Mit Storytelling wird gemeinhin die Hoffnung verbunden, sachbezogene Themen und Inhalte auf eine neue Art anschaulich, lebendig, emotional und unterhaltsam zu kommunizieren und darüber bei den Rezipientinnen und Rezipienten verstärkte Aufmerksamkeit und neue Zielgruppen zu erreichen. Im Zuge des wachsenden Interesses am Storytelling hat sich ein ganzes Praxisfeld entwickelt, das den Ansatz im Rahmen von Workshops, Handreichungen und als Dienstleistung an professionell Kommunizierende vermittelt.
Zwei Desiderata scheinen bemerkenswert und bildeten den Ausgangspunkt des Vorhabens:
1. ein Mangel an Ansätzen, das Thema Storytelling systematisch mit Fragen der Nachhaltigkeitskommunikation zu verknüpfen.
2. ein Mangel an wissenschaftlichen Befunden zu empirischen Wirkungen und Wirksamkeiten von Storytelling-Ansätzen im Nachhaltigkeitskontext.
Hier setzte das Projekt an und zielte darauf ab, den Storytelling-Ansatz systematisch und evidenzbasiert für Herausforderungen in der Nachhaltigkeitskommunikation mit jungen Menschen fruchtbar zu machen und zu einer wirksameren Aufbereitung von Nachhaltigkeitsthemen im Journalismus sowie in den Bezugsfeldern Wissenschaftskommunikation und unternehmerische Nachhaltigkeitskommunikation beizutragen. Besonderes Interesse und besonderer Bedarf an wirksamen Formaten der Nachhaltigkeitskommunikation bestand in Bezug auf junge Menschen und deren Gewohnheiten und Ansprüche an die Kommunikation von Nachhaltigkeitsthemen. Hier zielt das Vorhaben insbesondere darauf ab, auch nicht-akademische und Nachhaltigkeitsthemen reserviert gegenüberstehende Milieus durch neue und aktivierende Formen der Ansprache zu erreichen.
Das Vorgehen im Projekt untergliederte sich in vier Phasen.
Phase I: Analyse
Die erste Phase beinhaltete die inter- und transdisziplinäre Grundlegung des Untersuchungsgegenstandes. Zum einen erfolgte hier angesichts der hohen Dynamik der Forschung zu Storytelling eine aktualisierende Literaturanalyse, die neu entstandene Erkenntnisse in anderen wissenschaftlichen Feldern unter Hinzuziehung der im Vorhaben einbezogenen Fachexpertisen sichtete und fuer die empirischen Arbeiten fruchtbar machte. Zum anderen wurde das Erfahrungswissen im Praxisfeld expliziert. Dazu wurden journalistische Praktiker:innen dazu befragt, welche Wirkerwartungen sie in Bezug auf Storytelling-Ansätze in der Nachhaltigkeitskommunikation haben. Diese Phase schloss mit einer aktualisierten und transdisziplinär entwickelten Hypothesenbildung ab.
Phase II: Formatdesign
Die zweite Phase richtete sich auf die Sichtung, Klassifizierung und Anpassung von Storytelling-Formaten. Ziel war es, ein Inventar von Medieninhalten in verschiedenen Storytelling-Formaten zu generieren, das im Rahmen der empirischen Studien eingesetzt werden konnte. Dazu wurden zunächst verschiedene vorliegende Materialien gesichtet und bewertet. Wo nötig, wurden zur Optimierung des Versuchsmaterials Modifikationen an den Medieninhalten vorgenommen oder - wenn nötig - eigene Formate entwickelt. Das Design für die experimentelle Wirkungsstudie fokussierte auf ein textliches Storytelling-Format, das Formatdesign für die explorative Wirkungsstudie war transmedial angelegt. Diese Phase wurde in enger Kooperation mit den in das Projekt eingebundenen Fachexpertisen Journalismus und Narratologie durchgeführt.
Phase III: Wirkungsstudien
Die dritte Phase hatte die Konzeption, Durchführung und Auswertung einer experimentellen sowie einer explorativen Wirkungsstudie zum Gegenstand. Die erste Wirkungsstudie bestand aus einem Experiment sowie einer vertiefenden Fokusgruppenstudie. Im Experiment wurden die entwickelten Formate den Ver-suchspersonen vorgelegt und in Bezug auf ihre Wirksamkeit hin untersucht. Aufbauend auf den Ergebnissen der ersten Phase wurden dabei zunächst Hypothesen zu Wirkungen und Wirksamkeiten von Storytelling weiterentwickelt und die entsprechenden Zielkonstrukte operationalisiert, auf die gemäß der Wirkannahmen im Praxisfeld bzw. der Befunde aus der Literaturanalyse eine Wirkung des Erzählansatzes untersucht werden sollte.
Die zweite Wirkungsstudie bestand aus einer längsschnittlichen Rezeptionsanalyse sowie einer vertiefenden Interviewstudie. Ein Ziel der Rezeptionsanalyse war es, verschiedene Typen in der Nutzung transmedialer storytellingbasierter Nachhaltigkeitskommunikation zu identifizieren. Dazu erhielten Nutzer:innen aus der Zielgruppe über einen Newsfeed-Dienst auf dem Smartphone über einen längeren Zeitraum (6 Monate) Medieninhalte im Storytellingformat (Text, Film und Audio). Zur Darbietung der Medieninhalte wurden frei verfügbare Applikationen für Mobiltelefone genutzt und wo nötig geringfügig für die Untersuchungszwecke angepasst (z.B. Push-Informationen).
Phase IV: Transfer
Die vierte Phase beinhaltete die Verbreitung und Inwertsetzung der Ergebnisse. Diese wurden als Transfer-Produkte auf mehreren Wegen für das Praxisfeld fruchtbar gemacht: als Basismodul (Modulares Seminarkonzept für die journalistische Aus- und Weiterbildung), als Online-Selbstlerneinheit (auf Deutsch/Englisch), Praxishandreichung in Form einer Buchpublikation (wissenschaftliche Hintergründe und praktische Perspektiven, Deutsch/Englisch) und eine Abschlusstagung, die aufgrund der COVID19-Pandemie als Webinar durchgeführt wurde.
Als ein konzeptionelles Ergebnis des Projektes wurde ein Verständnis von nachhaltigkeitsbezogenem Storytelling (SusTelling) erarbeitet. Dieses unterscheidet zwischen Merkmalen von Geschichten (»innere« Merkmale der Story), den Kontexten, in denen diese Geschichten eingesetzt und erzählt werden (»äußere« Merkmale des Storytellings) sowie den Wirkabsichten, mit denen es genutzt wird. Demzufolge verstand das Projekt Storytelling für Nachhaltigkeit (SusTelling) als das Erzählen einer Geschichte mit einer klaren Anordnung von Handlungsabläufen (Plot), die auf Charaktere und deren Erfahrungen fokussiert (Personalisierung), Konflikte, Entwicklungen und Lösungen darbietet (Dramaturgie), eine spezifische zeitliche Anordnung aufweist (Chronologie), Informationen über das zeitliche, räumliche oder kulturelle Umfeld gibt (Kontext), einen inneren Spannungsbogen durch Stilmittel aufbaut (Stilistik), auf eine bestimmte Stimmung abzielt (Tonalität) und eine mehr oder weniger interaktive bzw. immersive Art der Präsentation aufweist (Modalität), um bildend auf Rezipierende zu wirken (Bildungswirkung) und den Wandel im Sinne einer Nachhaltigen Entwicklung zu fördern (Nachhaltigkeitswirkung).
Die Ergebnisse der experimentellen Studie zeigten, dass der Text im SusTelling-Stil im Vergleich zum klassischen Bericht weder eine positive Wirkung auf das situative Interesse noch auf die umweltschutzbezogenen und konsumbezogenen Handlungsabsichten der jungen Erwachsenen hatte. Weiterhin zeigten sich keine Unterschiede in der Wirkung des Textes bei den verschiedenen Gruppen. Der SusTelling-Text wirkte nicht anders bei jungen Erwachsenen mit mehr bzw. weniger Interesse an Nachhaltigkeit. Schließlich konnte auch kein Unterschied in der Wirkung dieses Textes für Berufsschüler:innen gegenüber den Studierenden festgestellt werden. Vertiefte Gruppendiskussion mit vier Studentinnen der Umweltwissenschaften und einer weiteren Gruppendiskussion mit neun Berufsschüler:innen legten unterschiedliche Wahrnehmungen des Textes im SusTelling-Stil offen. Während die Studentinnen den Text im SusTelling-Stil als lebensnahes Beispiel für das Engagement junger Menschen ansahen, bezeichneten die Berufsschüler:innen die in den Texten dargestellten Charaktere als wenig mitreißend und die Botschaft als unklar. Dieser Unterschied in der Wahrnehmung der Gestaltung des Textes setzt sich auch in den unterschiedlichen Wirkerwartungen fort. Die Studentinnen fühlten sich motiviert und positiv in ihrem eigenen nachhaltigkeitsbezogenen Engagement bestärkt. Im Gegensatz dazu nahmen Berufsschüler:innen die Textgestaltung so wahr, dass sie sich teilweise „für dumm verkauft“ (Zitat) fühlten, mehr Sachinformation wünschten und den Text insgesamt nur widerwillig weiterlasen.
Die Ergebnisse der explorativen Studie förderte weitere Einsichten darüber zutage, welche Ansprüche junge Erwachsene an Geschichten stellen: Sie sollen an ihre Lebenswelt anknüpfen, glaubhaft und sachlich sein und dabei Themen und Probleme aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Auch lieferte die Studie Erkenntnisse dazu, wen SusTelling wie erreicht. In der Datenanalyse bildeten sich drei ideale Rezeptionstypen ab: Der „Entdecker“, der typischerweise an innovativen Informationen interessiert und von Neugier getrieben ist, möchte durch SusTelling Neues lernen und zu neuen Erkenntnissen angeregt werden. Der „Visionär“ wird durch konstruktive Zugänge angesprochen, die Lösungsansätze in den Mittelpunkt stellen. Der „Aufklärer“ setzt sich eher analytisch mit Nachhaltigkeitsthemen auseinander. Die Einsichten, die er dabei gewinnt, können die eigene Identifikation mit Nachhaltigkeitsthemen bestätigen oder verstärken und weiterhin dazu führen, dass er diese auch in seinem sozialen Umfeld weiterverbreitet und damit zu einem Multiplikator wird. Die empirisch gestützte Rezeptionstypologie kann durch die Rekonstruktion der Rezeptionsprozesse dabei helfen, Zielgruppen von SusTelling besser zu schärfen und Geschichten passgenauer auf Rezeptionserwartungen zuzuschneiden.
Das Projekt bzw. Ergebnisse wurden im Rahmen zahlreicher Veranstaltungen in den Praxisfeldern Journalismus (u.a. Forum Weitblick), Wissenschaftskommunikation (u.a. Forum Wissenschaftskommunikation) sowie unternehmerische Nachhaltigkeitskommunikation (u.a. Mercator Stiftung) präsentiert. Das SusTelling-Team war Mitausrichter der Tagung "Narrationen der Nachhaltigkeit" im Schader-Forum Darmstadt. Die Ergebnisse des Projektes wurden weiterhin in mehreren Blogbeiträgen, einem Podcast sowie in den sozialen Medien verbreitet.
Zentrale Transferprodukte, die auch nach dem Abschluss des Vorhabens zur Verfügung stehen, sind
- eine Online-Selbstlerneinheit bestehend aus drei 15-minütige Lernmodulen, die neben der (1) Wissensvermittlung, die (2) Analysekompetenz von Storytelling und eine (3) Anwendung mittels einer Textwerkstatt beinhalten. Die Online-Selbstlerneinheit wurde sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch verfügbar gemacht.
- ein Abschlussband, der gemäß des inter- und transdisziplinären Projektansatzes Forschende und Praktiker:innen gleichermaßen zu Wort kommen lässt. Der Grundlagenteil klärt wichtige Begriffe und bereitet aktuelle Ergebnisse zur Wirkung von Storytelling für Nachhaltigkeit aus den Forschungsprojekt zu dieser Frage auf. Der Praxisteil zeigt auf, wie Storytelling in verschiedenen Praxisfeldern - Wissenschafts- und Unternehmenskommunikation, Journalismus oder Hochschulbildung - eingesetzt werden kann, um Nachhaltigkeit anders zu erzählen. Der Abschlussband wurde sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch veröffentlicht.
- ein einstündiges Webinar, das als Aufzeichnung weiterhin verfügbar ist; in dem Webinar führt das Projektteam durch wesentliche Erkenntnisse des Projektes und stellt dabei auch die zuvor genannten Transferprodukte vor.
Die wissenschaftlichen Ergebnisse des Projektes sind zudem in weiteren wissenschaftlichen Publikationen zugänglich gemacht worden.
Das Projekt ist mit dem Ziel gestartet, Evidenz zu generieren in Bezug auf die Wirkungen und Wirksamkeit von SusTelling. Die empirischen Ergebnisse aus dem SusTelling-Projekt zeigen, dass es keine einfache Antwort darauf gibt, ob und wie SusTelling wirkt. In der experimentellen Wirkstudie bestätigt sich keine der zuvor aufgestellten Hypothesen. Die Überlegenheit des textbasierten Beispiels ließ sich weder generell noch in der Wechselwirkung mit den untersuchten Personenmerkmalen (Nachhaltigkeitsinteresse und akademische Sozialisierung) feststellen. Die Interviews, die im Anschluss an das Experiment mit Versuchsteilnehmenden durchgeführt worden sind, machen deutlich, dass es zwischen den Studierenden und den Berufsschüler:innen grundlegende Unterschiede in der Wahrnehmung des Textes im SusTelling-Stil gibt, die sich auch auf die wahrgenommene Wirkung erstrecken. Beispielweise scheint es so, dass narrative Kommunikationsformen für skeptischere Personen offenlegen sollten, was die Absicht hinter dieser Art der Kommunikation ist (persuasiver Kontext) und gerade für diese Rezipierenden eine gute Balance zwischen Sachinformation und narrativen Anteilen wichtig ist. Diese Ergebnisse laden auch dazu ein zu überdenken, wie viel Komplexität und welche Art von Texten bestimmten Zielgruppen zuzumuten sind. Gerade die Berufsschüler:innen schienen sensibilisiert dafür zu sein, wenn Textmaterial Zusammenhänge zu vereinfacht darstellt. Zudem deuteten die Ergebnisse darauf hin, dass das Identifikationspotenzial der Hauptcharaktere eine entscheidende Rolle in der Wirkung des textbasierten Materials spielt. Schließlich machen die Ergebnisse deutlich, dass weitere systematische Forschung zur Wechselwirkung zwischen den Personenmerkmalen der Rezipierenden und den Merkmalen der Geschichte notwendig ist.
Die in der explorativen Wirkstudie entwickelte Rezeptionstypologie zeigt auf, dass SusTelling neben Lernprozessen (»Entdecker«) auch Impulse für die Veränderung des eigenen Nachhaltigkeitshandelns setzen (»Visionäre«) oder dazu einladen kann, Mitmenschen bzw. die Gesellschaft im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zu mobilisieren (»Aufklärer«). Diese Rezeptionstypologie kann durch die Rekonstruktion der Rezeptionsprozesse dabei helfen zu verstehen, wie SusTelling zur kritischen Auseinandersetzung mit Themen einer nachhaltigen Entwicklung einlädt und wie der Ansatz die Anwendung oder die Aneignung bestimmter Kompetenzen aktiviert.
Nicht systematisch in den Blick genommen wurden im Projekt die Wirkungen in der Produktion von SusTelling. Hierin eröffnen sich inhaltliche Anschlussfragen für die weitere Forschung zu nachhaltigkeitsbasiertem Storytelling.
Merkmale des Projektes waren die Strukturierung in Phasen und die Zusammenarbeit mit verschiedenen Partner:innen (Beirat, Fachexpertisen, Netzwerkpartner:innen). Rückblickend bewährt hat sich insbesondere die Vorgehensweise, mit Fachexpertisen nicht nur eine zusätzliche inhaltliche Kompetenz im Projekt zur Verfügung zu haben, sondern auch punktuell zu verschiedenen Meilensteinen eine konstruktive Außenperspektive fruchtbar machen zu können. Zudem hat es sich als produktive Ergänzung zur eigenen Arbeit des Projektteams erwiesen, Kolleg:innen aus Praxisfeldern konsultieren zu können an relevanten Stellen wie die Formatentwicklung oder die Entwicklung von Hypothesen. Die auch formale Einbindung in das Projekt hat es ermöglicht, ihre Auskünfte und Mitarbeit sichtbar zu machen (etwa in den Publikationen) und über Aufwandsentschädigungen etc. zu honorieren, was gerade für im Strukturwandel befindliche Sektoren wie dem Journalismus mit zunehmender Prekarisierungstendenzen eine Gelingensbedingung darstellte. Dieses Gestaltungselement in der Projektkonzeption hat sich für die inter- und transdisziplinäre Ausrichtung des Vorhabens als sehr nützlich erwiesen.
In Bezug auf den Praxistransfer zu Storytelling wären neben dem Buch rückblickend auch dynamischere und prozessbegleitende Formate unterstützend gewesen, z.B. Podcasts oder Videos. Diese hätten auch selbst narrativ gestaltet werden können, wie es in der Online-Selbstlerneinheit oder dem Kapitel 4 des Abschlussbandes angelegt ist. Gleichwohl hätte eine solche intensive Form der Öffentlichkeitsarbeit auch kapazitätswirksame Konsequenzen, indem eine Person im Projektteam und ggf. weitere externe Dienstleister:innen damit professionell hätte betraut werden müssen. Gut bewährt haben sie die Social Media-Aktivitäten und die Newsletter, die zu einem begleitenden Transfer der Ergebnisse noch in der Projektlaufzeit beigetragen haben.