So erfreulich die Rückkehr der Kegelrobben aus Sicht des Naturschutzes ist: Sie stellt die handwerkliche Küstenfischerei vor große Herausforderungen. Ein geplanter Konfliktmanagementplan in M-V soll die friedliche Koexistenz zwischen Kegelrobben und Fischern erreichen. Doch wie sieht diese aus?
Die Kegelrobben galten an der deutschen Ostseeküste lange als ausgestorben. Seit 2005 werden wieder regelmäßig Kegelrobben an den Küsten Mecklenburg-Vorpommerns gesichtet und ihr Bestand nimmt schnell zu. Mit der Rückkehr der geschützten Kegelrobben sieht sich die kleine Küstenfischerei, neuen Herausforderungen gegenüber. Zum einen fressen die Kegelrobben bereits gefangenen Fisch aus den Stellnetzen der Fischenden oder fressen diesen an. Den verbleibenden Fisch aus dem Netz zu bergen ist eine zeitaufwendige Arbeit. Auch werden die Netze durch die Kegelrobben teilweise zerstört und müssen geflickt werden. Zum anderen gilt es Beifänge von Kegelrobben zu vermeiden.
Auf Betreiben von Umweltschutzverbänden und Fischerei wurde ein partizipativer Prozess initiiert mit dem Ziel einen Robbenmanagementplan zu erarbeiten. Das vorliegende Projekt „Rückkehr der Kegelrobben“ soll die Erstellung des Robbenmanagementplanes um eine sozialwissenschaftliche Dimension bereichern und stellt die am Prozess beteiligten Menschen (Stakeholder) in den Mittelpunkt der Betrachtung.
Durch teilnehmende Beobachtung, Befragungen und Seminare schaffen wir Möglichkeiten, die den beteiligten Interessengruppen erlauben, ihre Standpunkte auszudrücken und gleichzeitig die Standpunkte anderer Interessengruppen anzuhören. Die Reflektion unterschiedlicher Standpunkte schafft ein gemeinsames Verständnis für die Situation und die Probleme des jeweils Anderen und dient der Akzeptanzerhöhung. Die Entwicklung eines gemeinsamen Zielbilds richtet den Fokus auf Gemeinsamkeiten – im Gegensatz zur Fokussierung auf antagonistische Standpunkte – und legt die Basis, zukünftige Wege einer möglichen Zukunft für die Koexistenz von Fischerei und Kegelrobbe aufzuzeigen.
Weiterleitung zur Projektseite des Thünen-InstitutsDie Projektergebnisse haben spannende Einblicke in die Möglichkeiten der sozialwissenschaftlichen Begleitforschung politischer Planungsprozesse sowie in den bisherigen Prozessverlauf, die Sichtweisen und Positionen der Akteure und die zugrunde liegenden Interessen geliefert. Die hier vorgestellten Ergebnisse basieren auf qualitativen Interviews, Prozessbeobachtungen und einem Zielbild-Workshop, an dem die Mehrheit des Beirats teilnahm.
Übereinstimmend mit anderen Forschungsergebnissen zeigt diese Studie, dass Konflikte zwischen Menschen und Wildtier eigentlich Mensch-Mensch-Konflikte sind (Redpath 2013). Die Teilnehmenden des Beirats vertreten unterschiedliche Interessen bei der Aushandlung eines Managementplans und bringen unterschiedliche Expertisen ein. Darüber hinaus hatten die meisten Beiratsmitglieder bereits in der Vergangenheit Kontakt miteinander - frühere Erfahrungen und Beziehungen beeinflussen ihr Handeln im Beirat. Wir konnten zeigen, dass es nicht nur antagonistische Standpunkte zwischen Interessengruppen gibt. So wird beispielsweise die Situation der kleinen Küstenfischerei in der Ostsee von allen Befragten als kritisch wahrgenommen. Sowohl Vertreter*innen der Fischerei als auch der Umweltverbände machten in den Interviews deutlich, dass die derzeitige schwierige Lage multifaktoriell bedingt ist. Insbesondere beim Zielbild-Workshop wurde noch einmal deutlich, dass unter allen Beteiligten Konsens darüber besteht, dass eine Koexistenz von Fischerei und Kegelrobben das Ziel des Prozesses und des Managementplans sein soll.
Die Beobachtung des Prozesses hat gezeigt, dass neben den in einer Vorstudie erarbeiteten Qualitätskriterien (Ferretti 2021) weitere Kriterien zum Erfolg des Prozesses beitragen können: der tatsächliche zeitliche Ablauf eines Prozesses (zeitnahe Treffen, vorzugsweise in Präsenz), die Struktur des Prozesses (sowohl in Bezug auf das Einladungsmanagements als auch in Bezug auf die Leitung und Entscheidungsfindung während der Beiratsarbeit) und die paritätische Vertretung und Arbeitsweise der Beteiligten. Die Abwesenheit der letzteren spiegelt sich vor allem in der unterschiedlichen Teilnehmerzahl einzelner Gruppen sowie in der schriftlichen und bilateralen Arbeitsweise wider, die Teile der Gruppe ausschließen kann.
Da die Stelle einer Prozessleitung innehrhalb der Projektlaufzeit nicht besetzt war, kann der Prozess nicht abschließend evaluiert werden.
Teil des Projektes war es, die Mitglieder des Beirats über die Inhalte und das Vorgehen zu informieren. Dadurch erhielten viele für das Thema relevante Akteure einen Einblick in das Projekt. Durch die Interviews, an denen auch Stakeholder außerhalb des Beirats beteiligt waren, gewann das Projekt zudem an Sichtbarkeit.
Darüber hinaus wurde das Projekt zur Teilnahme am internationalen Workshop Integrating people’s engagement into wildlife conservation on near-shore aquatic mammals eingeladen, der im Dezember 2022 durch den Tiergarten Nürnberg organisiert wurde. Hier wurde das Projekt als Fallbeispiel für die Anwendung sozialwissenschaftlicher Forschung im Konfliktmanagement zwischen Nutzungs- und Schutzinteressen vorgestellt. Dies erhöhte die Sichtbarkeit des Projektes bei Wissenschaftler*innen und Mitarbeitenden von NGOs. In diesem Zusammenhang wurde auch ein Artikel über das Projekt im Manati-Magazin des Tiergarten Nürnberg veröffentlicht (https://tiergarten.nuernberg.de/fileadmin/manatimagazin/2023_01/index.html#p=14).
Im Rahmen des Projektes wurden zuvor entwickelte Qualitätskriterien (Ferretti 2021) bestätigt und weitere Kriterien hinzugefügt, um die Akzeptanz eines Wildtiermanagementplans bei verschiedenen Interessengruppen zu erhöhen. Die Beobachtung des Prozesses hat jedoch auch gezeigt, wie wichtig einzelne Teilnehmende, ihre Bereitschaft, zu Beginn offen zu agieren, und ihre individuellen Arbeitsweisen und Kapazitäten den Erfolg eines Prozesses beeinflussen können. Wir konnten qualitativ herausarbeiten, inwieweit sich Perspektiven der verschiedenen Akteure ähneln oder unterscheiden. An dieser Stelle wäre es interessant, die Werteeinstellungen (in Bezug auf Wildtiere, resp. Robben und Seehunde) größerer Gruppen unabhängig von den einzelnen Beiratsteilnehmern quantitativ zu untersuchen, da – gerade ohne umfassende Managementpläne – in Zukunft immer mehr Menschen direkten Kontakt zu Kegelrobben resp. Seehunden an der deutschen Ostseeküste haben werden. Das Wissen um diese Werte kann als Grundlage für Managementmaßnahmen dienen, die auf das menschliche Verhalten abzielen, wie z.B. Aufklärungskampagnen.