module selbst als Sitzwarte wird betrachtet. Ziel ist es, die Auswirkungen von APV-Anlagen auf Vögel besser einschätzen und bewerten zu können. Die Erkenntnisse sollen dazu beitragen APV-Anlagen besser bewerten zu können und somit eine effizientere und naturverträgliche Flächennutzung vor dem Hintergrund des Ausbaus der erneuerbaren Energien zu fördern.
Die Untersuchung erfolgte an einer ca. 1 ha großen Anlage im Landkreis Lüchow-Dannenberg, bei der die Module horizontal in ca. 6 m Höhe über der für Schnittlauchanbau genutzten Ackerfläche montiert sind (s. Abbildung). Bei der Untersuchung der Flächenattraktivität für Vögel wurden fünf Untersuchungsflächen betrachtet:
1. die Fläche direkt unter der APV-Anlage,
2. eine Fläche die direkt an die APV-Anlage angrenzt,
3. eine Fläche die etwas weiter von der APV-Anlage entfernt ist und
4. eine noch etwas weiter entfernte Fläche, die durch einen Gehölzstreifen optisch von der APV-Anlage abgegrenzt ist.
Alle vier Probeflächen waren gleich groß und wiesen die gleiche Nutzung (Anbau von Schnittlauch) auf. Als fünfte Fläche wurde auch der zwischen den Flächen 3 und 4 gelegene Gehölzstreifen untersucht.
Von November 2022 bis November 2023 wurden auf allen 5 Flächen regelmäßige Vogelkartierungen (alle zwei Wochen) durchgeführt. Auf der APV-Fläche und auf der direkt angrenzenden Fläche (Nr. 2) wurden die Kartierungen vor Ort durch eine automatisierte Erfassung mit Kamerafallen ergänzt. So konnten für diese unmittelbar von der APV beeinflussten Flächen weitergehende quantitative Aussagen über Individuenzahlen, Beobachtungssummen und Nutzungsfrequenzen getroffen werden. Jede der beiden Probeflächen wurde dabei von 10 Kameras (jeweils fünf aus östlicher und westlicher Richtung) überwacht. Die Kameras wurden in ca. 1 m über dem Boden montiert und leicht schräg nach unten fokussiert, um die Vögel im direkten Nahbereich der Kameras zu erfassen. Die Kameras lösten zeitgesteuert aus und machten jeweils im Intervall von 10 Minuten ein Bild (=144 Bilder pro Kamera und Tag). Die Nutzung der Moduloberflächen durch Vögel wurde ebenfalls mit Kamerafallen (mit 10-minütigem Aufnahmeintervall) untersucht.
Insgesamt konnten 45 Arten im Untersuchungsgebiet durch Kartierung und/oder Kamerafallen nachgewiesen werden. Die am häufigsten beobachteten Arten waren Bachstelze, Bluthänfling, Schafstelze, Ringeltaube, Hausrotschwanz, Goldammer und Feldsperling. Insgesamt (Feldkartierung und Kamerafallen zusammengenommen) wurden auf der Fläche unter den APV-Modulen die meisten Arten nachgewiesen (27) und damit sechs Arten mehr als auf der direkt angrenzenden Referenzfläche. Die Ergebnisse zeigen, dass die APV-Fläche auf die Anwesenheit der meisten Arten keinen negativen Einfluss zu haben scheint. Im Vergleich mit der direkt angrenzenden Referenzfläche (gleiches Alter der Schnittlauchkultur, gleiche Größe, gleiche Bewirtschaftung) wurden auf der APV-Fläche mehr Arten und Individuen nachgewiesen, wobei es sich jedoch meist um relativ verbreitete, anpassungsfähige Arten handelte. Aber auch das in Niedersachsen stark gefährdete Rebhuhn hatte deutlich mehr Nachweise auf der APV-Fläche als auf der angrenzenden Referenzfläche und scheint gegenüber der Anlage kein Meideverhalten zu zeigen. Nachweise der Feldlerche erfolgten allerdings nicht auf der APV-Fläche, sondern nur im Umfeld mit mindestens 40 m Abstand zur Anlage.
Abgesehen von Jungvögeln der Bachstelze wurde von keiner weiteren Art brutanzeigendes Verhalten beobachtet. Vermutlich aufgrund der relativ hohen Störungsintensität durch die Bewirtschaftung war für Bodenbrüter eine erfolgreiche Brut auf allen untersuchten Flächen mit Schnittlauchkulturen nahezu unmöglich. Die relativ häufige Habitatnutzung der APV-Fläche durch Vögel bechränkt sich also insbesondere auf die Nahrungssuche.
An 234 Tagen im Jahr gelangen 7.332 Vogelnachweise auf den Modulen der APV-Anlage. Dabei dominierte die Ordnung der Sperlingsvögel gefolgt von den Tauben. Eulen, Falken und Greifvögel konnten dagegen nur an wenigen Tagen erfasst werden.
Das Projekt wird auf der Website des Instituts für Umweltplanung der Leibniz Universität Hannover präsentiert und in der Projektübersicht „Solarenergie und Naturschutz“ des KNE (Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende) aufgeführt. Es bestand ein enger Austausch mit dem Projektierer Agrosolar Europe, der Firma Steinicke GmbH (Flächeneigentümer) und den Landwirten, die die Probeflächen bewirtschaften. Es wurden Gespräche mit der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Lüchow-Dannenberg, dem Bundesamt für Naturschutz und dem Niedersächsischen Umweltministerium geführt. Eine erste Vorstellung erfolgte am „Tag der Energiewende“ der Leibniz Universität Hannover am 09.05.23. Am 14.11.23 wurde am Institut für Umweltplanung ein Workshop durchgeführt, bei dem mit Teilnehmenden aus verschiedenen Institutionen (BfN, DBU, KNE, UNB, Vogelschutzwarte des NLWKN) und einer Vertreterin des Projektierers Agrosolar Europe über die Ergebnisse diskutiert wurde. Am 04.12.23 erfolgte die Präsentation bei einer Sitzung der Task Force Photovoltaik des Niedersächsischen Umweltministeriums, am 15.01.24 bei der NNA und am 23.01.24 bei der Fa. Steinicke GmbH. Fachveröffentlichungen mit detaillierten Darstellungen der Ergebnisse sind in Arbeit.
Die Ergebnisse zeigen, dass die untersuchte APV auf die Anwesenheit der meisten Vogelarten keine negativen Auswirkungen zu haben scheint. Die zehn häufigsten Arten nutzten verschiedene Probeflächen und sowohl die APV-Fläche als auch die direkt angrenzende Referenzfläche. Bei den meisten Arten deren Nachweisschwerpunkt auf der APV-Fläche lag handelte es sich um relativ weit verbreitete Arten. Aber auch bei den Rote Liste Arten Bluthänfling und Rebhuhn entfielen ca. 70% der Beobachtungen auf die APV-Fläche und nur 30% auf die angrenzende Referenzfläche. Für Bodenbrüter wäre eine Brut auf dieser APV-Fläche nur dann vorstellbar, wenn die Fläche in der Brutzeit nur wenig befahren würde. Bei den hier untersuchten Schnittlauchkulturen erfolgte aber in der Brutzeit eine Befahrung durchschnittlich alle ca. 9-10 Tage. Zusätzlich könnte die Konstruktion bei manchen Offenlandarten zu einem Meideverhalten führen. So wurde die Feldlerche in dieser Studie immer nur in mindestens 40m Abstand nachgewiesen. Dieses Forschungsprojekt wurde an einer vergleichsweise kleinen und schmalen Anlage durchgeführt, zukünftig sind aber deutlich größere Anlagen zu erwarten. Auch die vergleichsweise teure, hochaufgeständerte Konstruktion könnte eher durch vertikale Elemente, oder Tracker-Module abgelöst werden. Weitere Forschung an größeren Anlagen, unterschiedlichen Systemen und in anderen Landschaftskontexten sind daher dringend nötig.