Die klimawissenschaftlichen Fakten sind alarmierend, und die Berichte der Vergangenheit und der Gegenwart unterstreichen den Handlungsdruck. Weltweit ist ein Klimawandel zu beobachten. Im Frühjahr bleiben die Niederschläge aus, was regional zu staubtrockenen Böden bis zum Sommer führt. In Mitteleuropa nehmen die Niederschläge im Sommer tendenziell ab und im Winter zu. Die Zahl der ungewöhnlichen Wetterereignisse nimmt zu, was sich in Überschwemmungen, Buschbränden oder Wirbelstürmen zeigt.
Viele Menschen sehen den Umwelt- und Naturschutz als Voraussetzung für die erfolgreiche Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen. Trotzdem kann eine Kluft zwischen Einstellung und Verhalten beobachtet werden, so dass die ergriffenen Maßnahmen nicht das widerspiegeln, was die Menschen denken. Ein Grund für diese Diskrepanz ist, dass Klimaschutz und Umweltbildung durch scheinbar unlösbare Zielkonflikte gekennzeichnet sind. Es gibt sowohl psychologische als auch strukturelle Barrieren, die Menschen daran hindern, entsprechend ihrer Überzeugungen und Einstellungen zu handeln. Beispielsweise können Individuen die Auswirkungen ihres individuellen Beitrags zum Klimaschutz nicht erkennen, was zu einer geringen Selbstwirksamkeit gegenüber der Klimakrise führt. Folglich ist die Stärkung der partizipativen (d. h. die Überzeugung, dass ein Einzelner einen bedeutenden Beitrag zur Erreichung eines Gruppenziels leisten kann) und kollektiven (d. h. die Überzeugung, dass "wir als Gruppe" bestimmte Ziele erreichen können) Wirksamkeit von entscheidender Bedeutung. Bildungspraktiker halten eine stärkere Verknüpfung von Wissenschaft und Praxis und damit eine intensivere Zusammenarbeit beider Berufsfelder für sinnvoll, notwendig und förderungswürdig.
Das Projekt setzt den länderübergreifenden Einsatz und die pilotmäßige Evaluation von Gamification und Storytelling zur Adressierung der genannten Konflikte um. Die Elemente werden in einer App umgesetzt. Durch die estnischen Erfahrungen im Bereich der Digitalisierung und die deutschen Erfahrungen in der nachhaltigen Bildung erreichen wir uns eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe und gegenseitige Lernprozesse.
Digitale Werkzeuge ermöglichen den Zugang zu Bildungsressourcen für eine breite Nutzergruppe, unabhängig von Zeit und Ort. Sie unterstützen das pädagogische Personal bei der Organisation von Bildungsprozessen. Insbesondere multimediale, interaktive und adaptive digitale Werkzeuge können die Qualität von individuellen und kollaborativen Lehr-Lern-Prozessen verbessern. In diesem Projekt wird ein bestehender Prototyp und Fragensatz mit einer Geschichte über Nachhaltigkeit und Klimawandel an die erweiterten und transnationalen Anforderungen in Deutschland und Estland angepasst.
Das Projekt erforscht und evaluiert Gamification und Storytelling in Kombination mit Instrumenten des Lernens, des Dialogs und der Partizipation. Gamification bezeichnet den Einsatz von Spielelementen in einem normalerweise spielfreien Kontext. Ziel ist es, eine freiwillige Verhaltensänderung zu erreichen und die Motivation zu steigern, eine solche Änderung auch im realen Leben umzusetzen. Gamification ist zwar ein relativ neues Konzept, aber ein vielversprechendes Instrument, um das Engagement der Lernenden in Lernprozessen zu erhöhen. Storytelling wird eingesetzt, um explizites und implizites Wissen in Form von Leitmotiven, Symbolen oder anderen rhetorischen Mitteln weiterzugeben. Das Projekt setzt ein partizipatives, zielgruppenorientiertes Umweltbildungsprogramm um, das in Zusammenarbeit mit der Zielgruppe einen lebensweltlichen Bezug herstellt und damit relevante Themen einbezieht.
Arbeitspakete:
AP1: Analyse der Bildung für nachhaltige Entwicklung an ausgewählten Hochschulen und Schulen in Deutschland und Estland unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Studie des deutschen Umweltbundesamtes.
AP2: Länderübergreifender Vergleich von Zielkonflikten und Ursachen für mangelndes Wissen und Motivation junger Menschen, sich für eine nachhaltige Entwicklung einzusetzen, sowohl auf psychologischer als auch auf struktureller Ebene.
AP3: Länderspezifische Anpassung einer existierenden Lern-App und Integration der Ergebnisse aus AP1 und AP2 in die Umwelt-Lerninhalte der App. Dabei soll die Relevanz für die Zielgruppe durch den Einsatz von zielgruppengerechter Bildung erhöht werden.
AP4: Pilotstudie - Nutzung/Evaluierung der Lern-App App in Workshops an unterschiedlichen Bildungseinrichtungen in Deutschland und Estland.
Insgesamt waren die Ergebnisse des Projekts vielversprechend. Da nur eine kooperative Lösung über nationale Grenzen hinweg erfolgreich sein kann, ist eine multikulturelle Zusammenarbeit bei Forschungsprojekten zu BNE sinnvoll. Allerdings haben wir festgestellt, dass es keine einheitliche Lösung gibt, die in allen Ländern funktioniert. Es gibt bereits große Unterschiede zwischen den Ländern in der Art und Weise, wie Wissen übertragen und wahrgenommen wird. Außerdem lag der Schwerpunkt des Projekts, an dem wir gearbeitet haben, auf dem Wissenstransfer. Das bisherige Projekt gibt keine Antwort auf die Frage, wie man das Verhalten der Schüler:innen tatsächlich und langfristig ändern kann. Es bleibt abzuwarten, ob Aktivierung hier der Schlüssel zum Erfolg sein kann. Zur Beantwortung der offenen Fragen ist die Einbindung verschiedener Disziplinen wie Lehrer:innen, Pädagog:innen, Soziolog:innen, Psycholog:innen und Techniker:innen unumgänglich.
Schaut man sich die Wahrnehmung der App genauer an, werden Unterschiede in den Ländern deutlich. Schüler:innen in Estland bewerten die Inhalte der App als eher langweilig, während deutsche Schüler:innen die App positiv bewerten. Ein Grund dafür könnten unterschiedliche Lehrkonzepte sein. Der Unterricht und die Unterrichtskonzepte unterscheiden sich stark zwischen Deutschland und Estland. Während die Schüler:innen in Estland schon früh zu Eigeninitiative, Kommunikation und kritischer Bewertung von Lerninhalten ermutigt werden, werden diese Fähigkeiten in Deutschland weniger berücksichtigt. Deutsche Schüler:innen sind immer noch häufig Frontalunterricht ausgesetzt. Ein weiterer Grund für den Unterschied in der Wahrnehmung könnte die Gestaltung der Anwendung sein. Während in Deutschland ein Projekttag aus 3 größeren Blöcken (Theorie, praktische Versuche, Diskussion) bestand, basierte die Bewertung in Estland allein auf der App. Zuletzt haben die Esten sehr hohe Erwartungen an die Benutzerfreundlichkeit, welche bei einem Prototypen noch nicht ideal umgesetzt wurde.
Bei Schüler:innen in Deutschland war die Wahrnehmung sehr positiv. Durch ein Konzept, das praktische Versuche, theoretisches Wissen in Form von Gamification sowie Diskussionen miteinander verknüpft, konnten wir einen signifikanten Effekt bei der Wahrnehmung von MINT-Fächern im Zusammenhang mit Lösungen für den Klimawandel feststellen. Die Rückmeldungen der Schüler:innen zeigten, dass ein halber Tag nicht ausreichte, um das Thema umfassend zu diskutieren.
Durch die aktive Beteiligung von über 150 Schüler:innen und Studierenden wurde das Projekt sowohl in Estland als auch in Deutschland einem breiten Zielpublikum präsentiert. Eine Ausweitung auf weitere Schulen ist in den nächsten Monaten geplant. Die Partner des Projekts stellten Informationen über das Projekt auf ihren Webseiten bereit. Insbesondere wurden die Projekttage an deutschen Schulen ansprechend illustriert, um einen Einblick in das Geschehen zu ermöglichen.
Die Hochschule RheinMain erlangte durch den zweiten Platz bei der MINTchallenge des Stifterverbands im Rahmen dieses Projektes überregionale Aufmerksamkeit. Aufgabe der MINTchallenge war es, innovative Ideen für die Integration nachhaltiger Entwicklung im Bereich der MINT-Hochschullehre zu entwickeln.
Die Psychologen der Universität Landau führen derzeit weitere Untersuchungen der Projektergebnisse durch, deren Ergebnisse in einem international renommierten Fachjournal veröffentlicht werden sollen.
Es wird zunehmend erkannt, dass die Einstellung der Bürger:innen ein sozialer Kipppunkt für die Umsetzung der Klimaziele darstellt. Es ist daher notwendig, Schüler:innen an Schulen davon zu überzeugen, dass schnelles und zielgerichtetes Handeln erforderlich ist. Hierbei spielen zeitgemäße Medien eine wichtige Rolle. Darüber hinaus müssen mehr Schüler:innen davon überzeugt werden, dass MINT-Fächer einen weiteren Baustein zur Bewältigung der Klimakrise darstellen. Transfer, Selbsteinschätzung und Problemlösung sollten im Vordergrund der Klimabildung stehen, um eine Aktivierung in Bezug auf dieses wichtige Thema zu erreichen.
Insgesamt hat das Projekt gezeigt, dass durch ein geeignetes Konzept eine Veränderung in der Wahrnehmung des Klimawandels und der Handlungsoptionen erreicht werden kann. Dennoch sind weitere langfristige Forschungsarbeiten erforderlich, um die tatsächlichen Auswirkungen auf das Handeln zu untersuchen. Zudem sind Untersuchungen an größeren Gruppen notwendig, um statistische Effekte auf wissenschaftlicher Basis analysieren zu können.
Trotz der gezeigten Schwierigkeiten bei der länderübergreifenden Bildung sollten Projekte versuchen, Ansätze über Länder hinaus zu erproben, da eine Lösung der Herausforderung des Klimawandels nur gemeinsam möglich ist. Gerade Deutschland kann hier von den Erfahrungen seiner Partner bei der Digitalisierung im Bildungsbereich profitieren.