Zur zerstörungsfreien Beurteilung von Geweben in Kulturgütern wird eine automatisierte Lasermessung entwickelt und praktisch eingesetzt. Die neue Bewertungsmethode unterstützt Maßnahmen zur präventiven Konservierung von Kulturgütern gegen Umwelteinflüsse. Dazu wird eine Klassifizierung nach dem Grad der Schädigung vorgenommen, die sich an den in Versuchen mit Modellgeweben ermittelten Dehnungseigenschaften und an der Bruchfestigkeit orientiert. Zwischen den Ergebnissen der zerstörungsfreien optischen Messtechnik und den Kriech- bzw. Brucheigenschaften der Gewebe wird ein übertragbarer Zusammenhang hergestellt. Die neue Mess- und Auswertetechnik kann als grundlegende Entscheidungshilfe für restauratorische Maßnahmen dienen, die zur Erhaltung der Objekte erforderlich sind. Die ersten exemplarischen Anwendungen erfolgen an Gemälden aus den Beständen von Museen. Automatisch arbeitende Geräte werden zur Anwendung in Restaurierungswerkstätten bereitgestellt.
Prüfmaterialien in dieser Untersuchung sind Gewebeproben unterschiedlicher Herkunft und Alterungszustände sowie Malleinwände, Bruchstücke aus historischen Gemälden und Originalgemälde. Parallel zu den flachsbasierten Leinwänden werden neue und behandelte Baumwoll- und Hanfgewebe untersucht. Die mikroskopische und die mechanische Charakterisierung der Gewebe werden der Geräteentwicklung mit der Mechanikkonstruktion einschließlich Aktuatorik, Antriebstechnik, elektronischer Beschaltung und Mikrooptik vorgeschaltet. Stabilitätsmessungen liefern die Grundlage für die erforderliche Mikroprozessorprogrammierung und die Entwicklung der Steuerungsprogramme sowie für die rechentechnische Auswertung mit Datenkompression, Datenablage und Darstellung der Ergebnisse. Die Programmoberfläche ist intuitiv bedienbar.
Strukturuntersuchungen
Die Mikrostruktur der Garne in den Geweben und die Zellstruktur der Fasern werden mittels Licht- und Rasterelektronenmikroskopie charakterisiert. Die Makrostruktur der Webfächer liefert mechanische Klassifikationsmerkmale. In den historischen Geweben treten klar erkennbare kristalline Faserzonen mit typischer Sprödbruchmorphologie auf, in den jüngeren Fasern Duktilbrüche.
Zeitabhängiges Fließen
Die textilen Bildträger in Gemälden werden zwecks Stabilisierung der Malschicht in starren oder in federelastischen Rahmen vorgespannt. Die Gewebe verformen sich bei Zugbelastung zusätzlich zur elastischen Reckung durch einen zeitabhängigen Beitrag. Diese viskoelastische Dehnung relaxiert nach einer eingebrachten Belastungsänderung, beispielsweise durch Temperaturänderung oder wechselnde Luftfeuchtigkeit. Der Nachwirkungseffekt steht in engem Zusammenhang mit den irreversiblen Mikrostrukturveränderungen, die den eigentlichen Alterungsprozess ausmachen. Die Messung der Kriechnachwirkung im Labor über kurze Versuchszeiten bildet das zeitabhängige Verformungs- und Alterungsverhalten der textilen Bildträger in der Museumsumgebung über längere Zeiträume hinweg ab.
Specklepattern-Messtechnik
Die neue zerstörungsfreie Messtechnik zur Beurteilung des Alterungszustandes textiler Bildträger in Gemälden beruht auf der Specklepattern-Methode, die zusätzlich zur Messung der Oberflächenbewegung auch eine Information zur Mikrostruktur der Gewebefasern liefert. Die Specklepattern werden in aufeinanderfolgenden Videoframes über Wegstrecken einiger Zentimeter erfasst. Eine Auswertung mittels standardisierter Summen der Differenzen-Quadrate aufeinander folgender Videoframes liefert Korrelations- bzw. Distanzfunktionen. Deren Gradienten ergeben beispielsweise für neues Leinen eine Abklingstrecke von (12 0.1) µm, für altes Leinen von (38 1) µm. Die Ursache für derartige Unterschiede liegt in der Alterung der semikristallinen Faserstruktur.
Interpretation
Zur Interpretation wird angenommen, dass im Verlauf von Alterungsprozessen die kristallinen Zonen in den Faserzellwänden auf Kosten der amorphen Zonen anwachsen. Dieser Prozess erhöht die Sprödbruchempfindlichkeit der tragenden Faserstrukturen. Die Bruchdehnung nimmt ab, und die Wahrscheinlichkeit der Faserbrüche nimmt zu. Garne aus historischen Kulturobjekten oder künstlich gealterte Garne mit erhöhtem Kristallinitätsgrad lassen sich von neueren Garnen mit einem höheren Volumenanteil an amorphen Makromolekülen mittels der zerstörungsfreien Messmethode klar unterscheiden. Die Specklepattern bilden somit ein empfindliches Messwerkzeug für die mechanischen Eigenschaften textiler Bildträger unterschiedlicher Alterungszustände.
Beitrag zur restauratorischen Bewertung
Die Restaurierungstechnik kann in ihrer Objektbeurteilung durch die quantitative Aussage zum lokalen Alterungszustand der Textilien unterstützt werden. Dies betrifft den Geweberapport mit Fehlstellen, die Verspannung im Rahmen, die Dokumentation ungleichmäßiger Stellen und möglicherweise Positionen an Craquelés in der Malschicht. Ein Katalog zerstörungsfreie Messtechnik für textile Bildträger kann die Spezifikationen (i) Makroskopische Objektbeschreibung; (ii) Mikroskopische Strukturdetails; (iii) Bewertung des Alterungszustandes und Prognose zusammenfassen. Zukünftige praktische Anwendungen werden gesehen in den Bereichen Transportschäden an Gemälden, Schädigungen durch Korrosion und Biodegradation, Langzeitstabilität textiler Kunstobjekte, vor allem auch als Ergänzung zu vorhandenen Messmethoden hinsichtlich der Schadensbilder von Kulturobjekten.
Zwei Museen stellen bislang wertvolles Material zur Untersuchung im ICR-Labor bereit. Die erste exemplarische Anwendung vor Ort erfolgt an Bildern aus dem Bestand der Erfurter Museen. Vorbereitet ist die exploratorische Anwendung von Gerät und Software an einem Gemälde mit großen Abmessungen. Hier tritt zusätzlich zur Verspannung die zusätzliche Belastung durch das Eigengewicht auf. Hinsichtlich der Zusammenarbeit mit den Zentralen Restaurierungswerkstätten der Museen der Stadt Erfurt sei auf die gemeinsamen Veröffentlichungen verwiesen:
Hieber H, K Kosicki, Zerstörungsfreie Messung des Alterungszustandes von Bildleinwänden,
Workshop InnOkultur (Berlin, 2017).
Hieber H, K Kosicki, Non-destructive measurement of the ageing state of painted canvas,
The 12th Baltic States Triennial Conservators’ Meeting “RESEARCH. DILEMMAS. SOLUTIONS.”, Vilnius, Lithuania, (27-30 May 2020), 153-160.
Hieber H, K Kosicki, Methodenentwicklung zur zerstörungsfreien Messung ds Stabilitätszustandes gealterter Gewebe in Kulturgütern, Poster in: Tragfähig?! Konservierung und Technologie textiler Bildträger, Tagung der Fachgruppe Gemälde, VDR (Dresden, 2021-06-03/-04).
Hieber H, G Mehl, H Gropius, Specklepattern-Mikroskopie semikristalliner Polymere,
Poster in: 13. Jenaer Lasertagung (2022-11-03/-04).
Hieber H, K Kosicki, Langzeitstabilität und zerstörungsfreie Messung an textilen Bildträgern von Gemälden,
eingereicht bei Zeitschr. f. Kunsttechnologie u. Restaurierung.
Die hier beschriebene Messtechnik liefert quantitative Spezifikationen zur Haltbarkeit der Bildleinwände als Malschichtträger in den Spannrahmen der Gemälde. Die Ergebnisse dieser Geräteentwicklung können als ein erster Lösungsansatz zur Fragestellung gesehen werden, wie sich Veränderungen in der Mikrostruktur der Bildleinwände im Verlaufe langer Alterungsperioden auf die Haltbarkeit textiler Objekte des kulturellen Erbes auswirken. Der Geräteaufbau ist einfach zu bewerkstelligen, und der automatisierte Messbetrieb läuft in kurzen Zeittakten ab mit dem Ergebnis anschaulicher Bilder vom Alterungszustand textiler Kulturgüter. Berichte und technische Einzelheiten, auch zur Fortsetzung des Projekts, können über die Homepage angefordert werden.
ICRICR