Naturerfahrungsräume an Bildungseinrichtungen als Grundlage für ein praxisnahes Lernen fehlen Kindern und Jugendlichen in Deutschland zunehmend. Dies führt zu einem Wissens-, Kompetenz- und Bezugsverlust, mit tiefgreifenden Folgen wie Lebensmittelverschwendung, einem fehlenden Nachhaltigkeitsbewusstsein und -verhalten und ungesunder Ernährung. Auch Multiplikator*innen (Lehrer*innen, Erzieher*innen und Mentor*innen) an Bildungseinrichtungen sind oft nicht befähigt, einen Lernort in der Natur pädagogisch zu nutzen, da dies nicht mehr Teil der Aus- und Fortbildung ist.
Um dem entgegenzuwirken, setzt Acker e. V. seit 2014 bundesweit Bildungsprogramme um. Die GemüseAckerdemie wird mittlerweile an bereits 1.000 Schulen bundesweit umgesetzt, indem ein Gemüseacker als naturnaher Lernort dauerhaft und strukturell an der eigenen Bildungseinrichtung verankert wird. Die Wirkung der GemüseAckerdemie im Bereich des Umweltentlastungpotentials wurde in wissenschaftlichen Studien belegt. Demnach haben Teilnehmer*innen an der GemüseAckerdemie eine erhöhte Wertschätzung für natürlich produzierte Lebensmittel, ein gesteigertes Bewusstsein für den Verbrauch und schonenden Umgang mit den Ressourcen Boden, Wasser, Artenvielfalt und Klima, für nachhaltige Entwicklung, nachhaltigen Konsum und Natur sowie weniger Lebensmittelverschwendung.
Im Rahmen des Projektes „Schulgarten Digital“ wurde ein digitales, multimediales Bildungskonzept entwickelt, welches die analogen Bildungsbausteine von naturnahen Lernorten in Bildungseinrichtungen ergänzt und erweitert. Durch den innovativen blended-learning Ansatz, der Verknüpfung aus praktischer Tätigkeit auf dem Acker sowie digitalen Bildungs- und Fortbildungsangeboten, wurde ein einzigartiges Lernerlebnis für Multiplikator*innen, Kinder und Jugendliche rund um das Thema nachhaltige Ernährung und Natur geschaffen. Darüber hinaus wurde mit der Entwicklung der digitalen Lernplattform eine bedeutsame Grundlage geschaffen, um das Bildungsprogramm GemüseAckerdemie auch bei weiterer Skalierung kostengünstig anzubieten.
Jede teilnehmende Bildungseinrichtung hat einen Schulgarten auf dem Schulgelände oder in der Nähe, welcher identisch digital abgebildet wird und die Grundlage für individualisierte, standortbezogene und bedarfsgerechte Informationen darstellt. Auf der Startseite der digitalen Lernplattform finden Pädagog*innen eine aktuelle Übersicht und Hinweise zu anstehenden Ackertätigkeiten sowie einen individuell hinterlegten Anbauplan für den eigenen Acker. Außerdem stehen detaillierte (Video-) Anleitungen zur Ackerpflege und Begleit- und Informationsmaterialien für ein wirkungsvolles Ackern mit den Kindern zur Verfügung. Pädagog*innen haben Zugriff zu kuratierten Unterrichtseinheiten für die 3.- 6. Klassenstufen, die direkt an die Rahmenlehrpläne der 16 deutschen Bundesländer anknüpfen. Jede Unterrichtseinheit beinhaltet zwischen zehn und fünfzehn Übungen, inklusive Lernzielen, dazugehörigen Materialien und umfangreichen Hintergrundinformationen für die Lehrkräfte.
Die dreijährige Projektlaufzeit untergliedert sich in drei Phasen. Die Arbeitspakete der ersten Phase dienten der Umsetzung des Rapid Prototyping sowie der Definition der Tools. In Phase zwei wurde eine Konzeption entwickelt sowie ausführliche Tests durchgeführt. Der Launch der digitalen Lernplattform sowie deren Verbreitung an den Bildungseinrichtungen erfolgte schließlich in Phase drei.
AP1: Aufarbeitung der bestehenden Inhalte sowie Konkretisierung neuer Ideen
Zu Beginn des Projekts wurde der Beitrag der Plattform zu den strategischen Zielen des Bildungsprogramms GemüseAckerdemie erarbeitet. Des Weiteren wurden die bereits vorhandenen Inhalte der Plattform inventarisiert und Ideen für den Ausbau und die Weiterentwicklung des Angebots entwickelt.
AP2: Entwicklung eines Prototyps basierend auf dem bestehenden Login-Bereich, 1. Nutzertest mit Zielgruppenanalyse
Der Prototyp einer Online-Plattform verknüpft den Login-Bereich der GemüseAckerdemie mit einem Anbauplaner und bietet den Lernorten damit eine digitale individuelle AckerSimulation inkl. individuellen Handlungsanweisungen und Informationen.
Basierend auf leitfadengestützten Interviews und Fokusgruppengesprächen mit einer Stichprobe von Pädagog*innen wurde der Prototyp gestaltet sowie Bedürfnisse bezüglich weiterer digitaler Angebote und der Nutzerführung identifiziert.
AP 3: Entwicklung des Train-the-Trainer Konzepts, Nutzertest und 1. Feedbackschleife
Im dritten Arbeitspaket wurde das Train-the-Trainer Konzept entwickelt. Die Plattform ermöglicht die Kompetenzbildung der Pädagog*innen in Abhängigkeit von Vorkenntnissen und Programmstufe. Methodisch erfolgte eine Fokussierung auf die Themen Bildung für Nachhaltige Entwicklung, Acker-Pädagogik, AckerOrganisation und AckerPflege.
AP4: Finale Auswertung & Bestimmung des Konzepts
Das vierte Arbeitspaket bildete den Abschluss der ersten Phase. Die Pädagog*innen wünschen sich passgenaue Materialien für die GemüseAckerdemie, die gleichzeitig flexibel an ihre Arbeitsumgebung angepasst werden können. Es wurde ein Konzept von kuratierten Bildungseinheiten entwickelt, welches sich im Spannungsfeld zwischen konkretem Unterrichtsvorschlag und der Möglichkeit zu Flexibilität und individueller Optimierung bewegt.
AP5: Ausarbeitung der e-Learning Plattform und bug-tracking
Im Zuge der Umsetzung des fünften Arbeitspaketes wurde das technische Konzept zur individualisierten Bereitstellung von Informationen aus dem zweiten Arbeitspaket umgesetzt. Die Nut-zer*innen erhalten nun ihren Lernort-spezifischen Anbauplan als PDF ausgespielt, da sie ihn meist ausgedruckt und laminiert auf dem Acker zur Einrichtung des Ackers benötigen.
Nach eingehender Evaluation der unterschiedlichen Systeme wurde die Plattform auf dem Headless CMS „Strapi“ aufgesetzt, da es sich für die Anbindung diverser Schnittstellen wie dem Anbauplaner oder dem CRM tool “Podio” eignet.
AP6 und AP7: Tests an bestehenden Partner-Einrichtungen (closed beta) sowie Feedback-Schleifen durch Zielgruppe und Optimierung des Konzeptes
Die Tests im Rahmen der closed-beta-Phase (AP 6) und die Feedbackschleifen durch die Zielgruppen (AP7) konnten parallel zur laufenden Entwicklung durchgeführt werden. Im Rahmen von AP 7 wurde weiter an der Optimierung des inhaltlichen Konzepts und der technischen Umsetzung gearbeitet (Datenstrukturen und Design der Übungsblättern, Unterrichtseinheiten, Materialien). Die Ergebnis-se flossen gemäß der Methode einer agilen Software-Entwicklung direkt in die Umsetzung des technischen Konzepts ein.
AP 8: Gewinnung und Bekanntmachung von neuen Bildungseinrichtungen
Die Akquise der Lernorte erfolgt auf unterschiedlichem Wege. Ein Großteil der potenziellen Lernorte erfährt von der GemüseAckerdemie von anderen Bildungseinrichtungen, die bereits am Programm teilnehmen und von ihren Erfahrungen bei Fortbildungen, Netzwerktreffen und Ähnlichem erzählen.
AP 9: Launch der digitalen Lernplattform und Verbreitung an mindestens 500 Bildungseinrichtungen
Zur Vorbereitung wurden die Inhalte bereits vor dem Launch im Backend dem Content Management System eingearbeitet. Zudem wurden in Newslettern die Nutzer*innen bereits auf den Launch der Lernplattform eingestimmt, über eine Einladungs-E-Mail konnten sie sich einen Zugang zur Plattform einrichten.
AP 10: Evaluation mit Wirkungsmessung und Finalisierung der Plattform und Verstetigung des Projektes durch Übertragbarkeit auf andere Zielgruppen und Erweiterbarkeit der Plattform
Um die Entwicklung der Medienangebote, der Software-Infrastruktur und der Lernorte stetig zu unterstützen, zu begleiten und zu verbessern, wurde gemeinsam mit der TH Köln ein Evaluationskonzept entwickelt und umgesetzt. Die Parameter des Evaluationskonzepts folgen einem Design Based Research Ansatz, um eine schlanke und zielführende Evaluation zu ermöglichen. Die Ergebnisse der Evaluationen sind in einem Evaluationsbericht zusammengefasst.
Die Acker-Lernplattform hat zum Ziel, das analoge Acker-Erlebnis durch digitale Materialen und Informationen zu vertiefen, zu verorten und zu festigen. Mit Hilfe der Lernplattform können sich Lehrkräfte auf die nächste AckerStunde zielgerichtet vorbereiten. Außerdem erhalten Nutzer*innen im Bereich "Mein Acker" wöchentlich aktualisierte Pflege- und Erntehinweise, die nach Beeten und Kulturen sortiert sind. Die Plattform bietet auch Videoanleitungen, Online-Seminare und umfangreiches Informationsmaterial, um die Lehrpersonen bei den wichtigsten Schritten auf den Äckern zu unterstützen. Für die Ackerstunden und den dazugehörigen Unterricht bietet die Plattform Bildungs- und Begleitmaterialien wie Erkundungsaufgaben, Arbeitsblätter zum Wissenscheck, Gemüsecheck-Karten für die Pflege der Beete oder eine Vorlage für die Erntedokumentation.
Darüber hinaus bietet die Plattform umfangreiche Tipps und Anregungen zur Verwendung des Gemüses oder der Gestaltung eines Erntefestes. Die Unterrichtseinheiten können mit einer Filterfunktion nach Bundesländern, Schulfächern und Schulstufen gefiltert werden und werden den passenden Inhalten der Rahmenlehrpläne zugeordnet. Es gibt bereits zehn umfangreiche Unterrichtseinheiten auf der Plattform, die den Acker mit Wissensteilen aus dem Fachunterricht und BNE-Inhalten verknüpfen. Der Material- und Übungspool wird fortlaufend erweitert und enthält 90 Übungen und 156 Materialien. Nutzer*innen können über die Suchfunktion nach Inhalten suchen und werden zu den entsprechenden Einträgen auf der Plattform weitergeleitet.
Im August 2022 ist das erste E-Learning-Modul „Nachhaltige Ernährungskompetenz“ für Pädagog*innen live gegangen. Als Lernmanagementsystem wurde eine White Label Lösung des Social Start-Ups Kiron verwendet, zu welchem eine Verlinkung auf der Acker-Lernplattform besteht.
Seit dem Launch der Plattform wurden verschiedene technische Erweiterungen umgesetzt, darunter die Optimierung der Such-Indexierung, die Anpassung des UX-Designs basierend auf Evaluationsergebnissen, die Erweiterung und Optimierung der Druckfunktion sowie das Upgrade des Headless Content Management Systems "Strapi" auf Version 4.4. Letzteres beinhaltete umfangreiche Code-Überarbeitungen zur Gewährleistung der Datensicherheit, des Supports und aller Funktionalitäten der Plattform. Die Migration des Backend-Codes und der Plugins wurden im Februar 2023 erfolgreich abgeschlossen. Wichtige Funktionalitäten wie PDF-Druck, Video-Einbettung und die Schnittstelle zum Digital-Asset-Management-Tool "Canto" wurden ebenfalls erfolgreich migriert.
Die Kombination von analogem Acker und digitaler Lernplattform ermöglicht einzigartige Lernerlebnisse im Bereich nachhaltiger Ernährung und Natur für Multiplikatorinnen, Kinder und Jugendliche. Im Jahr 2023 haben bereits 1.057 teilnehmende Schulen (47.000 Kinder und Jugendliche) die digitale Lernplattform genutzt. Bis Dezember 2022 gab es bereits 10.208 Nutzerinnen und etwa 448.000 Aufrufe. Eine Online-Umfrage im Januar 2023 mit 118 teilnehmenden Pädagoginnen zeigte, dass 85% die Lernplattform bereits genutzt hatten. Die Nutzerinnen loggen sich in der Regel alle zwei bis vier Wochen ein und nutzen die Plattform hauptsächlich über Desktop-Computer.
Mit der Einführung der digitalen Lernplattform wurde ein einzigartiges Lernerlebnis geschaffen, um das Bewusstsein der Kinder und Jugendlichen für Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen zu schärfen und sie zu befähigen, in Zukunft verantwortungsvollere Entscheidungen zu treffen.
Zum Launch der Acker-Lernplattform gab es Ankündigungsposts mit Hintergrundinfos auf den Social-Media-Kanälen von Acker e. V., wie z. B. Instagram und LinkedIn, begleitet von einem News-Beitrag auf der Website sowie weiterführende Informationen und Anleitungen in den AckerInfos, dem Newsletter, der sich an bereits teilnehmende Lernorte wendet. Potenzielle Förderpartner wurden über den sog. PartnerNewsletter informiert. Ein befristeter Demo-Zugang ermöglichte den Förderpartnern, die Lernplattform selbstständig zu erkunden.
Die Informationen zur Acker-Lernplattform sind seit ihrem Launch zentraler Bestandteil der Kommunikation rund um die Bildungsprogramme. Auf allen Kommunikationskanälen wird sie als integrativer Teil der Wissensvermittlung kommuniziert. Dies zeigt sich auf der Website wie auch auf allen Marketingmaterialien, wie z. B. Bildungsprogramm-Flyer oder -Broschüren. Das eigens erstellte Video zur Acker-Lernplattform gibt einen Überblick über die Funktionalitäten und Angebote und einen Einblick in die langfristigen Ziele von Acker e. V.
Kundenzentrierte Methoden standen von Beginn an im Zentrum der Vorgehensweise. So wurden Anwender*innen-Interviews durchgeführt, Personas erstellt sowie frühzeitig Prototypen kreiert und getestet. Das führte recht früh zur Erkenntnis, dass die Verknüpfung der Unterrichtsinhalte an die Rahmenlehrpläne einen großen Mehrwert darstellen würde. So entstanden die Unterrichtseinheiten, die passend zu den Rahmenlehrplänen entwickelt wurden. In der Übersicht der Unterrichtseinheiten werden zudem die konkreten Inhalte der Rahmenlehrpläne pro Bundesland dargestellt.
Ein weiteres klar aus den Interviews herausgehendes Bedürfnis der Pädagog*innen war das schnelle Auffinden von Materialien, weshalb die „Materialiensuche” dann einen eigenen Navigationspunkt bekommen hat. Beide Lösungen bilden nun einen sehr markanten Unterschied zu ursprünglichen Ideen und vergleichbaren Lernplattformen.
Das Ziel, die praktische Arbeit in einem Schulgarten und die bisherigen analogen Bildungsbausteine rund um die Themen Ernährung und Landwirtschaft mit digitalen Wissens- und Fortbildungselementen einer e-Learning Plattform zu verknüpfen, wurde erreicht. Darauf aufbauend werden nun die Zielgruppen bzw. Curricula erweitert.
In einem ersten Schritt wurden die Unterrichtsmaterialien für die 5.-6. Klasse inhaltlich erweitert. Zur Zeit werden die Unterrichtseinheiten „Vermehrung von Pflanzen“, „Ernährung für die Zukunft“ und „Ressource Wasser“ bearbeitet.
Die Lehrplanzuordnung ist konzeptionell herausfordernder gewesen, da ab der 5. Klasse die Lehrpläne nicht nur bundeslandspezifisch, sondern auch schultypspezifisch sind. Diese Komplexität zeigt sich auch in der Darstellung auf der Lernplattform: Die vorhandene Kachelansicht für die 3. Und 4. Klasse reicht nicht aus, um die Lehrplanbezüge für die 5. Und 6. Stufe darzustellen. Eine Mouse-over-Funktion ist in Arbeit, so dass sich zukünftig ein Fenster öffnen wird, in dem die Lehrplanbezüge bundeslandspezifisch dargestellt werden.
Zusätzlich ist die Nachfrage nach Materialien für Förderschulen sehr hoch. Auch hier werden zukünftig Materialien entwickelt werden. Die konzeptionellen Herausforderungen sind hier, auf die sehr unterschiedlichen Förderbedarfe einzugehen.
Das Thema Ernährung wird stärker integriert und vertieft. Dazu werden Aktivitäten und Übungen für die 3. und 4. Klasse sowie die 5. und 6. Klasse in Unterrichtseinheiten gebündelt. Die Unterrichtseinheit “Ernährung und Essen erleben” ist für die 3. und 4. Klasse konzipiert und vermittelt die Grundlagen gesundheitsförderlicher Ernährung, Geschmackserlebnisse und Reflektion der eigenen Essgewohnheiten. Die Unterrichtseinheit “Ernährung für die Zukunft” fokussiert auf nachhaltige Ernährung, konzipiert für die 5. und 6. Klasse. Darüber hinaus werden mehr Kochrezepte, geplant sind 2-3 einfache Rezepte pro Gemüse aus der Fruchtfolge, über die Lernplattform den Pädagog*innen zur Verfügung gestellt. Um die Pädagog*innen mit dem entsprechenden Hintergrundwissen und Praxisanwendungen zu versorgen, werden zwei angepasste Fortbildungen (Gemüsegenuss und Erntefreuden) angeboten.