Projekt 37408/01

Entwicklung eines integralen Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik-(MSR-)Konzepts zur frachtbasierten Echtzeit-Steuerung der Abwasserableitung in Kanalnetzen zur Entlastung der Gewässer

Projektdurchführung

NIVUS GmbH
Im Täle 2
75031 Eppingen

Zielsetzung

Stoffeinträge aus der Siedlungsentwässerung haben vielfältige negative Einflüsse auf die Gewässer. So gelangen beispielsweise Schwermetalle maßgeblich über die Siedlungsentwässerung in die Gewässer. Diese Schwermetalle, aber auch andere Schadstoffe liegen häufig gebunden an feinen Feststoffpartikeln vor. Feststoffeinträge in Gewässer haben darüber hinaus direkte Auswirkungen auf die Wasserqualität, da bspw. durch organische Anteile die Sauerstoffzehrung verstärkt wird. Des Weiteren werden durch Kolmation der Gewässersohle und des damit verbundenen verminderten Austauschs zwischen fließender Welle und dem Interstitial die Gewässerbiozönosen negativ beeinflusst. Besonders kleinere Gewässer können so durch Einleitungen aus Kanalnetzen erheblichen Feststofffrachten ausgesetzt sein und infolgedessen signifikant beeinflusst werden. Leiten Kläranlagen gereinigtes Abwasser in einen Vorfluter mit geringer Wasserführung ein, so sinkt der Verdünnungsfaktor. Das hat eine signifikante Annäherung der Substanzkonzentration an die Ablaufkonzentration der Kläranlage zur Folge. Bei einem solchen Sachverhalt kann es vor allem in Dürreperioden dazu kommen, dass insbesondere kleinere Gewässer zu fast 100 % aus gereinigtem Abwasser bestehen. Der Feststofffrachtanteil kann zur Abschätzung auftretender Umweltbelastungen in den Gewässern herangezogen werden.
Durch die Umsetzung einer frachtbasierten Kanalnetzsteuerung kann und soll sichergestellt werden, dass bei der Einleitung in Gewässer zu keiner Zeit Feststofffrachten eingeleitet werden, die zu einer kritischen Konzentration mit den entsprechenden Folgen im Gewässer führen würden.
Anhand eines Pilotgebietes in Köln-Rodenkirchen untersuchen die NIVUS GmbH, das Forschungs-institut für Wasserwirtschaft und Klimazukunft an der RWTH Aachen e. V. und die Stadtentwässerungsbetriebe Köln die Möglichkeiten der qualitätsabhängigen Steuerung mit dem Ziel, die Gesamtemissionen zu reduzieren. Das Projektgebiet ist besonders geeignet, da es bereits über eine ausgeprägte technische Kanalinfrastruktur mit Steuermöglichkeiten, wie Pumpanlagen und Hubwehren, sowie über Online-Steuer- und Messvorrichtungen verfügt. Das Gebiet lag als realitätsnahes und validiertes Berechnungsmodell mit Berücksichtigung der stofflichen Emittenten vor. Das Vorhaben konnte daher, ohne signifikante Investitionskosten und mit geringem technischem Aufwand verwirklicht werden. Die Gebietsstruktur und die Größe der Kennwerte, wie angeschlossene Einwohner, Fläche und Verschmutzungsgrad entsprechen vielen mittelgroßen Kläranlagen in Deutschland. Eine Übertragbarkeit der Methodik und der Ergebnisse ist somit gegeben.
Bereits während des Projekts sollte der Einsatz der geplanten Steuerung rechnerisch auf ein Modellgebiet mit einem kleineren und sensibleren Vorfluter übertragen werden. Anhand der im Projekt erarbeiteten Ergebnisse hinsichtlich des Einflusses auf die Feststofffrachten können so Potenzialabschätzungen zur Reduzierung von Frachteinträgen aus Entlastungsbauwerken in empfindliche Vorfluter durch eine frachtbezogene Kanalnetzsteuerung abgeleitet und in Folgeprojekten umgesetzt werden.
Diese sollten anschließend mit den Umweltentlastungspotenzialen einer ungesteuerten Einleitung und einer volumenbezogenen Steuerung verglichen werden. Von den Ergebnissen des Forschungsvorhabens werden neue Erkenntnisse zum Zusammenwirken von Abfluss und Schmutzfrachtverlauf in Mischwasserkanälen erwartet. Des Weiteren sollte eine umsetzbare und übertragbare Lösung für die Online-Frachtdatenerfassung im Kanal gefunden und beschrieben werden.
Im Rahmen des Vorhabens sollte eine frachtbasierte Bewirtschaftung zur Entlastung der Gewässer und Verstetigung der Frachten im Zulauf der Kläranlagen konzipiert werden, woraus ein wesentlicher Beitrag zur Umweltentlastung erwartet wurde. Dies sollte beispielhaft an der Kläranlage Köln-Rodenkirchen untersucht werden. Das Kanalnetz im Pilotgebiet zeichnet sich durch seine Repräsentativität im Hinblick auf die enthaltenen Sonderbauwerke und Steuerungselemente sowie die Bebauungs- und Nutzungsformen (Wohngebiete, Gewerbegebiete) in einem typischen Mischkanalsystem aus. In Kombination mit dem innovativen Messansatz zur frachtbasierten Bewirtschaftung des Kanalnetzes mittels Multifrequenz-Ultraschallverfahren wird der Modellcharakter des Vorhabens begründet. Die Ergebnisse sollten am Ende hinsichtlich der Übertragbarkeit bewertet und in die Breite getragen werden.

Forschungsinstitut für Wasser- und Abfallwirtschaft an der RWTH Aachen (FiW) e. V. Stadtentwässerungsbetriebe Köln

Arbeitsschritte

Gesamtziel des Vorhabens war die Optimierung des Stoffstrommanagements bei der Siedlungsentwässerung im Mischsystem. Dieses Ziel sollte mit dem Instrument der gesteuerten Abwasserableitung im Kanalnetz realisiert werden.
Im Rahmen des Vorhabens wurde hierzu eine frachtbasierte Steuerung zur Entlastung der Gewässer und Verstetigung der Frachten im Zulauf der Kläranlagen betrachtet. Dies wurde anhand der Randbedingungen in einem Piloteinzugsgebiet untersucht. Folgende Schwerpunkte wurden hierbei behandelt:

1. Aufnahme und Messung von Äquivalenzen der abfiltrierbaren Stoffe (AFSäq) mittels Online Messung (Sonden) an verschiedenen steuerungsrelevanten Stellen im Kanal, an den Entlastungsbauwerken und im Zulauf der Kläranlage in möglichst hoher zeitlicher Auflösung zur Abbildung von Ganglinien nach unterschiedlichen Entwässerungszuständen (Trockenwetterabfluss sowie nach Intensitäten und Häufigkeiten abgestufte Mischwasserabflüsse) und innerhalb einzelner Niederschlagsereignisse. Es werden Daten sowohl aus dem Kanalnetz als auch aus dem Zulauf der Kläranlage sowie im Falle von Entlastungsereignissen aus den Entlastungsbauwerken aufgenommen.
2. Korrelation der Messdaten für die Abwasserparameter mit Referenzmessungen der Stoffparameter über Probennehmer. Untersuchung von Messdatendrift und Anpassung der Sondenpositionen gemäß einer Evaluierung der Einbauorte.
3. Aktualisierung eines hydrodynamischen Modells zur Entwicklung von Steuerungen. Entwicklung eines deterministischen Schmutzfrachtmodells auf Basis des hydrodynamischen Modells und automatisierte Kalibrierung mit den Daten der Online-Messung. Ziel ist hierbei das Stoffstrommodell vom Kanal hinreichend genau abzubilden, um die Stofftransport- und Remobilisierungsprozesse im Kanal nachzubilden.
4. Entwicklung von volumenbasierten und frachtbasierten Steuerungsmöglichkeiten für das Kanalnetz zur Reduzierung der abgeschlagenen Frachten im Entlastungsfall und automatisierte Optimierung der Drosseleinstellungen.

AFS63 – der Feinanteil in den abfiltrierbaren Stoffen - NIVUS GmbH

Ergebnisse

Die Erprobung der Messtechnik im Mischsystem hat gezeigt, dass die Anordnung der Sonden wesentlich für eine zuverlässige Messung ist. Daher sollten Sonden anders als hier im Projekt in Zukunft nach den Empfehlungen platziert werden. Ein Einbau an Wehrschwellen zeigt sich dabei als unproblematisch. Insbesondere an Hubwehren und in Drosselleitungen kommt das Messprinzip schnell an seine Grenzen. Ebenfalls stellt der Einbauort auf der Sohle bei Sedimentationen sich als nicht geeignet dar.
Im Projekt konnte gezeigt werden, dass der Schmutzfrachtverlauf gut abgebildet werden kann. Das Messprinzip zeigte zudem im Dauerbetrieb eine geringe Anfälligkeit für Messdatendrift. Optimierungspotenzial besteht allerdings in der Messgenauigkeit. In Ex-situ Feldtests konnten zwar in Schmutzwasser Regressionen zwischen Sensordaten und Laboranalysen mit R²=0,976 und p<0,000 nachgewiesen werden. Eine Bestätigung der Ergebnisse im Kanal war jedoch noch nicht möglich und steht noch aus.

Die volumenbasierten Steuerungen zeigen, dass durch einfache lokale und verteilte Steuerungen die Entlastungsmengen reduziert werden können. So können modelltechnische Reduzierungen der Entlastungsvolumina von 11 bis 51 % in der Theorie erreicht werden. Die besten Ergebnisse konnten durch eine verteilte Steuerung mit einer Optimierung der Hubwehreinstellungen erreicht werden. Insgesamt kann so die Anzahl der Entlastungen reduziert werden. Bei einem Vergleich der Regen zeigte sich, dass die größten Einsparungen für mäßige bis starke Regen erreichbar sind. Vor einer Implementierung sollten weitere Optimierungsschritte durchgeführt werden, welche durch die Rechenzeit des Modells limitiert waren. Lösungswege zur Reduzierung der Rechenzeit könnte eine Vereinfachung des Modells sein, eine Eingrenzung der Optimierungsparameter, deren Bereiche oder die Möglichkeit einer weiteren Parallelisierung von Simulationsläufen. Die volumenbasierte Steuerung stellt so eine gute Basis und Referenz für frachtbasierte Steuerungen dar.

Das entwickelte deterministische Wasserqualitätsmodell bietet keine ausreichende Genauigkeit (Median NSE = 0,00) zur Entwicklung von Steuerungen. Das Modell wurde allerdings verwendet, um eine Methodik zur Erfassung des Potenzials von lokalen frachtbasierten Steuerungen zu entwickeln. Die Potenzialanalyse ist noch für mehrere verschiedene Wasserqualitätsmodelle und unter Berücksichtigung von Volumensteuerungen ausstehend. Ebenfalls sollten die Empfehlungen verifiziert werden durch die genaue Simulation der lokalen Steuerungen.

Mit Hilfe der verfügbaren Sensordaten von den optimierten Einbaupositionen konnten einige implizite Frachtsteuerungen untersucht werden. Dazu wurden die Sensordaten genutzt um ein Verhalten des Systems zu verstehen und diese Informationen in einer Volumensteuerung zu nutzen, um beispielsweise den Zeitpunkt des Einstaus der Hubwehre zu optimieren. Zur frachtbasierten Steuerungsentwicklung sollte in Zukunft der Blick stärker auf messdatengetriebene Modelle gelegt werden. Hier sollte untersucht werden, wie ein Zusammenspiel aus messdatengetriebenen Frachtsteuerungen mit volumenbasierten Steuerungen in Eintracht gebracht werden kann, da die Abdeckung eines gesamten Systems mit Sonden unrealistisch ist. Somit wird das größte Potenzial für eine übertragbare Steuerung aus einer Synergie zwischen zentralen volumenbasierten und lokalen Frachtbasierten Konzepten gesehen.

Öffentlichkeitsarbeit

Beiträge:

- Frachtbasierte Kanalnetzbewirtschaftung zur Reduzierung der Gewässerbelastung, JAHRESBERICHT 2022/2023 Forschungsinstitut für Wasserwirtschaft und Klimazukunft an der RWTH Aachen (FiW) e. V., Seite 66 - 67
- Frachtbasierte Kanalnetzbewirtschaftung zur Reduzierung der Gewässerbelastung, acwa Newsletter, Ausgabe 27, März 2024, Seite 6 - 7
- Projekt „ENTfrachtEN“: Erfahrungen mit Ultraschallsensoren zur frachtbasierten Kanalnetzsteuerung in Köln-Rodenkirchen, Sebastian Kerger, Thorsten Schmitz, Frank Rüsing, Korrespondenz Abwasser (eingereicht)

Vorträge:

- Entwicklung einer frachtbasierten Echtzeitsteuerung in Köln-Rodenkirchen, Frank Rüsing, 21. Kölner Kanal und Kläranlagen Kolloquium, 12. und 13. Juni 2023, Köln
- Frachtbasierte Kanalnetzbewirtschaftung in Köln, Entwicklung einer frachtbasierten Echtzeit-Steuerung mit dem Ziel der Gewässerentlastung, Frank Rüsing & Sebastian Kerger, Workshop zur Energieeffizienz & Digitalisierung in der Wasserwirtschaft, Design Office Karlsruhe, 1.März 2023
- Investigating ultrasound online sensors to measure TSS for quality-based real time control of combined sewer systems, Sebastian Kerger, EJSW 2024 - 26th European Junior Scientists Workshop on Monitoring Urban Drainage Systems and Rivers, 30.05.2024, Saint Maurice en Valgaudemar (France)
- Pitch "ENTfrachtEN", Thorsten Schmitz und Sebastian Kerger, Expertenforum Kanalnetzsteuerung 2024, 04.07.2024, Freiburg
- Untersuchung von Online-Ultraschallsensoren zur Messung von AFS für die qualitätsbasierte Echtzeitkontrolle von Mischwasserkanalisationen, Sebastian Kerger, 22. Kölner Kanal und Kläranlagen Kolloquium, 17. September 2024, Köln
- „ENTfrachtEN“: Ziele und Stand der Umsetzung, Sebastian Kerger, DWA Gewässerschutzbeauftragten Tagung am 19./20. November 2024 in Kassel: Forschungsvorhaben
- Entwicklung eines integralen MSR-Konzeptes zur frachtbasierten Echtzeit-Steuerung der Abwasserableitung mit dem Ziel der Gewässerentlastung, Sebastian Kerger, RIWWER Projekttreffen 05.12.2024
- Entlastungsfrachten reduzieren durch frachtbasierte Kanalnetzsteuerung-Erfahrungen aus dem Projekt ENTfrachtEN, Thorsten Schmitz, Sebastian Kerger, Frank Rüsing, Kanalmanagement Wien, 24.04.2025
- ENTfrachtEN – Kanalnetzsteuerung neu gedacht, Frank Rüsing, IFWW-Mitgliederkolloquium 29.04.2025
- ENTfrachtEN – Chancen einer frachtbasierten Kanalnetzsteuerung zur Reduzierung der Schadstoffeinträge in die Gewässer, Aqua Urbanica 23.09.2025 (eingereicht)
- ENTfrachtEN – Frachtbasierte Steuerungskonzepte zur Reduzierung der Stoffeinträge in die Gewässer, Thorsten Schmitz, Sebastian Kerger, Frank Rüsing, NIVUS Wasserfachtage, Eppingen, 25.06.2025 (geplant)
- Towards the assessment of pollution-based real-time control potential of sewer systems, Sebastian Kerger, Thomas Wintgens, 13th Urban Drainage Modelling Conference, September 15. - 19. 2025, Innsbruck (Österreich)
- Challenges in data collection for load-based real time control and the validation of pollution load models with acoustic multifrequency backscattering sensors - experiences from the ENTfrachten project, Thorsten Schmitz, Sebastian Kerger, Frank Rüsing, 13th Urban Drainage Modelling Conference, September 15. - 19. 2025, Innsbruck (Österreich)

Workshops:

1. ENTfrachtEN Workshop, 20.10.2022 / StEB Köln / Ostmerheimer Strasse 555, 51109 Köln
2. ENTfrachtEN Workshop, 12./13.09.2023 / NIVUS GmbH / im Täle 2, 75031 Eppingen
3. ENTfrachtEN Workshop, 26./27.11.2024 / FiW / An der Ölmühle 4, 52074 Aachen

Repository:

https://git-ce.rwth-aachen.de/sebastiankerger/mikepluspy_scripts

Fazit

Die erprobte multifrequenzbasierte Ultraschallmesstechnik zeigte eine gute Abbildung der Schmutzcharakteristik in der Mischwasserkanalisation unter Beachtung der Einbauempfehlungen. Defizite in der Messgenauigkeit können durch weitere Untersuchungen hinsichtlich des Einflusses beispielsweise der Saisonalität, Spülstoßausprägung oder Verdünnung verbessert werden. Die Untersuchungen zeigten, dass die Messtechnik wartungsarm in der Kanalisation eingesetzt werden kann und somit Limitationen anderer Sonden überwindet. Eine bisher nicht durchgeführte Untersuchung ist die Fragestellung, inwiefern die Unsicherheiten in der Messtechnik bei parallelen Messungen einen Abgleich von Konzentrationen zur Steuerung erlauben.
Deterministische Modelle sind derzeit nicht in der Lage die Schmutzfrachtcharakteristik aller Niederschlagsereignisse abzubilden. Für eine schmutzfrachtbasierte Steuerung sollten daher datengetriebene Modelle angestrebt werden, für die die Sonden gute Daten liefern können. Das Potenzial konnte im Projekt beispielsweise durch implizite Steuerungen gezeigt werden. In Zukunft können diese bei Beachtung der Empfehlungen zum Sondeneinbau entwickelt werden, wenn qualitativ hochwertige Daten generiert werden. Das größte Potenzial wird dabei bei einem Einsatz für eine lokale Steuerung gesehen, die mit einer zentralen volumenbasierten Steuerung gekoppelt wird.

Übersicht

Fördersumme

299.798,00 €

Förderzeitraum

18.10.2021 - 31.03.2025

Bundesland

Nordrhein-Westfalen

Schlagwörter

Ressourcenschonung
Umwelttechnik