Der aktuelle Bericht des Weltklimarates lässt für den weiteren Verlauf dieses Jahrhunderts eine deutliche Klimaerwärmung und eine Zunahme in der Häufigkeit, Andauer und Intensität von extremen Wetterereignissen in Europa und Deutschland erwarten. Besonders vulnerabel gegenüber Wetterextremen sind Städte. Starkregenereignisse mit Hochwasser können städtische Infrastrukturen zerstören und langanhaltende sommerliche Hitzeperioden beeinträchtigen die Gesundheit der Stadtbevölkerung. Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel helfen, die durch extreme Wetterereignisse verursachten Schäden für die Bevölkerung und Infrastruktur in der Stadt zu reduzieren.
Die Begrünung von Dachflächen ist eine häufig genannte und bereits praktizierte Maßnahme zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels. Flächendeckende Dachbegrünung kann die thermische Belastung in Städten reduzieren und bei Starkregenereignissen Niederschläge zurückhalten und somit zur Verbesserung der Abflusssituation in Städten beitragen.
Im Projekt „Analyse der thermischen Wirkung von Dachbegrünung mittels Stadtklimamodellierung“ (ADAM) wurde am Beispiel der Stadt Essen untersucht, inwieweit Gründächer zur Kühlung eines Stadtquartiers beziehungsweise der ganzen Stadt beitragen können. Hierfür wurden die Gründachdaten in das Stadtklimamodell MUKLIMO_3 des Deutschen Wetterdienstes (DWD) eingespeist und verschiedene Computersimulationen zum Gründach realisiert und miteinander verglichen.
Die Arbeiten im Projekt gliederten sich in zwei Arbeitspakete. Im Mittelpunkt des Arbeitspaketes 1 stand die Verarbeitung der Befliegungs- und Geodaten zur Inventarisierung von vorhandenen Gründachflächen und potentiell begrünbaren Dachflächen. Dies wurde mittels eines automatisierten fernerkundlichen Verfahrens durch die Firma EFTAS Fernerkundung Technologietransfer GmbH umgesetzt. Sowohl die Inventarisierung als auch die Potentialanalyse wurden mit einer sehr hohen räumlichen Auflösung (Einzelgebäude) erzeugt, um den Einsatz beider Datensätze in verschiedenen Stadtklimamodellen zu ermöglichen. Für das im Projekt genutzte Stadtklimamodell MUKLIMO_3 (3-dimensionales mikroskaliges urbanes Klimamodell) wurden die Gründachinformationen aggregiert, um auf die räumliche Auflösung der Modellgitterzellen zu kommen. Beide Datensätze liefern für jedes Einzelgebäude Informationen zur begrünten Dachfläche. Die Intensitätsstärke der Dachbegrünung zur Einordnung der Gründachtypen extensiv und intensiv wurde für die Inventarisierung von Dachbegrünung anhand von Schwellwerten der berechneten NDVI (Normalized Difference Vegetation Index) Signale abgeleitet. Der Bundesverband GebäudeGrün e.V. (BuGG) lieferte weitere bau- und vegetationstechnische Kenndaten für die verschiedenen Gründachtypen.
Die Arbeiten im Arbeitspaket 2 beinhalteten die Nutzbarmachung der Gründachdatensätze und -parameter für das Stadtklimamodell MUKLIMO_3 sowie die Modellrechnungen für die Stadt Essen. Im Rahmen einer Fallstudie wurden Stadtklimasimulationen mit beiden Gründachdatensätzen für einen typischen windschwachen Strahlungstag im Sommer durchgeführt. Das Stadtklima wurde anhand des Tagesganges der bodennahen Lufttemperatur und der Gefühlten Temperatur untersucht. Für die Berechnung der Gefühlten Temperatur wurde das beim DWD entwickelte Klima-Michel Modell verwendet. Um die Kühlwirkung der Dachbegrünung zu ermitteln, wurde ein Modelllauf ohne Dachbegrünung (Referenz) durchgeführt, mit dem alle weiteren Modelläufe verglichen wurden.
Die thermische Wirkung der Dachbegrünung wurde anhand der bodennahen Lufttemperatur und verschiedener meteorologischer Größen auf dem Gründach untersucht. Neben den Simulationen für die Stadt Essen wurden auch idealisierte Stadtklimasimulationen mit steigender Gründachfläche und weiteren Dachbegrünungsarten durchgeführt.
Ferner wurde eine länger andauernde Hitzeperiode von 4 Tagen simuliert, um die Wirkung eines Gründaches bei länger anhaltendem Wassermangel oder bei ausreichender Wasserzufuhr (Retentionsgründach) zu quantifizieren. Daraus kann sich beispielsweise das Konzept der „Schwammstadt“ entwickeln, dass in der Stadtplanung immer häufiger Berücksichtigung findet. Die Kernidee dieses Konzeptes ist es, anfallende Niederschläge in der Stadt an vielen verschiedenen Orten aufzunehmen und wie ein Schwamm zu speichern, anstatt diese zu kanalisieren und abzuleiten.
Basierend auf den Befliegungsdaten von 2018 haben in Essen 11.267 von insgesamt 260.552 Gebäuden - das entspricht einem prozentualen Anteil von 4,3 % - eine begrünte Dachfläche beziehungsweise eine begrünte Dachteilfläche. Insgesamt sind 44,9 ha der Dachfläche begrünt. Bezogen auf die Fläche aller Dächer entspricht das einem Anteil von 1,9 %. Im Vergleich zu Städten wie Dresden oder Nürnberg mit fast gleicher Einwohnerzahl befindet sich die Menge an begrünter Dachfläche auf einem ähnlichen Niveau. Der Stadtteil Westviertel hat mit 7,6 % den höchsten Anteil von Dachbegrünung an der Gesamtdachfläche, gefolgt von Rüttenscheid (3,4 %), Kettwig, (3,3 %), Heidhausen und Stadtkern mit jeweils 3,2 %. Die Stadtteile Bergeborbeck und Schonnebeck haben mit 0,6 % den geringsten Gründachanteil. Im Potentialkataster kommen zu den vorhanden 11.267 Gebäuden mit begrünter Dachfläche oder begrünter Dachteilfläche weitere 132.210 Gebäude hinzu. Insgesamt könnten so 98,3 ha der Dachfläche von Essen begrünt werden. Bezogen auf die Fläche aller Dächer entspricht das einem Anteil von 4,1 % und damit einer Verdopplung. Der Stadtteil Westviertel könnte mit 10,4 % Dachbegrünung den höchsten Anteil bezogen auf die Gesamtdachfläche im Stadtgebiet erreichen, gefolgt vom Stadtkern (7,5 %), Kettwig, (6,4 %) und Überruhr-Insel (5,8 %).
Aus den Modellergebnissen konnte abgeleitet werden, in welchen Stadtquartieren eine hohe Wärmebelastung und ein Anpassungsbedarf an Hitze besteht. Um 17 Uhr sind die identifizierten überwärmten Gebiete mittels der Lufttemperatur und Gefühlten Temperatur fast deckungsgleich. Dabei werden für die Fallstudie bei der Lufttemperatur bzw. Gefühlten Temperatur die höchsten mittleren Werte von 30 °C bzw. 33,8 °C im Stadtkern erreicht. Weitere überwärmte Stadtteile sind Südviertel, Westviertel, Holsterhausen, Südostviertel und Frohnhausen. Generell zeigt sich der Zusammenhang zwischen der Dichte der Bebauung und dem Grad der Versiegelung mit der Ausprägung der Überwärmung. Betrachtet man die Bevölkerungsanteile in den Stadtteilen, so sind die fünf Stadtteile mit den höchsten Lufttemperaturen Lebensraum für insgesamt etwa 10 % der Essener Stadtbevölkerung, wobei in Frohnhausen mit 32.395 und in Holsterhausen mit 26.013 die meisten Einwohner leben. Ca. 10 % der Menschen über 65 Jahren, die zu der durch Hitzestress besonders gefährdeten Bevölkerung gehören, wohnen in den durch die hohen Lufttemperaturen belasteten Gebieten. Bei den fünf höchst belasteten Stadtteilen durch die Gefühlte Temperatur steigert sich der Prozentsatz auf ca. 16 % der Einwohner.
Die Modellergebnisse zeigen, dass die in Essen vorhanden Gründächer und selbst die Begrünung aller potentiell möglichen Dachflächen noch nicht ausreicht, um ein ganzes Stadtquartier oder die Stadt signifikant zu kühlen. Die modellierten Abkühlungswerte sind für die Fallstudie relativ gering und erreichen Maximalwerte von -0,4 Kelvin. An einigen Orten mit sehr hohem Flächenanteil der Dachbegrünung konnte jedoch gezeigt werden, dass schon heute diese Orte lokal von der kühlenden Wirkung der Dachbegrünung (-0,7 Kelvin) profitieren. Die Szenarien mit der weiteren Steigerung der Gründachflächen (Szenarien mit 25 %, 50 %, 75 % und 100 % Dachbegrünungsanteil) lassen eine signifikante Kühlleistung im Straßenraum erkennen, die auch im gesamten Stadtquartier wirkt. Bei 100 % Dachbegrünung kann so die bodennahe Lufttemperatur im Stadtkern um durchschnittlich -0,8 Kelvin gesenkt werden. Gründächer als alleinige Anpassungsmaßnahme sind in ihrer derzeitigen flächendeckenden Ausgestaltung noch nicht ausreichend und müssen mit weiteren Anpassungsmaßnahmen kombiniert werden, um die Klimaerwärmung kompensieren zu können und den thermischen Status quo in der Stadt Essen zu erhalten. Die Begrünungsart spielt für die bodennahe Lufttemperatur bei flächendeckender Anwendung eine eher untergeordnete Rolle. Sie hat aber einen großen Einfluss auf die Dachtemperaturen und somit auf die Isolierung der Dachgeschosse sowie den Wärme- und Kälteenergiebedarf der Häuser. Intensive Dachbegrünung mit größerer Substrattiefe und hoher Vegetation senkt die Dachtemperatur am Tag stärker als extensive Dachbegrünung. Auch die Temperaturschwankungen über den Tag sind bei intensiv begrünten Dächern geringer als bei extensiv begrünten Dächern. Die mächtigere Substratschicht der intensiven Dachbegrünung ermöglicht ebenso einen höheren Wasserrückhalt bei Starkregenereignissen. Die positive und ausgleichende thermische Wirkung von bewässerten oder wassergesättigten Gründächern auf das Dach zeigt sich insbesondere während langanhaltender Hitze- und Trockenphasen.
Das Projekt und die Ergebnisse wurden insgesamt in drei kurzen Beiträgen in der Zeitschrift GebäudeGrün (1/2020, 3/2020 und 2/2022) vorgestellt. Projektbegleitend hat der Deutsche Wetterdienst eine Projektwebseite erstellt. Ein Beitrag wurde für den DBU Jahresbericht 2021 angefertigt. Die Projektergebnisse wurden auf drei nationalen Fachkonferenzen (METTOOLS XI, DACH 2022 und Forschungskonferenz „Klimaresiliente Schwammstadt: Naturbasierte Konzepte und Maßnahmen als Baustein urbaner Transformation“ des Umweltbundesamtes) vorgestellt. Während der Projektlaufzeit wurden durch die weltweit bedingte Corona Pandemiesituation viele Veranstaltungen und Konferenzen abgesagt auf denen die Projektergebnisse hätten präsentiert werden sollen. Es ist vorgesehen auch nach Projektende die Ergebnisse weiter zu kommunizieren (z. B. durch die Teilnahme an einem internationalen Workshop mit dem Titel „beating the heat“ in Bern). Zusammen mit allen Projektpartnern wurde eine halbtägige virtuelle Abschlussveranstaltung mit ca. 85 Teilnehmern durchgeführt.
Deutscher Wetterdienst Projektwebseite ADAMDie Nutzbarmachung von Gründachdaten für die Stadtklimamodellierung ist eine wichtige Grundlage, um das Potential von Gründachflächen zur Minderung der städtischen Lufttemperatur zu ermitteln. Mithilfe der Computermodellierung können gezielt Stadtquartiere identifiziert werden, die eine hohe Wärmebelastung und somit einen erhöhten Anpassungsbedarf an Hitze haben. Die nun simulierbare Wirkung der Dachbegrünung einer ganzen Stadt zeigt das Potential dieser Anpassungsmaßnahme für die Stadtplanung auf. Die Projektergebnisse unterstützen vor allem die kommunalen Fachbehörden bei der Entwicklung geeigneter Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel und somit auch eine frühzeitige Planung von Vorsorgemaßnahmen gegen zukünftige Extremwetterereignisse. Die Ergebnisse können Grundlage für eine mögliche Erarbeitung von Förderprogrammen zur Gründachentwicklung sein.