Planungs?, Fertigungs? und Monitoring?Methoden für die Anwendung neuartiger, tragender Bauteile aus Naturfasern für ressourceneffiziente, digital hergestellte Faserverbundbauweisen: Projekt LivMatS Pavillon
Projektdurchführung
ICD - Institut für Computerbasiertes
Entwerfen und Baufertigung
Universität Stuttgart
Keplerstr. 11
70174 Stuttgart
Zielsetzung und Anlass des Vorhabens
Die Hauptzielsetzungen des Vorhabens waren die Entwicklung geeigneter Planungs-, Fertigungs- und Monitoring-Methoden für den erstmaligen Einsatz von Naturfaserverbundwerkstoffen im robotischen kernlosen Wickelverfahren zur Herstellung tragender Bauteile. Der Schwerpunkt des Projekts lag zum einen auf der Integration der Naturfaserverbundwerkstoffe und ihrer heterogenen, biologisch variablen Materialeigenschaften in die Entwurfs-, Simulations- und Fertigungsmethoden, die ursprünglich am ICD und ITKE für synthetische, homogene Materialien entwickelt wurden und schon bei mehreren Versuchsbauten zum Einsatz kamen. Diese neu entwickelten Co-Design Methoden [KW21] für den Einsatz von Naturfasern wurden anschließend im Kontext eines großmaßstäblichen Versuchsbauprojekts erstmalig angewandt dem livMatS Pavillon im Botanischen Garten in Freiburg. Die tragende Struktur des livMatS Pavillons besteht aus 15 Modulen, die ausschließlich aus endlos gesponnenen Flachsfasern robotisch hergestellt wurden. Mit seinem filigranen und charakteristischen Erscheinungsbild zeigt der livMatS Pavillon eindrucksvoll, dass natürliche Werkstoffe in Verbindung mit modernsten computerbasierten Entwurfs- und Fertigungsmethoden als vielversprechende Alternative zu synthetisch hergestellten Fasern im Bauwesen eingesetzt werden können.
Die Herausforderungen bei der Umsetzung des Projekts waren zum einen die Anpassung der Spannkräfte und Prozessgeschwindigkeiten des robotischen Wickelverfahrens als auch die Methoden zur Auslegung des Tragwerks, vor allem in Hinblick auf das neue Materialsystem. Um die optimale Tragfähigkeit der Module zu erzielen, wurden Prototypen im Maßstab 1:1 mit unterschiedlicher Faserauslegungen und unterschiedlichen Naturfaser-Harz-Kombinationen hergestellt und mit strukturellen Belastungstests validiert.
Ein weiterer Schwerpunkt des Projekts lag auf der Untersuchung, inwieweit das im livMatS Pavillon verwendete erdölbasierte Harz durch ein biobasiertes Harz ersetzt werden kann. Biobasierte Harze besitzen ähnliche mechanische Eigenschaften wie konventionelle fossile Harzsysteme. Jedoch stellt Dauerhaftigkeit bei Umwelteinwirkungen, insbesondere bei Feuchtigkeit und UV-Strahlung eine zentrale Herausforderung dar. Im Rahmen des Projekts wurden über einen Zeitraum von 12 Monaten Probekörper aus Naturfasern mit verschiedenen biobasierten Harzsystemen im livMatS Pavillon angebracht und somit denselben Umwelteinflüssen ausgesetzt. Sensoren zeichneten in diesem Zeitraum die wesentlichen Umwelteinflüsse, Temperatur, Luftfeuchtigkeit und UV-Strahlung auf. In regelmäßigen Abständen wurden Probekörpergruppen entnommen, mechanisch auf Alterungseffekte geprüft und die Ergebnisse sowohl mit den aufgenommenen Umweltdaten korreliert als auch mit einer Kontrollgruppe aus Naturfasern mit erdölbasierten Harzsystem verglichen. Die untersuchten biobasierten Harzsysteme wiesen im Vergleich zu den bisher verwendeten erdölbasierten Systemen geringere strukturelle Leistungsfähigkeit auf, ihr Verwitterungsgrad durch Umwelteinflüsse war im direkten Vergleich jedoch nicht signifikant höher. Die bisher erhältlichen biobasierten Harzsysteme sind nur bis zu einem bestimmten Anteil (maximal 50%) aus biobasierten Bestandteilen zusammengesetzt. Ein weiterer wichtiger Schritt für die Nachhaltigkeit biobasierter Faserverbundsysteme in der Architektur wäre die Entwicklung vollständig biogener und damit biologisch abbaubarer Harzsysteme.
Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten MethodenDas Forschungsprojekt wurde in drei aufeinanderfolgende Projektphasen mit fünf sich überschneidenden Arbeitspaketen unterteilt.
Die erste Phase (AP 1, AP 2, AP 3) konzentrierte sich auf die Anpassung der Entwurfs- und Konstruktionsmethoden sowie der Herstellungsverfahren an die Verwendung von endlos gesponnenen natürlichen Flachsfasern und auf die für eine großmaßstäbliche Anwendung erforderlichen material- und fabrikationstechnischen Entwicklungen. Erste kleinere Wickel- und Belastungstests unterstützten die Materialauswahl und lieferten erste Richtwerte über die mechanischen Eigenschaften, das konstruktive Verhalten des Materials und mögliche Versagensarten.
Am Ende dieser Phase wurden strukturelle Belastungstests an 2-3 prototypischen Bauteilen durchgeführt, um diese Entwicklungen für die strukturelle Anwendung von Naturfasersystemen zu validieren.
Die zweite Phase (AP 4) konkretisierte die Forschungsarbeiten mit Unterstützung des Industrie-Partners im Zusammenhang mit dem Bau des großmaßstäblichen Projekts "livMatS Pavillon" im Botanischen Garten der Universität Freiburg.
In der dritten Phase (AP 5) wurde das Projekt langfristig begleitet. Es wurden verschiedene Materialkombinationen (auch Naturfasern und biobasierten Harzsysteme) hinsichtlich ihres Alterungsverhaltens getestet, mit einer Kontrollgruppe (aus Naturfasern und erdölbasiertem Harzsystem), um die Dauerhaftigkeit von Naturfasern als zentrale Herausforderung beim Einsatz im Bauwesen zu verifizieren.
Ergebnisse und Diskussion
Die genaue Zusammensetzung des Faserverbundwerkstoffes spielt eine wichtige Rolle bei der Bestimmung des Kompressionsverhaltens. In dieser hier präsentierten Studie wurden vier Varianten von Epoxidharzen untersucht, die jeweils unterschiedliche Anteile an biologischem Material aufweisen. Das Epoxidharz Hexion Epikote ist vollständig erdölbasiert, während Entropy CLR einen biobasierten Anteil von 21% beinhaltet. Resoltech enthält 33% biobasiertes Material, während Greenpoxy mit 51% den höchsten Anteil an biobasiertem Material unter den getesteten Harzen aufweist.
Die Analyse der Ergebnisse für die maximale Druckkraft ergab eine auffällige Beziehung zwischen der Leistung des Bauteils und dem biobasierten Anteil des Harzes: Es wurde eine umgekehrte Korrelation beobachtet, wobei ein höherer biologischer Anteil mit einer geringeren Leistung, Druckbelastung aufzunehmen, einherging.
Die Integrität der Naturfasern hat einen signifikanten Einfluss auf die Zugfestigkeit des Verbundsystems. Die Testergebnisse zeigten eine Tendenz zur Abnahme der maximalen Zugkraft über einen Zeitraum von 12 Monaten sowie eine deutlichere Abnahme der K-Steifigkeit. Der Gesamtverlust an Leistung lag zwischen 2 % und 6 %. Die im Verbundsystem verwendete Matrix spielt eine entscheidende Rolle bei der Bestimmung der Druckfestigkeit. Die Ergebnisse zeigten jedoch, dass die Druckfestigkeit mit der Zeit deutlich um ca. 5 bis 10% abnimmt, während bei der Steifigkeit kein eindeutiger Trend erkennbar ist.
Allgemein gilt, dass die Zug- und Druckbeanspruchung und auch die Steifigkeit der Probekörper abnehmen, wenn der Anteil an Harz geringer ausfällt. Es gibt kein eindeutiges Indiz dafür, dass die höhere Zug- und Druckbelastbarkeit nach 6 Monaten in direktem Zusammenhang mit dem Faservolumengehalt der Probekörper steht.
Die durchgeführte Untersuchung konzentrierte sich auf die Bewertung der Festigkeit und Steifigkeit des Materialsystems über einen Zeitraum von einem Jahr. Die vorläufigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Festigkeit bzw. Steifigkeit im Laufe der Zeit um durchschnittlich 5-6 % abnimmt, wenn die Materialien UV-Strahlung ausgesetzt werden. Diese Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig es ist, die Testdauer zu verlängern, um eine umfassendere Entwicklungskurve der Festigkeit und Steifigkeit zu erhalten, insbesondere für die Planung von Bausystemen, die langfristig zum Einsatz kommen sollen.
Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation
Der livMatS Pavillon im Botanischen Garten der Universität Freiburg zeigt deutlich auf, wie eine nach-haltige, ressourceneffiziente Alternative zu konventionellen Bauweisen mit Naturfasern möglich sein kann. Er stellt das erste Gebäude dar, dessen tragende Struktur ausschließlich aus robotisch gewickel-ten Flachsfasern besteht, einem Material, das natürlich, erneuerbar, biologisch abbaubar und regional verfügbar ist. Er ist daher ein wichtiger Meilenstein in Richtung Nachhaltigkeit in der Architektur.
Durch seine innovative Verknüpfung von Naturwerkstoffen und modernsten digitalen Technologien ver-deutlicht der livMatS Pavillon anschaulich, wie integrative Co-Design-Methoden, durch die geometri-sche, materielle, strukturelle, produktionstechnische, ökologische und ästhetische Anforderungen schon in einem sehr frühen Stadium eines Projekts berücksichtigt werden, in Verbindung mit moderns-ten robotergestützten Fertigungstechniken und Untersuchungen zu natürlichen Werkstoffen eine ein-zigartige Architektur schaffen, die zugleich umweltfreundlich und gestalterisch ausdrucksstark ist.
Der livMatS-Pavillon ist für die Öffentlichkeit offen zugänglich und wird seit seiner Errichtung auch häu-fig für Veranstaltungen genutzt. Er wird zudem als Veranstaltungsort für Angebote der Universität Frei-burg, insbesondere des Exzellenzclusters "Living, Adaptive and Energy-autonomous Material Systems (livMatS), eingesetzt, die den Botanischen Garten im Rahmen des Konzepts Learning from Nature in Nature als Forschungs- und Lehreinrichtung nutzt.
Der livMatS Pavillon als Demonstrator des Projekts und die zugrundeliegende Forschung wurden wis-senschaftlich publiziert und national und international in den Bereichen Hoch- und Tiefbau, Ingenieur-wesen und Architektur, sowie vor einem breiten Publikum präsentiert.
Fazit
Im Rahmen dieses Forschungsprojekts wurde die Eignung von biobasierten Faserverbundwerkstoffen für zukünftige Anwendungen im Leichtbau erfasst. Dabei wurden verschiedene biobasierte Harzsysteme im Materialverbund mit Flachsfasern untersucht und mit konventionellen, ölbasierten Harzsystemen verglichen. Hierfür wurden mehrere Probekörper-Serien produziert, die über verschiedene Zeitpunkte der natürlichen Verwitterung ausgesetzt waren. Die Verwitterungsbedingungen vor Ort wurden durch digitales Monitoring erfasst und ausgewertet.
Die getesteten biobasierten Harzsysteme wiesen zwar im Vergleich zu erdölbasierten Harzsystemen leistungsärmere Eigenschaften in ihrer strukturellen Belastbarkeit auf, allerdings ist der Verwitterungsgrad der biobasierten Systeme im direkten Vergleich mit den erdölbasierten Systemen nicht signifikant höher.
Die generelle Leistungsfähigkeit der hier aufgezeigten biobasierten Harzsysteme kann grundsätzlich gewährleistet werden, was unter anderem in den Druck- und Zugbelastungstests sichtbar wird. Bei Faserverbundstrukturen in Leichtbauweise ist es üblich, die Faserstruktur lastfallangepasst entsprechend ihrer spezifischen Materialeigenschaften zu gestalten. Dieses Vorgehen gilt auch für die im Forschungsprojekt getesteten Harzsysteme. Fragen zu Größe und Skalierbarkeit biobasierter Harzsysteme müssen jedoch noch umfangreich weiterentwickelt und getestet werden.
Der livMatS Pavillon zeigt jedoch eindrucksvoll, dass Naturfasern als Alternative zu Karbon- und Glasfasern erfolgreich im Kontext von Leichtbaukonstruktionen eingesetzt werden können und demzufolge umweltverträglichere Faserverbundwerkstoffe im Bauwesen möglich sind.
Sollten biobasierte Harzsysteme zukünftig in ihrer Zusammensetzung so weiterentwickelt werden, dass sie weniger Erdöl, bzw. epoxidbasierte Bestandteile besitzen oder gar vollständig biogen sein, wäre dies ein wichtiger Schritt für die Forschung an biobasierten Faserverbundsystemen, hin zu nachhaltigeren Systemen. Der Prozess des Faserwickelns ermöglicht eine weitestgehend automatisierte Verarbeitung der Materialien zu fertigen Bauteilen. Dabei müssen materialspezifische Anpassungen vorgenommen werden, um die Abzugsfestigkeit zu erhöhen und gleichzeitig auf den jeweils individuellen Tränkungsgrad der Verbundsysteme auf Naturfaserbasis einzugehen. Wie die Versuche gezeigt haben, ist es mitentscheidend, wie groß die Spannweite der Fasern im Syntaxdesign und im realen Verarbeitungsprozess ausgelegt ist.
Die Möglichkeiten des Materialsystems sind noch lange nicht ausgeschöpft - sowohl was die Materialzusammensetzung als auch die Anwendungsmöglichkeit betrifft.
Fördersumme
118.500,00 €
Förderzeitraum
07.09.2020 - 30.06.2023
Bundesland
Baden-Württemberg
Schlagwörter