Projekt 35787/01

Neuartige Konzepte zur Entwicklung von Baggerseen unter Nutzung digitaler Analyse- und Bewertungsmethoden

Projektdurchführung

Universität zu Köln Institut für Zoologie Allgemeine Ökologie Ökologische Forschungsstation Rees
Grietherbusch 3 a
46459 Rees

Zielsetzung

Gerade in den letzten Jahren rückten Nachrichten zum globalen Artensterben und zum Rückgang der Biodiversität immer häufiger in den Fokus (z.B. Deutschland „Insektensterben“). Der wissenschaftlich anerkannte, quantifizierbare Wert der Biodiversität für unsere Ökonomie ist aktuell jedoch noch nicht als politische oder gesellschaftliche Maxime etabliert. Insgesamt ist es deshalb noch häufig so, dass der Natur- und Artenschutz in Entscheidungsprozessen regelmäßig anderen gesellschaftlichen Prioritäten untergeordnet wird.
Dabei kommt dem Naturschutz innerhalb der Gesetzesregelung durchaus ein gewisser Stellenwert zu, beispielsweise indem jedes größere Industrieprojekt oder Bauvorhaben durch eine Umweltverträglichkeitsstudie (UVS) und einer anschließenden -prüfung (UVP) begleitet werden muss. Ein Projekt, wie z.B. die Abgrabung einer Kieslagestätte, startet beispielsweise mit einer Idee, die dann nach vielen Schritten gegebenenfalls in einer behördlichen Genehmigung mündet. Die Genehmigung umfasst dann bereits weitreichende Festlegungen hinsichtlich der Folgenutzung (z.B. Angeln, Surfen, Radwandern etc.) und den zu erbringenden Herrichtungszielen festgelegt, z.B. Flachwasserzonen, Anlage von Auwaldstrukturen, Anpflanzung von Bäumen und vieles mehr. Zum Zeitpunkt der Genehmigung kann die ökologische Entwicklung des künftigen Sees jedoch nicht sicher prognostiziert werden, so dass die Gefahr besteht, dass zum Ende der Abgrabungstätigkeit das entstandene Gewässer nicht zu den festgeschriebenen Rekultivierungs- und Nutzungsplanungen passt.
Ein Beispiel für diese Problematik lässt sich an unseren Untersuchungsgewässern darstellen. Für zwei Abgrabungsgewässer wurde detailliert dokumentiert, wie sich ein großer See ohne Fische entwickelt. Die fischfreien Seen zeichneten sich durch besonders große Formen und Quantitäten des Zooplanktons und eine sehr dichte Besiedlung mit aquatischen Makrophyten aus. Darüber hinaus wurde in beiden Gewässern eine individuenreiche Population des gefährdeten Kammmolches nachgewiesen, einer Art, die in ganz Nordrhein-Westfalen zu den gefährdeten Tierarten zählt und in der EU von gemeinschaftlichem Interesse ist (in den Anhängen II und IV der FFH-Richtlinie aufgeführt). Eine beispielsweise ursprüngliche geplante und in der Genehmigung explizit genannte Nutzung als Angel- und Wassersportgewässer steht dem nun entgegen.
Mit einer Befischung im Herbst 2019 wurden in einem der Baggersee erstmals einzelne Fische nachgewiesen (Moderlieschen, Leucaspius delineatus). Für diesen See ist zu erwarten, dass sich die bisher evolvierten, für einen Baggersee am Niederrhein sehr außergewöhnlichen Artengemeinschaften, verändern werden, was wiederum zeigt, dass die reale, ökologische Entwicklung eines Gewässers, auf der die Nutzungskonzepte und Rekultivierungsmaßnahmen beruhen, faktisch kaum prognostizierbar ist und sich somit erhebliche Diskrepanzen zwischen ordnungsbehördlicher Genehmigung, potentieller Nutzung und realen naturschutzfachlichen Gegebenheiten entwickeln können. In unserem Projekt wird dieser Zielkonflikt untersucht und analysiert.

Das Projekt verfolgt eine Reihe von Zielen:
(1) Die neuen, auch evolutiv sehr spannenden Fragen zu Resistenz, Resilienz und Reorganisation von etablierten Lebensgemeinschaften und der Bedeutung solcher Prozesse für den Naturschutz.
(2) Die detaillierte Analyse der Konfliktsituation zwischen frühzeitiger Festlegung von Folgenutzungen von Abgrabungen ohne Kenntnis der ökologischen Entwicklung.
(3) Die Analyse und Definition von Parametern für Vorabuntersuchungen in der Planungs-phase sowie von zielgerichteten Untersuchungen eines entstehenden Gewässers, um die künftige ökologische Entwicklung möglichst früh beurteilen zu können.
(4) Dabei soll das Zooplankton, als zentrale Organismengruppen innerhalb stehender Gewässer, mit einem neuartigen Auswertungsinstrument untersucht werden; die Ergebnisse des Projektes würden damit auch methodisch völlig neue Aspekte der routinemäßigen Analyse hinsichtlich der quantitativen Erfassung einzelner Großgruppen (z.B. Cladoceren, Copepoden) und deren indikative Größenverteilung mit modernen Analysewerkzeugen (Digitalisierung) erproben.
(5) Die Ableitung eines Vorschlags zur Dynamisierung des Planungsrechts, wie bei künfti¬gen Genehmigungsverfahren die Parameter zur Vermeidung der o.g. Konflikte einfließen können, wie ein erweiterter Raumbezug bei den Einzelfallgenehmigungen hergestellt werden kann und wie dies, mit Blick auf das aktuelle Planungsrecht, umsetzbar wäre (einschließlich Diskussion des Vorschlags mit den Genehmigungsbehörden) auf Basis eines hierarchischen Expertensystems.
(6) Die Optimierung von gängigen Bewertungsschemata wie etwa der WRRL, z.B. durch die naturschutzfachliche Beurteilung und Integration von Singulär-Ergebnissen in größeren Bezugsräumen als integraler Aspekt in der Regionalplanung.

Arbeitsschritte

Zur Erreichung dieser Projektziele werden, basierend auf einer weitgefassten Literaturstudie, entsprechende Untersuchungen der abiotischen und biotischen Themenbereiche an zwei Abgrabungsgewässern durchgeführt, aus denen sogenannte Key-Parameter abgeleitet werden sollen, die eine halbwegs gesicherte Abschätzung zur kurzfristigen Entwicklung der Gewässer erlauben. Hierfür wollen wir erstmals ein neuartiges Auswertungsinstrument für das Monitoring einer der zentralen Organismengruppen (Zooplankton) einsetzen, dass moderne methodische Aspekte der Analyse (Digitalisierung) in die routinemäßige Anwendung integriert. Aus diesen Analysen und den erarbeiteten Key-Parametern möchten wir ein digitalisiertes, hierarchisches Expertensystem entwickeln, das eine Beurteilung der kurzfristigen Entwicklung solcher Abgrabungsgewässer zu den unterschiedlichen Entwicklungszuständen ermöglicht. Dieses hierarchische Expertensystem soll schließlich in Absprache mit allen beteiligten Stakeholdern zu Vorschlägen führen, wie das bisher starre Genehmigungsverfahren dynamisiert und nachhaltig in die Regionalplanung integriert werden kann. Somit könnte das bisherige Verfahren der Einzelfallgenehmigung einer Abgrabung mit frühzeitiger Festlegung von Folgenutzungen nachhaltig optimiert werden, um die sich entwickelnde ökologischen Potentiale eines Sees besser naturschutzfachlich nutzen zu können und Nutzungskonflikte zu verringern, oder noch besser, zu vermeiden.

Übersicht

Fördersumme

297.968,00 €

Förderzeitraum

08.02.2021 - 07.02.2024

Bundesland

Nordrhein-Westfalen

Schlagwörter

Landnutzung
Naturschutz