Untersuchung nachhaltiger Bewehrungen aus Naturfasern für Textilbetonbauteile (Laborphase)
Projektdurchführung
Hochschule Biberach
Institut für Konstruktiven Ingenieurbau (IKI)
Karlstr. 11
88400 Biberach
Zielsetzung und Anlass des Vorhabens
In den letzten Jahren haben das wachsende ökologische, soziale und wirtschaftliche Bewusstsein und die Absicht, den CO2-Ausstoß zu verringern, die Bedeutung des nachhaltigen Wirtschaftens hervorgehoben und die Suche nach umweltverträglichen Materialien intensiviert. Das Ziel dieses Forschungsvorhabens war es deshalb, erstmals Textilien aus Naturfasern hinsichtlich ihrer Eignung als lastabtragende Bewehrung in Beton-bauteilen systematisch zu analysieren und zu bewerten. Es sollte ein Bewehrungstextil entwickelt werden, dass die Zugfestigkeit eines Betonbauteils signifikant steigert, einen guten Verbund zur Betonmatrix erreicht und mit möglichst geringem Aufwand produziert werden kann. Die genannten Eigenschaften wurden anhand umfassender experimenteller Untersuchungen überprüft. Die neuartige Bewehrung soll bei ähnlichen mechanischen Eigenschaften wie Betonstahl oder Glasfasertextilien ressourcenschonender sowie einfach in eine effektive Kreislaufwirtschaft einzubinden sein und insbesondere über den gesamten Lebenszyklus einen geringen CO2-Ausstoß aufweisen.
Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten MethodenZunächst war die Frage zu klären, wie die Flachsfasergarne beschaffen sein oder modifiziert werden müssen, um eine hohe Zugfestigkeit und einen guten Verbund zur Betonmatrix zu erreichen sowie zu einem Textil weiterverarbeitbar zu sein. Um die Verbundeigenschaften zu verbessern und eine Verrottung der Naturfasern im alkalischen Beton zu vermeiden, wurde ein Teil der aus den Flachsgarnen hergestellten Textilien mit einer biobasierten Tränkung versehen.
Zur Untersuchung des Tragverhaltens wurden Dehnkörper- und 4-Punkt-Biegeversuche durchgeführt. Der Versuchsaufbau orientierte sich dabei an den Untersuchungen, die im Rahmen der beiden Sonderforschungsbereiche in Aachen und Dresden für Textilien aus Synthesefasern durchgeführt wurden. Die Versuchsaufbauten waren zunächst für die Textilien aus Naturfasern anzupassen. Mit Dehnkörperversuchen wurde überprüft, ob sich bei einer textilen Bewehrung aus Naturfasern ebenfalls verschiedene Phasen der Rissbildung (unge-rissen, Erstrissbildung und abgeschlossenes Rissbild) beobachten lassen und ob das Rissbild durch eine Tränkung der Textilien positiv beeinflusst werden kann. Zusätzlich wurde der Effekt weiterer Einflussparameter auf das Zugtragverhalten untersucht. Zu nennen sind z.B. die Bindungsart des Textils, der Bewehrungs-gehalt und die Orientierung des Textils (Kett- oder Schussrichtung).
Außerdem wurde im Rahmen des Projekts eine vom WKI entwickelte, neuartige Fasertränkung untersucht, die ein späteres vollständiges Herauslösen der Fasern aus der Betonmatrix ermöglicht.
Im Hinblick auf eine praktische Anwendung wurde ein erstes Modell zur Beschreibung des Zugtragverhaltens des neuen nachhaltigen Textilbetons mit einer Bewehrung aus Naturfasern entwickelt. Um die grundsätzliche Anwendbarkeit des neuen Baustoffs zu zeigen, wurde eine kleinformatige Fassadenplatte als Demonstrator hergestellt. Weiterhin wurde im Rahmen eines Probeeinbaus ein Teil der notwendigen Randbewehrung eines Industriefußbodens als textile Bewehrung aus Naturfasern ausgeführt.
Ergebnisse und Diskussion
Im Rahmen dieses Forschungsprojekts wurde ein Gewebe aus Flachsfasern entwickelt, das als Bewehrung in Betonbauteilen verwendet werden kann. Die verwendeten Drehergewebe wurden mit einer teilweise biobasierten Tränkung beschichtet, wodurch neben der Formstabilität zur Verbesserung der Handhabbarkeit des Gewebes auch die Zugfestigkeiten der Garne erhöht werden konnten. Ein Thema zukünftiger Arbeiten könnte die Herstellung von getränkten Naturfaserbewehrungen mit komplexeren Geometrien sein.
Es konnte die grundsätzliche Eignung der mit einer biobasierten Tränkung versehenen, nachwachsenden Flachsfasertextilien als Bewehrung gezeigt werden. Neben einer Laststeigerung gegenüber unbewehrten oder unterbewehrten Dehnkörpern konnten die für bewehrte Betonkörper typischen Rissbildungszustände beobachtet werden: ungerissener Querschnitt (Zustand I), Phase der Erstrissbildung (Zustand IIa) sowie Phase des abgeschlossenen Rissbildes (Zustand IIb). Die klare Abgrenzung der einzelnen Bereiche sowie das sichere Erreichen des Zustands IIb war bei kleinen Schussfadenabständen bzw. höheren geometrischen Bewehrungsgraden erkennbar. Im Zustand IIb war jedoch ein Steifigkeitsdefizit zu beobachten, was auf einen Abbau der Verbundspannungen infolge der Querkontraktion der auf Zug beanspruchten getränkten Garne zurückgeführt wurde. Die Rissbilder der Dehnkörper waren bei ausreichend großem Bewehrungsgrad fein verteilt. Weiterhin konnte ein erstes Modell zur Beschreibung des Zugtragverhaltens des neuen Textilbetons mit einer Bewehrung aus Naturfasern entwickelt werden. Die grundsätzliche Anwendbarkeit des neuen Baustoffs konnte durch den Bau einer kleinformatigen Fassadenplatte als Demonstrator und durch einen Probeeinbau in einem Industriefußboden als Randbewehrung gezeigt werden. Weiterhin konnte durch erste Untersuchungen belegt werden, dass der Einsatz einer neuartigen schaltbaren Beschichtung zur Verbesserung der Recyclingfähigkeit des Verbunds nach der Nutzungsphase zielführend erscheint. Um dies jedoch im Detail zu untersuchen, sind deutlich weitreichendere und umfangreichere Untersuchungen notwendig.
Weitere Fragestellungen sind beispielsweise die Entwicklung eines validen Modells zur Ermittlung des Biegewiderstands oder die Untersuchung des Querkrafttragverhaltens. Für eine praktische Anwendung als Bewehrung ist es außerdem zwingend erforderlich, die Dauerhaftigkeit und die Dauerstandfestigkeit des neuartigen Verbundwerkstoffes näher zu untersuchen. Um die CO2-Emissionen des neuen Verbundwerkstoffs weiter zu verringern, könnte der konventionelle Zement in der Betonmatrix durch ein klimafreundlicheres hyd-raulisches Bindemittel ersetzt werden.
Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation
Insgesamt wurden bisher zwei Artikel in Fachzeitschriften veröffentlicht: Ricker, M.; Zecherle, K.; Binde, J.; Haxter, C.; Winkelmann, J.: Zugtragverhalten von Betonbauteilen mit Textilbewehrung aus Naturfasern. In: BFT International 08-2022; Zecherle, K.; Ricker, M.; Binde, J.; Winkelmann, J.; Haxter, C.: Zugtragverhalten von Betonbauteilen mit getränkter Textilbewehrung aus Flachsfasern. Beton- und Stahlbetonbau 118 (2023), S. 2535. Zwei weitere Artikel für englischsprachigen Fachzeitschriften sind zurzeit in Vorbereitung. Zudem veröffentlichte das Fraunhofer WKI am 15.03.2023 einen Presseartikel über das Forschungsprojekt mit dem Titel Nachhaltige Naturfaserbewehrung für Textilbetonbauteile. Das Projekt wurde auf verschiedenen nationalen und internationalen Konferenzen vorgestellt: 15. Forschungsforum der österreichischen Fachhochschulen, 20.-21.04.2022, Villach (AUT); 35. Hofer Vliesstofftage (Workshop HighTex mit Fraunhofer), 21.09.-22.09.2022, Hof; 36. Seminar Schalung & Rüstung der Akademie der Hochschule Biberach, 11.-12.10.2022, Biberach; 4th International Congress on Materials & Structural Stability CMSS23, 08.-10.03.2023, Rabat (MAR); fib Symposium, 05.-07.06.2023, Istanbul (TUR).
Fazit
Im Rahmen dieses Forschungsprojekts konnten Textilien aus beschichteten Flachsfasern entwickelt werden und deren grundsätzliche Eignung als Bewehrung für Betonbauteile gezeigt werden. Neben einer Laststeigerung konnten die für bewehrte Betonkörper typischen Rissbildungszustände und ein fein verteiltes Rissbild beobachtet werden. Es ist zudem gelungen, ein erstes Modell zur Beschreibung des Zugtragverhaltens abzuleiten. Diese Untersuchungen, die als Demonstrator hergestellte Fassadenplatte sowie ein Probeeinbau als Randbewehrung eines Industriefußbodens belegen das hohe Potenzial der neu entwickelten Naturfasertextilien als nachwachsende Bewehrung für Betonbauteile. Durch den Einsatz textiler Faserbewehrung anstelle konventioneller Stahlbewehrung kann die konstruktiv erforderliche Betondeckung reduziert werden. Somit ergeben sich geringere erforderliche Bauteildicken und leichtere Bauteile, wodurch die CO2-Emissionen verringert werden können. Der Einfluss der Ressourcenknappheit, der z.B. bei dem Einsatz von gängigen Chemiefasern (Glas und Carbon) eine große Rolle spielt, ist bei der Verwendung von Naturfasern vernachlässigbar. Zudem können Herstellkosten (geringerer Energieaufwand) eingespart und die damit einhergehende CO2-Bilanz verbessert werden. Der CO2-Fußabdruck kann noch weiter verringert werden, wenn die textile Bewehrung aus Flachsfasern mit einem klimafreundlicheren Beton kombiniert wird, bei dem der Zement durch ein hydraulisches Bindemittel ersetzt wird, bei dessen Herstellung weniger Energie benötigt und weniger Prozess-CO2 emittiert werden. Sicherlich sind noch weitere Untersuchungen zum Tragverhalten und insbesondere zur Dauerhaftigkeit für eine zukünftige praktische Anwendung erforderlich.
Fördersumme
199.535,00 €
Förderzeitraum
09.12.2020 - 31.12.2022
Bundesland
Baden-Württemberg
Schlagwörter
Klimaschutz
Ressourcenschonung
Umweltforschung