Projekt 34411/01

Identifikation von Fledermausattraktoren an Windenergieanlagen zur Entwicklung von Vermeidungsstrategien: GPS-basierte Raumstudien des kollisionsgefährdeten Großen Abendseglers

Projektdurchführung

Forschungsverbund Berlin e. V. Gemeinsame Verwaltung
Rudower Chaussee 17
12489 Berlin

Zielsetzung

Im Projekt „Identifikation von Fledermausattraktoren an Windenergieanlagen (WEA) zur Entwicklung von Vermeidungsstrategien: GPS-basierte Raumstudien des kollisionsgefährdeten Großen Abendseglers“ wurde die neuartige Methode der kombinierten Verhaltensmessung mit Hilfe von GPS-Technik und „on-board“-Mikrofonen genutzt, um zu untersuchen, wie und warum Fledermäuse mit WEA interagieren. Hierzu nutzten wir den Großen Abendsegler (Nyctalus noctula) als Modellorganismus, da diese Art an WEA kollisionsgefährdet ist. Eine Identifikation relevanter Parameter, die die Interaktion von Fledermäusen mit WEA beeinflussen, könnte Grundlage für die Etablierung von Vermeidungsmaßnahmen im Bau oder Betrieb von WEA sein, die zu einer wirtschaftlich optimierten und naturschonenden Windenergieproduktion führen.

Arbeitsschritte

Wir führten Feldarbeiten in den Jahren 2019 und 2020 in vier Bundesländern durch, wobei der Schwerpunkt der Studie aufgrund optimaler Arbeitsmöglichkeiten im Feld in den Bundesländern Niedersachsen (NS) und Brandenburg (BB) lag. Der niedersächsische Untersuchungsort war repräsentativ für eine Küstenregion mit einer hohen Zahl von WEA, wobei sowohl einzeln stehende WEA als auch Windparks vorhanden waren. Der Untersuchungsort in BB war typisch für eher windschwache Standorte mit einem hohen Waldanteil. An diesem Standort dominierten Windparks. Zur Positionsbestimmung der Fledermäuse nutzten wir miniaturisierte GPS-Logger, die temporär an Große Abendsegler, die wir in der Nähe von WEA vorfanden, angebracht wurden. Hierzu wurden Große Abendsegler aus Fledermauskästen oder Baumhöhlen kurzzeitig entnommen oder mit Hochnetzen gefangen, vermessen sowie gewogen. Nachdem jedes Tier eine GPS-VHF-Einheit (Niedersachsen (NS): NInd=16; Brandenburg (BB): NInd=80) erhielt, wurden die Tiere wieder freigelassen oder in das entsprechende Quartier zurückgesetzt. Nach zwei Tagen startete mittels Telemetrie die Suche nach den besenderten Großen Abendseglern, um die GPS-Logger wiederzufinden und die Daten herunterzuladen. Im Anschluss wurden mit Hilfe der Statistiksoftware R und QGIS die ermittelten Flugpfade (NS: NFlug=32, NInd=11, ØFlug/Ind=3; BB: NFlug=107, NInd=60, ØFlug/Ind=2) in Karten festgehalten und statistisch untersucht. Dies erfolgte einerseits deskriptiv, hauptsächlich aber mittels multivariater Analysen und Algorithmen, die auf maschinellem Lernen beruhen, z.B. ‚Hidden Markov Modelle‘ (HMM), Ressourcenselektionsfunktionen (RSF) und Schrittauswahlfunktionen (SSF), um die beobachteten GPS-Ortungen mit Zufallsraumpunkten zu vergleichen, welche das verfügbare Habitat erfassen und über die Verteilungsfunktionen der Schrittlängen und Umkehrwinkel der Fledermauspositionen generiert wurden.

Ergebnisse

Wir konnten mit Hilfe der Bewegungsverfolgung von Großen Abendseglern mit miniaturisierten GPS-Einheiten wichtige Information bezüglich der Interaktion dieser kollisionsgefährdeten Fledermausart mit WEA erhalten.

Am Küstenstandort erhielten wir für den Zeitraum August bis September von 11 Fledermäusen (6 Männchen, 5 Weibchen) 6.266 Raumpositionen. Das lokale statistische Modell ergab, dass 70 Prozent der Großen Abendsegler die Nähe von WEA mieden, wobei Große Abendsegler jedoch insbesondere nah an WEA zu beobachten waren, wenn sich die WEA in der Nähe von Bauernhöfen, Wegen oder Gewässern befanden. Nur 3,4% aller Raumpositionen von Großen Abendseglern wurden in einem 100m-Umkreis von WEA beobachtet. Wenn sich die Fledermäuse jedoch den WEA annäherten, erfolgte dies besonders an großen Anlagen und solchen, die sich in der Nähe von bekannten Tagesquartieren befanden. Wir schließen daraus, dass an Küstenstandorten der Bau von WEA in der Nähe von Tagesquartieren und potenziellen Jagdlebensräumen vermieden werden sollte, um die Interaktionen von Fledermäusen mit WEA möglichst minimal zu halten. Das Meideverhalten der Großen Abendsegler deutet darauf hin, dass diese Fledermausart in Gebieten mit einer hohen Dichte von WEA potenziell unter Lebensraumverlust leidet. Es ist daher wichtig, an Küstenstandorten Rückzugsräume für Fledermäuse zu schaffen, die von der Windenergieproduktion ausgeschlossen sind.

An unserem Binnenstandort erhielten wir in zwei Untersuchungsjahren für den Frühsommer und Spätsommer 8.129 Raumpositionen von 60 Großen Abendseglern (42 Männchen, 18 Weibchen). Im Untersuchungsjahr 2019 waren männliche Große Abendsegler mit größerer Wahrscheinlichkeit über Flächen mit hohem Wald- und Gewässeranteil anzutreffen. Diese Präferenz wurde noch deutlicher, wenn auf den jeweiligen Flächen WEA standen. Bis auf den Spätsommer 2019, in dem männliche Fledermäuse WEA mieden, zeigten beide Geschlechter auf der lokalen Betrachtungsebene ein eher indifferentes Verhalten gegenüber WEA. Auf der regionalen Betrachtungsebene hingegen schienen Große Abendsegler stark von WEA angelockt zu werden. Dennoch wurden nur 2,4 % aller beobachteten Raumpositionen in einer Entfernung von weniger als 100 m zur nächsten WEA aufgezeichnet. Dieser geringe Anteil ist ein Hinweis darauf, dass die Tiere im Nahfeld eher ein Meideverhalten gegenüber WEA zeigten. Wenn Große Abendsegler an WEA anflogen, geschah dies bevorzugt in der Nähe von Tagesquartieren. Zusätzlich wurden kleinere, periphere WEA im Wald eher angeflogen als große WEA oder solche, die im Zentrum von Windparks standen. Da wir vermuteten, dass Tagesquartiere einen starken Effekt auf die Anlockwirkung von WEA haben, schlossen wir in einer nachgeschalteten Analyse alle Raumpositionen im Umkreis von 500 m um Quartiere aus. Basierend auf diesem reduzierten Datensatz zeigten unsere Modelle, dass Große Abendsegler generell WEA an unserem Binnenstandort mieden.

Zusammenfassend konnten wir feststellen, dass sich Große Abendsegler besonders häufig an WEA aufhielten, wenn diese in der Nähe von Quartieren oder Jagdlebensräumen wie Gewässer, Wald oder Feuchtgebiete standen. Eine Meidung derartiger Aufstellorte für WEA könnte helfen, die Interaktion von Großen Abendseglern an WEA zu reduzieren. Dies könnte zu einer höheren Energieproduktion der WEA führen, wenn diese mit weniger Abschaltzeiten beauflagt werden müssten. Darüber hinaus fanden wir an beiden Untersuchungsstandorten eine große Variabilität im individuellen Antwortverhalten der Tiere auf WEA. An beiden Standorten war auf regionaler Ebene eine Anlockung durch WEA zu erkennen. Nach Ausschluss quartiernaher Positionen sank dieser Effekt, was auf die Bedeutung der Platzierung von Windparks hindeutet. Dies bestätigte sich auf lokaler Ebene. Am Küstenstandort wurde ein Meideverhalten von Großen Abendseglern gegenüber WEA festgestellt. Am Binnenstandort beobachteten wir, dass auf lokaler Ebene Große Abendsegler hauptsächlich indifferentes Verhalten oder ebenfalls Meideverhalten gegenüber WEA zeigten, sich aber beispielsweise nah an quartiernahen WEA im Wald aufhielten. Dieser Effekt war jedoch an die Nähe von Tagesquartieren gekoppelt. Nach Ausschluss von quartiernahen Raumpositionen zeigte sich ebenfalls ein allgemeines Meideverhalten von Großen Abendseglern gegenüber WEA.

Wir schließen aus unseren Untersuchungen, dass Große Abendsegler generell WEA meiden, einige Individuen aber ein indifferentes Verhalten zu WEA zeigen. Große Abendsegler interagieren vermehrt mit WEA, wenn sich diese in der Nähe von Quartieren, speziell an Waldstandorten, oder Jagdlebensräumen befinden. Eine Berücksichtigung dieser Faktoren beim Bau von WEA könnte maßgeblich den Konflikt zwischen Windenergieproduktion und Fledermausschutz reduzieren und gleichzeitig zu einer höheren Energieproduktion aus Windkraft führen.

Öffentlichkeitsarbeit

Wir konnten die Projektergebnisse sowohl auf internationalen als auch auf nationalen Tagungen präsentieren. Im Januar 2020 wurde das Projekt durch ein Poster auf der nationalen Expertentagung („TDFF: Treffen der deutschsprachigen Fledermausforschenden“) vertreten. Die Projektvorstellung führte zu interessanten Gesprächen und konstruktiven Diskussionen. Im Rahmen des DBU geförderten Projekts organisierten wir zudem eine Online-Tagung über „Evidenzbasierten Fledermausschutz bei Windkraftvorhaben“ (15.4.2021) zu der wir 393 Teilnehmer begrüßen konnten. Im Rahmen dieser Tagung stellten die Projektdurchführenden die Ergebnisse der DBU-geförderten Studie vor. Am 2.11.2021 hielt PD Dr. Voigt auf dem englisch-sprachigen „First International Bat Research Online Symposium: Towards solving the wind energy-bat conflict“ einen zentralen Vortrag über die Ergebnisse des Projekts. Zudem wurden die Projektergebnisse in einer universitären Seminarreihe an der Universität Potsdam vorgestellt. Ein wichtiger Bestandteil unserer Kommunikationsstrategie waren zudem die regelmäßigen Treffen der PAG. Diese nutzten wir einerseits, um die vorläufigen Ergebnisse zu diskutieren, andererseits erhielten wir konstruktive Vorschläge aus den Reihen der PAG-Mitglieder. Des Weiteren trugen wir zu einer Fernsehproduktion des WDR zur Thematik Konflikte im Rahmen von Windkraftvorhaben bei. Diese wurde als Dokumentation im WDR bzw. bei ARTE x:enius gezeigt.

Fazit

Wir konnten an einem Küstenstandort und an einem waldreichen Binnenstandort Landschaftsparameter identifizieren, die für die Raumnutzung des Großen Abendseglers relevant sind. Das Gros der Tiere schien WEA zu meiden. Trotzdem ließen sich auch Parameter an WEA identifizieren, die potenziell anlockend auf Große Abendsegler wirken. Insbesondere die Nähe zu Quartieren oder Jagdlebensräumen erhöhte die Interaktion von Großen Abendseglern mit WEA. Die Einhaltung eines Mindestabstands zu Quartieren oder Jagdlebensräumen beim Bau von WEA könnte den Konflikt zwischen Windenergieproduktion und Fledermausschutz maßgeblich reduzieren und potenziell zu geringeren Abschaltauflagen und somit zu einer höheren Energieproduktion aus Windkraft führen.

Im Bereich Wissensaustausch und Wissenstransfer konnten wir über PAG-Sitzungen sowie die Organisation einer großen Fachveranstaltung mit fast 400 Teilnehmer*innen wichtige Impulse an Behördenvertreter*innenn, Gutachter*innen, Regierungsvertreter*innen sowie Windkraftentwickler*innen und –betreiber*innen geben. Aus diesem Projekt sind zwei wissenschaftliche Publikationen entstanden, von denen ein Artikel bereits publiziert ist.

Übersicht

Fördersumme

338.776,00 €

Förderzeitraum

01.02.2019 - 30.09.2021

Bundesland

Berlin

Schlagwörter

Klimaschutz
Ressourcenschonung
Umweltforschung
Umweltkommunikation
Umwelttechnik