Pflanzenarten, welche sekundäre und potentiell toxische Inhaltsstoffe besitzen, gelten als giftig. Ihr Auftreten auf der Weide oder Wiese ist nicht zu übersehen, wenn es sich um so auffallende Arten wie das hier im Mittelpunkt stehende Jakobs-Greiskraut sowie die Herbst-Zeitlose handelt. Die Berichterstattung zu diesem Thema ist bemerkenswert einseitig: In der tierärztlichen Fachwelt wird auf die gesundheitlichen Gefahren von Jakobs-Greiskraut und Herbst-Zeitlose hingewiesen, die naturschutzfachliche Fachwelt betont dagegen die ökologische Bedeutung dieser Arten [1]. Dies macht deutlich, dass nicht nur aus futtermittelrechtlicher und tiergesundheitlicher Sicht Handlungsbedarf besteht, sondern auch aus Sicht der Wirtschaftlichkeit sowie des Umwelt- und Naturschutzes.
Die Rolle des Tieres scheint eindeutig. Rinder und Pferde meiden beide Pflanzen im frischen Zustand. Das könnte daran liegen, dass die Gattung Senecio potente Repellents zur Fraßabwehr wie flüchtige Terpenoide in Form von Sesquiterpenlactonen besitzt. Bei der Zeitlose ist dies nicht klar, zumal nicht flüchtige Alkaloide als potentielle Repellents im Fall von getrocknetem Greiskraut nicht zwangsläufig zur Meidung bei Rind und Pferd führen. Allerdings ließ sich auch bei Aufnahme von Jakobs-Greiskraut im Heu unter artgerechten Praxisbedingungen (ausreichend Futter, Bewegung) kein Fallbericht in der Literatur nachweisen, der Gesundheitsprobleme beim Rind oder Pferd beschreibt. Im Fall der Herbst-Zeitlose gibt es sowohl Beobachtungen, dass Pferde die Pflanze aus dem Heu selektieren [2] als auch dass sie daran erkranken [3]. Inzwischen ist erwiesen, dass Rinder die Metabolite von Greiskraut zu unschädlichen Verbindungen abbauen [4].
Tierhalter*innen im Landwirtschafts- und Hobbybereich nehmen an, dass kontaminierte Futtermittel eine gesundheitliche Gefahr für die Tiere selber als auch für die aus ihnen hergestellten Produkte darstellen [5]. Auch das Futtermittelgesetz schreibt vor, dass beim Auftreten von Jakobs-Greiskraut und Herbst-Zeitlose im Futter das Futter nicht mehr verkauft werden darf. Basis für diese Risikobewertung bilden Fütterungsversuche, bei denen Labortieren und (im Ausland) Pferden und Rindern tödliche Mengen dieser Pflanzen zwangsweise über Wochen hinweg verabreicht werden.
Ohne die Klärung des Risikos von Jakobs-Greiskraut und Herbst-Zeitlose im konservierten Rauhfutter für Nutztiere besteht die Gefahr, dass artenreiches Grünland mit dem für diese Vegetation natürlichem Anteil auch potentiell toxischer Pflanzen per se als negativ wahrgenommen wird. Für unseren Fütterungsversuch wählten wir die Tierart Pferd, weil die Universität Leipzig als Kooperationspartner über entsprechende Versuchstiere und eine hervorragende Infrastruktur verfügt. Die Bedingungen, unter denen die Versuchspferde dort gehalten werden, sind vorbildlich.
Bisher fehlte nicht ein praxistauglicher Fütterungsversuch, der zeigte, ob und wieviel Jakobs-Greiskraut und Herbst-Zeitlose Pferde unter stressfreien Bedingungen fressen. Unser Ziel ist, das Risiko von Jakobs-Greiskraut und Herbst-Zeitlose im Heu im Kontext guter landwirtschaftlicher Praxis zu untersuchen: Was Pferde an Pflanzenarten selektieren oder präferieren.
Da in jedem Heuballen die Ertragsanteile von Jakobs-Greiskraut und Herbst-Zeitlose unterschiedlich sind, weil die Anteile auf jedem Standort räumlich variieren, stellte sich die Frage, ob Pferde ab einem bestimmten Ertragsanteil dieser Arten diese selektieren oder das Futter zu verweigern.
Außerdem war bisher unbekannt, welche Variablen am Wuchsort die Konzentration von potentiell toxischen Alkaloiden beeinflussen:. Da der Toxingehalt entscheidend für die Risikobewertung ist, war es notwendig, diesen in Abhängigkeit von Umweltfaktoren zu messen. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Populationsdichte von Senecio jacobaea / Colchicum autumnale und dem Toxingehalt der Pflanzen? Sind die Unterschiede der Populationsdichte der beiden Arten durch einen oder mehrere Bodenparameter zu erklären? Kann ein Zusammenhang zwischen Bodenparametern und Toxingehalt der beiden Arten hergestellt werden?
Literatur
1. Huckauf, A., et al., Umgang mit dem Jakobs-Kreuzkraut: Meiden - Dulden - Bekämpfen, in Schriftenreihe LLUR SH - Natur, S.N. Schleswig-Holstein
2. Winter, S., M. Penker, and M. Kriechbaum, Integrating farmers' knowledge on toxic plants and grassland management: a case study on Colchicum autumnale in Austria. Biodiversity & Conservation, 2011. 20(8): p. 1763.
3. Wolf, P., et al., Herbstzeitlose (Colchicum autumnale) – Vorkommen und mögliche Effekte bei Pferden. Tierärztliche Praxis, 2009. 37 ((G) ): p. 330–336.
4. Julian Taenzer *, Rumen Metabolism of Senecio Pyrrolizidine Alkaloids May Explain Why Cattle Tolerate Higher Doses Than Monogasteric Species. Journal of Agricultural and Food Chemistry, 2022.
5. Klärner, D., Das Kreuz mit dem Kreuzkraut, in Frankfurter Allgemeine Zeitung 2017
Das Projekt besteht aus zwei Teilen: Das Teilprojekt „Feldforschung“ war am Institut für Tierernährung der Tierärztlichen Hochschule Hannover angesiedelt und klärte die ökologischen-toxikologischen Parameter. Das Teilprojekt „Fütterungsversuch“ war an der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig angesiedelt und widmete sich der Futteraufnahme von Heu mit Jakobs-Greiskraut und Herbst-Zeitlose. Die Toxinanalysen für beide Teilprojekte übernahm dankenswerterweise das Bundesamt für Risikobewertung. Feldforschung Die Datenerhebungen auf Grünland mit Jakobs-Greiskraut fanden auf drei Standorten in Niedersachsen statt, die Datenerhebungen auf Grünland mit Herbst-Zeitlose auf drei Standorten in Hessen statt. Auf jedem Standort wurden zwei 9 m x 12 m große Hauptplots errichtet. Dabei wurde ein möglichst unterschiedlicher Deckungsgrad mit Senecio jacobaea beziehungsweise Colchicum au-tumnale gewählt, um die heterogene Verteilung im Feld bestmöglich vergleichen zu können. Jeder Mainplot wurde anschließend in 3 x 4 m große Subplots unterteilt. Auf den Subplots wurde in den Monaten Juni, August und September 2019 sowie von April bis September 2020 die Vegetation kartiert. Zusätzlich zur Vegetationskartierung wurde in jedem der fünf Subplots ein Exemplar von Senecio jacobaea oder Colchicum autumnale geerntet. Die gesammelten Proben wurden in einer Kühlbox transportiert und direkt im Anschluss in flüssigen Stickstoff getaucht. Danach wurden die Proben gefriergetrocknet, mit der Rotormühle auf 0,78 mm vermahlen und an das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) gesendet, wo die Proben auf ihren Pyrrolizidin-Alkaloid und Colchicin Gehalt untersucht werden. Der Aufwuchs wurde einer Weender Analyse unterzogen. Außerdem erfolgte eine Beprobung des Bodens für die Bestimmung von pH-Wert, CN-Verhältnis, Nährstoffgehalte, Bodenart, Bodenfeuchte und Bodentemperatur. Fütterungsversuch Aufwuchs auf den Standorten in Niedersachsen wurde geerntet und im Fall der Greiskraut-Wiesen an die Pferde gefüttert. Im Fall der Wiesen mit Herbst-Zeitlose ließ sich diese Pflanzen nicht aussortieren, so dass weitere Pflanzen gesammelt und einem weiteren Heu zugeführt wurden. Im Rahmen des 18- 48 Stunden dauernden Fütterungsversuchs wurde beobachtet, wieviele Teile der beiden Wiesenkräuter von den insgesamt sechs Pferden gefressen wurden, wenn der Ertragsanteil von Greiskraut 5 oder 10 %, der von Zeitlose 1 oder 2 % betrug. Die Pferde wurden im Hinblick auf laborklinische Parameter vor und nach dem Versuch untersucht. Vor jeder Beobachtungsperiode wurde die entsprechende Menge der Giftpflanze ausgewogen und mit der individuellen Menge Heu homogen vermischt. Das kontaminierte Heu wurde in den zuvor von Futterresten befreiten und gesäuberten Trögen zur Fütterung vorgelegt. Nahm ein Pferd zwei Pflanzen JKK/HZL auf, wurde die Fütterung für dieses Tier abgebrochen, das Heu aus dem Trog entfernt und der Versuch zu einem anderen Zeitpunkt wiederholt. Wurden auch in der wiederholten Fütterung zwei Giftpflanzen aufgenommen, wurde das Tier für die entsprechende Pflanze aus dem Versuch ausgeschlossen. Sowohl nach Abbruch als auch nach vollständiger Beendigung der Beobachtungssequenz wurde das Heu sorgfältig aus dem Trog entfernt und sortiert. Die verbliebenen Giftpflanzen und das verbliebene Heu (= Krippenrest) wurden separat gewogen und die Ergebnisse protokolliert. Für weitere Analysen wurden die Giftpflanzen und der Krippenrest einzeln verpackt, beschriftet und gekühlt gelagert. Zusätzlich wurden aus jedem genutzten Heuballen Heuproben entnommen.
Im Teilprojekt Feldforschung vermuteten wir, dass die Standortfaktoren am Wuchsort die Konzentration der potentiellen Toxine beeinflussen könnten. Beim Jakobs-Greiskraut zeigte sich, dass für bestimmte Alkaloide wie Erucifolin und Jacobin eine höhere Konzentration vorliegt, wenn sie in Pflanzen vorliegen, die in höheren Deckungsgraden vorkommen. Dagegen kommt Senkirkin in Pflanzen vor, die in geringeren Deckungsgraden wachsen. Die Herbst-Zeitlose reicherte bei geringeren Stickstoffgehalten im Boden mehr Colchicin an. Im Teilprojekt Fütterungsversuch wollten wir einen praxistauglichen Fütterungsversuch durchführen, der zeigen sollte, ob und wieviel Jakobs-Greiskraut und Herbst-Zeitlose Pferde unter stressfreien Bedingungen fressen. Dabei ging es auch darum zu erfahren, ob der Ertragsanteil dieser Arten im Heu eine Rolle spielt und warum sie ein bestimmtes Fraßverhalten gegenüber den beiden Pflanzen zeigen. Interessanterweise haben die sechs Pferde über einen Beobachtungszeitraum von 48 Tagen im Fall von Greiskraut die Pflanze zu 69,4 %, also überwiegend verschmäht, allerdings mit großen individuellen Unterschieden (2 Pferde kaum, 2 Pferde fast vollkommen, 2 Pferde mittelmäßig), ohne dass sich die Werte der Leberenzyme veränderten. Schaut man sich die chemische Zusammensetzung an, zeigt sich, dass womöglich die höheren Gehalte von Cellulose und Lignin und geringeren Gehalte von Protein und Fett im Greiskraut gegenüber denen im restlichen Heu zum negativen Selektieren („Aussortieren“) geführt haben. Das heißt nicht, dass es individuell Pferde gibt, die genau diese Eigenschaften an Pflanzen mindestens phasenweise bevorzugen. Das lässt sich zum Beispiel regelmäßig auf Winterweiden mit dem faserarmen und proteinreichen Gras beobachten, wo die Pferde gezielt die überständigen Stauden aufnehmen. Normalerweise werden aber im Heu grobe Stengel vom Greiskraut genau wie die von Ampfer und Distel nicht gefressen. Unabhängig vom Ertragsanteil des Greiskrauts, bestätigt auch dieser Versuch diese grundsätzliche Meidung solcher Futterbestandteile. Auch der Versuch mit Zeitlose unterstreicht diesen Befund. Hier war nämlich die Ablehnungsquote mit 26,4 % viel geringer. Es gab sogar Pferde, welche diese Pflanzen gezielt aus dem Heu fraßen. Im Gegensatz zu den restlichen Pflanzen im Heu wurden die Exemplare der Zeitlose händisch und separat geerntet und getrocknet und erschienen daher im Heu auffällig unbeschädigt (Abbildung aus dem Anhang). Die chemischen Eigenschaften der Zeitlose waren deutlich günstiger für Pferde. Im Gegensatz zum Greiskraut zeigen sich hier geringere Gehalte von Cellulose und Lignin, aber höhere Protein- und Fettgehalte in der Zeitlose gegenüber denen im restlichen Heu. Zusammen mit der auffälligen Struktur könnte die Attraktivität dieser Pflanzen aus tierischer Sicht deutlich erhöht haben, ebenfalls unabhängig vom Ertragsanteil. Dabei hat den Pferden die Wahl nicht geschadet: Trotz der erwartbaren Toxingehalte blieben auch nach 18 Tagen die Leberenzymwerte unauffällig.
Insgesamt wurden vom Kooperationspartner zwei Veröffentlichungen plaziert (folgende Nummer 1 und 2); vom Antragsteller sind zwei Publikationen in Vorbereitung (folgende Nummer 3 und 4). 1. Sroka, L., Müller, C., Hass, L.M., Wahl, L., Starzonek, J., Aboling, S. & Vervuert, I. (2022) Horses rejection behaviour towards the Presence of Senecio jacobaea L. in hay. BMC Veterinary Research18 (25): 1-9. DOI: org/10.1186/s12917-021-03124-0 2. Müller, C., Sroka, C., Hass, L.M., Wahl, L., Starzonek, J., Aboling, S. & Vervuert, I. (2021) Rejection behaviour of horses for hay contaminated with meadow saffron (Colchicum autumnale L.). Journal of Animal Physiology and Animal Nutrition 00: 1–8. DOI: 10.1111/jpn.13648. 3. Hass, M.-L.; Guggenberger, G.; Tänzer, J.; These, A.; Vervuert, I. and Aboling, S. Plant toxins in hay: Biotic and abiotic influences on the concentration of colchicin in meadow saffron (Colchicum autumnale L.) 4. Hass, M.-L.; Guggenberger, G.; Tänzer, J.; These, A.; Vervuert, I. and Aboling, S. Plant Toxins in Hay: Biotic and Abiotic Influences on the Concentration of Pyrrolizidine Alkaloids in Ragwort (Senecio jacobaea L.)
www.tiho-hannover.deVor dem Hintergrund des Futtermittelrechts, dass die beiden Pflanzen im Heu aufgrund der enthaltenen Toxine ohne Einschränkung verbietet, hätte man dieses Projekt nicht durchzuführen brauchen, um aufgrund der Präsenz von Toxinen den Schluss zu ziehen, das Heu grundsätzlich nicht zu verfüttern. Dass wir trotzdem den Versuch wagten, ergab folgende Differenzierung in der Bewertung der beiden Pflanzenarten: 1. Risikoabschätzung 1/4: Geringe Mengen gefressener Giftpflanzen über 18 Tage (Zeitlose) bis 48 Tage (Greiskraut) reichen nicht aus, um eine Gefahr für die Gesundheit von Pferden darzustellen. 2. Risikoabschätzung 2/4: Die höhere Inzidenz von Intoxikation bei Pferden nach Aufnahme von Herbst-Zeitlose dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die höhere Attraktivität der Pflanze im Heu für Pferde zurückgehen. Hier rechtfertigt die Präsenz der Toxine durchaus eine Regulierung durch das Futtermittelgesetz. 3. Risikoabschätzung 3/4: Im Fall von Greiskraut gilt dieser Vorbehalt nicht. Die im Heu vorhandenen Stengel bilden die größte Biomasse der Pflanze im Heu und enthalten die geringste Konzentration an Alkaloiden, während Blätter und Blüten mit vielfach höheren Toxinkonzentrationen als Bröckelverluste den Pferden weitestgehend nicht mehr zugänglich sind. Unsere Daten zeigen erwartungsgemäß, dass Pferde diese Stengel nur in rund 30 % aller Beobachtungsmomente fressen. Aus diesem geringen Akzeptanzwert zusammen mit den unveränderten Gesundheitsparametern über 48 Tage lässt sich ein Verbot von Greiskraut im Pferdeheu nicht mehr ableiten. 4. Risikoabschätzung 4/4: Heu mit Greiskraut bildet daher kein „besonders gefährliches“ Futtermittel. 5. Perspektivenwechsel: Angesichts der Konflikte mit dem Natur- und Umweltschutz lässt sich schlussfolgern, dass die Präsenz von Greiskraut im Heu für Pferde neu zu überdenken wäre, jedenfalls kein pauschales Gesundheitsrisiko darstellt. Hier wäre ein Perspektivenwechsel angezeigt. 6. Kein Perspektivenwechsel: Im Hinblick auf Herbst-Zeitlose konnte die Situation dagegen als kritisch bestätigt werden: Diese Pflanze bildet für Pferde im Heu – zumindest unter den Voraussetzung im Fütterungsexperperiment – ein potentielles gesundheitliches Risiko. 7. Ausblick: Aus diesem Grund sollte Grünland mit Herbst-Zeitlose nicht geheut, sondern beweidet werden. Empirische Kenntnisse zeigen zwar, dass keine tiergesundheitlichen Bedenken bestehen, aber zur Risikoabschätzung für diese Nutzung wäre eine Feldstudie wünschenswert.