Projekt 34655/01

Die Revitalisierung der Weser-Lutter in Bielefeld

Projektdurchführung

Pro Lutter e. V. Museum Waldhof
Rohrteichstr. 50 A
33602 Bielefeld

Zielsetzung

Das hier beschriebene Projekt des Vereins Pro Lutter fußt auf der Zielsetzung, Bielefelds historisch wichtigstes Stadtgewässer, die Lutter (wasserwirtschaftlich genau: Weser-Lutter) im öffentlichen Raum wieder freizulegen. Es handelt sich hierbei um eine Verrohrungsstrecke von etwa 2.500 Metern. Nach dem Verständnis, dass Fließgewässer verbindende Linienbiotope darstellen, erscheint es ökologisch sinnvoll und geboten, verrohrte Teilstücke wieder zu öffnen, wenn der Grund der "Verbannung unter die Erde" - in diesem Fall seuchenhygienische Bedenken vor mehr als 120 Jahren - entfallen ist. Dabei muss eine solche Maßnahme mit der Herausforderung umgehen, dass sich stadtökologische Potentiale teilweise deutlich von den landschaftsökologischen im Außenbereich unterscheiden.

Ein breites Bürgerbündnis aus Initiatoren, Verbänden und Vereinen gründete Pro Lutter e.V. vor mehr als 20 Jahren. Der Verein legte zunächst ein Gesamtkonzept vor, welches das Freilegungsprojekt in 3 Bauabschnitte unterteilte und trotz der zum Teil beengten räumlichen Bedingungen im Siedlungsbereich den Hochwasserschutz gewährleistete. Dieses Konzept wurde aktiv in die Öffentlichkeit kommuniziert, wobei deutlich zutage trat, dass sich ein großer Teil der Bürgerschaft die Umsetzung kaum vorstellen konnte. Deshalb entschloss sich Pro Lutter, im Jahr 2004 einen ersten, etwa 150 Meter langen Referenzabschnitt am Waldhof zu bauen. Erst diese Maßnahme, die auch unter der Mitwirkung von Anrainern (z.B. Gymnasium Am Waldhof) erfolgte, brachte dem Gesamtprojekt den gewünschten Rückenwind.

Über das DBU-geförderte Projekt "Durchführung eines umweltpädagogischen Planungslabors für Schüler zur Revitalisierung eines Fließgewässers im urbanen Raum" gelang es im Anschluss, fünf große Innenstadtschulen für das Projekt zu gewinnen. Im Rahmen der Maßnahme gestalteten die Schüler unter fachlicher Anleitung wesentliche Praxisgrundlagen zur weiteren Lutteroffenlegung. Als ein Ergebnis konnte für den III. Bauabschnitt zwischen Teutobruger Straße und Stauteich I die Planungsreife (Entwurfsplanung) erreicht werden. Da sich zwischenzeitlich an der maroden Verrohrungsstrecke jedoch ein dringender Sanierungsbedarf gezeigt hatte, konnte dieser Abschnitt zunächst nicht realisiert werden.
Pro Lutter beantragte deshalb im Jahr 2018 bei der DBU unter dem Titel "Die Revitalisierung der Weser-Lutter in Bielefeld" eine Förderung der Offenlegungsstrecke im II. Bauabschnitt (Ravensberger Straße).

Stadt Biberach: "Biberacher Grün"Kortemeier Brokmann, LandschaftsarchitektenPD Dr. Peter-Jürgen KramerForschungsverbund urbane Gewässer

Arbeitsschritte

Im Projekt hat Pro Lutter die Funtkion des Projektveranlassers, der die gewässerokologische Grundidee undd Planung entwickelt hat und der Bauherrin gegenüber vertritt. Gleichzeitig ist der Verein das Scharnier zu den Förderern, den Anwohnern, Verbänden und zur interessierten Öffentlichkeit. Methodisch bedeutet dies, Planungs- und Projektbesprechnungen zu organisieren, vor Ort präsent und "sichtbar" zu sein und einen Weg zu finden, möglichst umfassend als Ansprechpartner zu fungieren und für die Klärung konkreter Fragen zu sorgen.

Das Projekt gliedert sich einerseits in die Vor- bzw. Planungsphase (1), die eigentliche Bau- und Gestaltungsphase (2) und die ersten Erfahrungen nach der Fertigstellung (3). In den einzelnen Phasen galt es, in unterschiedlicher Intensität den Austausch mit den Kooperationspartnern und der Anwohnerschaft zu organisieren.

In Phase (1) hielt Pro Lutter engen Kontakt mit dem Umweltamt der Stadt. Im Rahmen von Projektbesprechnungen wurden die verschiedenen Planungsstände der Gewässerführung, der Aufweitungen und der inneren Ausgestaltung abgestimmt. Hauptpunkt waren dabei die 3 Aufweitungen, deren Umsetzung durch die Situation vor Ort (alte Leitungen etc.) immer wieder zu Schwierigkeiten führten. Dabei war klar, dass gerade die abwechlungsreiche Führung des Gerinnes zum Grundkonzept der Freilegung gehörte. In die Abstimmungen mussten die Verkehrs- und Gewässerplaner sowie die betroffenen Grunstückseigentümer einbezogen werden. In Phase (1) hielt der Verein engen Kontakt zu betroffenen Nutzern im Projektbereich (z.B. Café Lutter), weil dort zahlreiche Fragen zum Baubeginn, zur Gewährleistung von Zufahrten usw. bestanden.

Phase (2) war stark durch externe Faktoren geprägt. Die Corona-Pandemie und ab Februar 2022 der Ukraine-Krieg führten zu fortwährenden Verzögerungen und Materialmangel. Dies bedeutete, intensiv den Kontakt zu den Anwohnern und sonstigen Betroffenen zu pflegen, um Fragen zu beantworten und ggf. auch an die Stadt als Bauherrin weiterzugeben. Darüber hinaus war Pro Lutter gefragt, den weiteren Kreis der Kooperationspartner (fördernde Einrichtungen, Schul- und Vereinskooperationspartner) regelmäßig über den Projektstand auf dem Laufenden zu halten.

Die Phase (3) läuft seit August 2022. Hier müssen die ersten Erfahrungen mit der Gewässersituation (von Niedrigwasser bis zu den Folgen von Starkregenereignissen) und die Annahme durch die Bürgerschaft ausgewertet und mit der Stadt kommuniziert werden. Die größte Herausforderung ist hierbei die enorme Präsenz der Bürger am Gewässer, nachdem die Medien die offene Lutter in den Monaten nach der Eröffnung als "Sommermärchen" propagiert hatten. Dies führt an Spitzentagen auch zu einer Übernutzung mit der Folge von Müllablagerungen und Ruhestörungen. Pro Lutter begeht das Gewässer regelmäßig, spricht die Erholungssuchenden an, kommuniziert die eigenen Erfahrungen an die Stadtämter und organisiert mit Hilfe von Schulen und Initiativen regelmäßige Gewässerrinigungen. Geplant ist darüber hinaus ein Monitoring, das die Gewässerentwicklung wasserwirtschaftlich wie auch gewässerokologisch dokumentiert.

Stadt ZürichBüro Stelzig

Ergebnisse

Das Projekt wurde Im August 2022 baulich und gestalterisch abgeschlossen.

Rückblickend lässt sich allgemein feststellen: Die Freilegungsstrecke stieß anfangs, im Gegensatz zu den anderen des Gesamtprojekts, auf deutliche Skepsis. Da waren Bedenken der Anwohner in der schmalen Spielstraße, Sorgen um verkehrliche Einschränkungen und - wie häufig in solchen Projekten - die Angst vor Veränderung. Die Skepsis hat im Projektverlauf abgenommen. Die offene Lutter wurde mit Euphorie gefeiert.

Es sollen im Folgenden einzelne, fachliche Aspekte zur Diskussion gestellt werden.

1. Identifikation
Das Quartier rund um die Ravensberger Straße nimmt durch die offene Lutter einen enormen Aufschwung. Die Identifikation der Anwohner mit "ihrem Gewässer" ist groß. Einige sagen: "Nun findet das Leben nicht mehr in den Häusern, sondern an der Lutter statt!"

2. Denkmalschutz
Erst durch die offene Lutter wird den Bürgern bewusst, dass ihre Stadt hier vor 800 Jahren gegründet wurde, weil es an dieser Stelle Wasser gab. Prägend ist hier vor allem auch das Gewässer unter der historischen Anker-Brücke, die für die Industriegeschichte Bielfelds steht und ein Alleinstellungsmerkmal darstellt.

3. Umweltpädagogik
Die Grundlagen der Lutteröffnung wurden u.a. auch durch Schüler der angrenzenden Bildungseinrichtungen erarbeitet. Es konnte gezeigt werden, dass ihr modellhaftes Vorgehen auch realisierungsfähig ist. Direkt nach der Eröffnung hat eine Gruppe von Schülern bereits Verantwortung gezeigt und begonnen, sich an den Reinigungsarbeiten zu beteiligen. Dieser Schub wird hilfreich sein, um das Projekt weiterzuführen.

4. Mikroklima
Die Eröffnungsphase wurde begleitet von sehr warmen Sommerwochen. Dort bereits zeigte sich im Wechselspiel mit den ca. 30 Baumpflanzungen, das das Fließgewässer auf Temperatur und Feuchte im Nahbereich Einfluss nimmt. Verblüffend war dabei ein in der Form nicht absehbarer Aspekt: Die Sommertemperaturen führten dazu, dass zahlreiche Anwohner die Häuser verließen und die Möglichkeit nutzten, die Füße ins Wasser zu halten und ihre Kinder dort spielen zu lassen. Gerade dieser Aspekt hat auch die Akzeptanz stark erhöht, denn das Gewässer ist gut zugänglich.

5. Gewässerökologie
Die Planer haben ein sehr abwechslungsreiches Stadtgewässer geschaffen und Initialpflanzungen vorgenommen. Wie die weitere Begrünung erfolgt, muss beobachtet werden, gerade in den Stillwasserzonen und den schnelleren Fließstrecken. Gleiches gilt für die Ansiedlung von Organismen. Wenige Wochen nach der Eröffnung wurden die ersten Stichlinge beobachtet.

Das Projekt war insgesamt sehr erfolgreich. Dieser Erfolg hat allerdings auch eine Schattenseite. Im Zuge des heißen Sommers 2022 kam es zeitweise zu einer Übernutzung, gerade weil auch in sozialen Medien zum Treff an der Lutter aufgerufen wurde. So entstand gerade an Wochenenden ein Abfallproblem, um das sich Pro Lutter zusammen mit Schülern gekümmert hat.Noch wesentlicher waren jedoch nächtliche Ruhestörungen, die zu Einsätzen der Ordnungamtes führten. Hier gilt es, nachzusteuern z.B. durch Beschilderung, Flyer und vermehrte Müllbehälter.

Öffentlichkeitsarbeit

Die Öffentlichkeitsarbeit gliedert sich in den überörtlichen, fachlichen und fachwissenschaftlichen Bereich einerseits und die Aktivitäten des Vereins vor Ort.

Überörtlich hat sich Pro Lutter sehr stark beim Aufbau einer Plattform zum bundesweiten Austausch über urbane Gewässermaßnahmen engagiert. Dort wurden etwa 200 Projekte zusammengetragen und in eine Datenbank eingepflegt. Das DBU-geförderte "Netzwerk Fließgewässer im urbanen Raum" (FluR) organisierte Tagungen und beriet insbesondere kleinere Kommunen und Initiativen im Start und in der Begleitung von Stadtgewässerdprojekten.

Fachlich nimmt Pro Lutter immer wieder an Tagungen (z.B. Wassertage an der FH Münster) und Gewässerdiskussionen teil und referiert seine Erfahrungen mit den verschiedenen Aspekten der Lutter-Offenlegung. Daneben befruchtet der Verein die fachwissenschaftliche Debatte. So findet das Projekt immer wieder Eingang Abschlussarbeiten an Hochschulen, so z.B. in der Masterarbeit von Eva Müggenburg am Fachbereich Geografie der Universität unter dem Titel "Vergleich des Vorgehens und der Beteiligungsprozesse bei Projekten der Gewässeroffenlegung im urbanen Raum".

Schließlich wird der Verein von Interessierten angesprochen, die über die Pro-Lutter-Homepage auf das Projekt aufmerksam werden. Der Verein führt dann auf Wunsch Ortstermine und Führungen durch und steht mit praxisnahen Ratschlägen zur Verfügung. Ein Beispiel für solche Kontakte ist die Bürgerstiftung Aachen (vgl. Link unten) mit dem Projekt "Aachener Bäche ans Licht".

Örtlich sind die Aktivitäten sehr vielfältig: Im Zuge einer ersten Anwohnerinformation hat sich frühzeitig eine Anwohnerinitiative "Pro Ravensberger" gebildet, mit welcher ein kontinuierlicher Informationsaustausch gewährleistet wurde. Trotz teilweise gegenläufiger Interessen hat der Verein mit der Initiative gemeinsam eine Veranstaltung organisiert, um zu signalisieren, dass beide Seiten eine Polarisierung in der Ravensberger Straße verhindern wollten.

Im Projektgebiet konnte Pro Lutter die Eckfenster eines ehemaligen Kiosks nutzen, um seine Pläne auszuhängen und den persönlichen Kontakt anzubieten.

Die politische Entscheidungsebene (Bezirksvertretung Mitte) legte Wert auf eine qualifizierte Einschätzung der örtlichen Platzsituation mit offenem Wasserlauf. Pro Lutter beauftragte deshalb einen Modellbauer mit der Herstellung eines etwa 10 Meter langen 1:1-Modells. Dieses Modell konnte den politischen Entscheidungsträgern an mehreren, vor allem engeren Stellen in der Straße gezeigt werden. Auch die Anwohner und die Lokalpresse nahmen teil. Das Modell zeigte deutlich und sehr anschaulich: Die Querschnitte der Ravensberger Straße gaben ein offenses Fließgewässer her.

Schließlich war es dem Verein ein Anliegen, den Anwohnern nach längeren Baustellenbeeinträchtigungen das Gewässer nicht nur formlos zu übergeben, sondern mit einem großen Straßenfest die "neue Ravensberger Straße" mit der offenen Lutter zu feiern. Dieses Eröffnungsfest fand mit zahlreichen Repräsentanten am 03. August 2022 statt.



Stadt LeipzigStadt Aachen

Fazit

Das Projekt ist erfolgreich umgesetzt worden, obwohl es vor allem große externe Herausforderungen zu bewältigen gab. Dies waren die Corona-Pandemie und der beginnende Ukraine-Krieg. Beides hat zu Zeitverzögerungen und Materialengpässen in der Bauphase geführt.

Die Freilegung eines Fließgewässers im urbanen Raum bedeutet auch, sich zahlreichen Herausforderungen im Planungsverlauf zu stellen; denn nicht alle alten Leitungen oder Baureste im Untergrund sind vorab bekannt. Es ist dennoch gelungen, bei den Erschwernissen die gewässerökologische Grundidee beizubehalten. Dies galt beispielsweise für die aufwändigen Gewässeraufweitungen im engen Verkehrsraum.

Als modellhaft sollen drei Aspekte im Projekt herausgehoben werden:

1.
Das "neue" Gewässer ist insbesondere deshalb visuell erkennbar und attraktiv, weil es angehoben wurde (ohne zu pumpen). Die Lutter fließt nicht auf Höhe der Verrohrung, also mehrere Meter unter der Geländeoberkante, sondern nur 70 cm darunter. Sie ist damit wahrnembar und Teil des öffentlichen Raums.

2.
In der Kommunikation mit der Bürgerschaft, insbesondere mit den betroffenen Anwohnern und den Entscheidungsgremien ist es gelungen, nach anfänglicher Skepsis eine deutliche Mehrheit der Menschen für die Realisierung zu gewinnen. Dabei hat die Visualisierung sehr stark geholfen. Pro Lutter hat frühzeitig eine Animation beauftragt, die die offene Lutter in der Ravensberger Straße zeigt. Und für einen Ortstermin der Bezirksvertretung Bielefeld Mitte wurde im Maßstab 1:1 ein etwa 10 Meter langes Modell gebaut, dass präzise die Lage des künftigen Gewässers im Verkehrsraum zeigte.

3.
In Bielefeld zeigt sich eine zunehmende Sensibilität für verrohrte Fließgewässer. So wurde im Zuge der lang anhaltenden, öffentlichen Debatte um die Lutter auch im Ortsteil Bethel ein weiteres Fließgewässer (Bohnenbach) teilweise offengelegt und umgestaltet. Auf einer großen militärischen Konversionsfläche (Rochdale Kaserne) wird überlegt, einen dort verrohrten Gewässerabschnitt freizulegen und in das Grünkonzept zu integrieren.
Überörtlich wird das Projekt über das mediale Interesse wahrgenommen. Dies führt dazu, dass auch andere Kommunen (z.B. die Stadt Aachen) Interesse am modellhaften Freilegungskonzept der Lutter anmelden.

Es bleiben jedoch auch Herausforderungen: Zum einen müssen Wege gefunden werden, dass eine Übernutzung der offenen Lutter vermieden wird. Dies wird durch Kommunikation (Gespräche, Veranstaltungsangebote, Flyer), Beschilderung, das verstärkte Aufstellen von Müllbehältern und auch durch Patenschaften zu organisieren sein. Zum anderen werden Stadt und Verein das Gewässer in seiner Entwicklung beobachten, um aufzeigen zu können, inwieweit es sich dem Leitbild entsprechen ausbilden wird.

Übersicht

Fördersumme

125.000,00 €

Förderzeitraum

01.01.2020 - 31.12.2022

Bundesland

Nordrhein-Westfalen

Schlagwörter

Landnutzung
Naturschutz
Ressourcenschonung
Umwelttechnik