Projekt 28496/01

Populationsdynamik und Migrationsmuster von Wildkatzen im Verbundlebensraum Südharz, Kyffhäuser, Heinleite, Hohe Schrecke/Finne und Ziegelrodaer Forst

Projektdurchführung

Technische Universität DresdenForstzoologie
Forsthaus Brumbach
06528 Grillenberg

Zielsetzung und Anlass des Vorhabens

Bisherige Studien zur Ökologie der als waldgebunden geltenden Europäischen Wildkatze (Felis s. silvestris) erfolgten innerhalb großflächig bewaldeter Lebensräume ihrer wenigen verbliebenen Verbreitungszentren. Im Rahmen einer (Wieder-)Ausbreitung der gefährdeten Art muss die offene Kulturlandschaft überwunden werden, um häufig kleine, isolierte Waldlebensräume zu erreichen. Damit diese entstehenden isolierten Teilpopulationen überlebensfähig sind und ihre verbindende Funktion innerhalb einer Metapopulation erfüllen können, ist die Gewährleistung von Migrationen einzelner Individuen zwischen Waldgebieten essentiell. Dass Wildkatzen außerhalb geschlossener Waldgebiete vorkommen, bestätigen bereits einzelne Wiederbesiedlungen von Waldinseln an der Peripherie des Kernlebensraumes Harz sowie registrierte Verkehrsopfer mit großer Distanz zum nächsten Waldgebiet.
Ziel dieser langfristig (2010-2014) angelegten Untersuchung zwischen Südharz (ST) und nordthüringer Waldgebieten ist es, Mechanismen des Populationsverbundes und die Anforderungen der FFH-Art (Anhang IV) an Lebensräume außerhalb geschlossener Wälder zu erfassen. Die Studien sollen Empfehlungen für die Gestaltung - oder Erhaltung - von Populations-Verbundlebensräumen ermöglichen, wobei sich auch Alternativen zur Schaffung durchgängig bewaldeter Strukturen ergeben könnten. Untersucht werden soll, welche Teile einer Population Offenland geprägte Verbundlebensräume nutzen, in welcher Funktion sie zur Wiederausbreitung beitragen und von welchen Faktoren (Lebensraumausstattung, Nahrungsverfügbarkeit, Klima) eine erfolgreiche Vernetzung von Subpopulationen abhängt. Populationsökologische Kenngrößen, wie die Geburten- und Überlebensrate, aber auch die Nutzung von Requisiten z. B. während der Jungenaufzucht, sollen mit bereits erhobenen Daten aus dem bewaldeten Kernlebensraum Südharz verglichen werden. Darüber hinaus erfolgt eine Erhebung der Nahrungsverfügbarkeit in der Kulturlandschaft, wobei die Dynamik von Kleinsäugerpopulationen auf typischen Jagdhabitaten der Wildkatze untersucht wird.
Das Kern-Untersuchungsgebiet bildet der Bereich der Goldenen Aue zwischen dem östlichen Südharz und dem Kyffhäusergebirge in Sachsen-Anhalt. Der überwiegend landwirtschaftlich genutzte Raum zwischen den beiden Waldgebieten erstreckt sich in nord-südlicher Ausrichtung über eine Länge von ca. 9 Kilometern. Neben Ackerflächen prägen alte, teilweise verbuschte Obstbaumplantagen, extensiv genutz-te Wiesen und einzelne Gehölze das Landschaftsbild.


Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten MethodenWährend mit Beginn des zweiten Projektjahres vergleichende Studien in Offenland- und Waldlebensräumen geplant sind, fokussiert das erste Projektjahr auf die Raumnutzung und Habitatpräferenzen sendermarkierter Wildkatzen sowie auf ihr Nahrungsangebot in der Kulturlandschaft zwischen Südharz und Kyffhäuser.

Fang und Besenderung (April- März 2011)
Da wenig über das Vorkommen der Wildkatze im Untersuchungsgebiet bekannt ist, werden mit Hilfe von Lockstöcken (hair catcher) und automatischen Kameras (Fotofallen) Präsenznachweise erbracht. Hierbei werden auch alternative Duftstoffe als olfaktorische Köder für den Fang bzw. für ein jahreszeitlich unabhängiges Monitoring getestet, da sich die Reaktion der Wildkatzen auf Baldrian überwiegend auf die Wintermonate (Ranz) beschränkt (Sexualpheromon-Analogon). Der Fang erfolgt in ebenfalls olfaktorisch beköderten Kastenfallen. Dabei orientieren sich die Standorte des 15-30 Fallen umfassenden Fallennet-zes teilweise an den Ergebnissen der Lockstock- und Fotofallen, um die Fangwahrscheinlichkeit zu erhöhen. Die Besenderung und Wiederfreilassung der Wildkatzen erfolgt am Fangort. Die Laufzeit der VHF-Sender beträgt 2-3 Jahre.

Erfassung der Raumnutzung (April 2010 - März 2011)
Die telemetrische Beobachtung sendermarkierter Wildkatzen stellt den wichtigsten Arbeitsschritt dar, wobei die Katzen kontinuierlich lokalisiert werden (1-3 Lokalisationen/24 Std). Neben den Aktionsräumen bzw. ihren Wanderbewegungen werden die genutzten Habitate genau erfasst. Anhand der gewonnen Daten erfolgen statistische Habitatnutzungsanalysen. Sie geben, in Verbindung mit einer parallel durchgeführten Feldfruchtkartierung, z. B. darüber Aufschluss, welche Rolle Feldfrüchten unterschiedlicher Wuchshöhe als Deckung bietende Strukturen in der Kulturlandschaft zukommt, und welche Habitatpräferenzen Wildkatzen im Offenland haben. Nur durch die Telemetrie können darüber hinaus genutzte Requisiten, Migrationsrouten oder auch Reproduktionsereignisse dokumentiert werden.

Ermittlung der Nahrungsverfügbarkeit / Kleinsäugeruntersuchungen (Juli - August 2010)
Die Erfassung des Nahrungsangebotes erfolgt standardisiert auf ausgewählten Referenzflächen unterschiedlicher Habitate (nach BOYE & MEINING 1996). Auf jeweils einem viertel Hektar (2.500 qm) werden Fang-Markierung-Wiederfang-Studien von Kleinsäugern durchgeführt, die Auskunft über das Artenspektrum, die Abundanzen von Arten und deren Biomasse liefern. Es ist geplant, die zeitaufwendigen Untersuchungen auf vier Kulturlandschaft-typischen Habitattypen (extensiv genutzte Wiese, alte Obstplantage, Rapsacker und Waldinsel) mit jeweils 2 Referenzflächen/Habitattyp durchzuführen. Angestrebt ist eine langfristige Einrichtung der Flächen, so dass Wiederholungen der Untersuchungen gewährleistet sind, um die Entwicklung der Kleinsäugerpopulationen zu erfassen. Der Umfang dieser Untersuchungen richtete sich nach der Verfügbarkeit weiterer Mitarbeiter (z. B. Studierende, Bachelor- und Masterarbeitskandidaten). Im Sommer 2010 wird die Arbeit durch zwei Studentinnen der Universität Bremen für 2 Monate unterstützt, die bereits jetzt ihr Interesse geäußert haben, ihre Masterarbeit im Frühjahr/Sommer 2011 dieser Thematik zu widmen.

Bericht und erste Artenschutzempfehlungen (März - Mai 2011)
Eine Auswertung der gewonnen Daten und die Erstellung eines Berichtes erfolgt am Ende des hier berücksichtigten Förderzeitraumes. Dabei werden erste wichtige Ergebnisse zu den Anforderungen der Wildkatze an die Kulturlandschaft erwartet, die als Empfehlung zur Gestaltung von Verbundlebensräumen dienen.


Ergebnisse und Diskussion

Bisher konnten vier Wildkatzen (2?, 2?) zwischen den von der Wildkatze besiedelten Waldlebensräumen Südharz und Kyffhäusergebirge und innerhalb des Verbundlebensraumes Goldene Aue sendermarkiert werden.
Die vorläufigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass in dem Verbundlebensraum residente Individuen mit einem ausgewogenen Alters- und Geschlechterverhältnis leben. Die Raumnutzungen der untersuchten Wildkatzen zeigen eine ganzjährige intensive Nutzung der offenen Kulturlandschaft. Unterschiedliche Faktoren scheinen die ausgeprägte Offenlandnutzung der als waldgebunden geltenden Art zu unterstüt-zen. Auf Ackerfluren mit Wegsäumen und eingestreuten Grünlandarealen erreichen die Arten Feld- und Erdmaus (Microtus) wie auch Schermaus (Arvicola terrestris) z. T. hohe Dichten. Sie bieten der Wildkatze, die in Nahrungsanalysen (vgl. PIECHOKI 1990, MEINING 2002, TRAYJANOWSKI et al. 2002) starke Präferenzen für Wühlmäuse (Muridae) aufweist, somit eine optimale Nahrungsgrundlage. Das für Wildkatzen essentielle Deckungsangebot bilden, anders als in geschlossenen Waldhabitaten, Heckenstrukturen, Feldgehölzinseln, Staudenfluren sowie Gewässer-, Weg- und Ackersäume, Gräben und - zumindest während der Vegetationsperiode - Feldfrüchte. Insbesondere Raps scheint hierbei eine wichtige Funktion als Wildkatzenlebensraum einzunehmen: Die ersten Ergebnisse im Sommer zeigten eine intensive Nut-zung dieser Feldfrucht als Ruhe-, Wander- und Jagdhabitat durch die beiden Kater. Rapspflanzen stehen mit größerem Abstand zueinander, so dass der Bestand in Bodennähe lichter und leichter zu durchlaufen ist, als ein Getreidefeld. Die Fruchtstände des Rapses bilden zusammen mit dem Blattwerk eine nach oben nahezu undurchdringliche Decke, von deren Sichtschutz auch andere Arten profitieren. So nutzten Dachse, Füchse, Wildschweine und Rehe gern die überdachten Fahrspuren, wie Spuren und Trittsiegeln zeigen. Das feucht-kühle Mikroklima innerhalb des Rapsfeldes hat vermutlich besonders in den Sommermonaten tagsüber eine hohe Anziehungskraft auf unterschiedliche Arten. Die beiden weiblichen Katzen zeigten bisher eine stärkere Bindung an deckungsbietende Strukturen als die männlichen.
Eine Frühjahrsreproduktion konnte bei den zwei weiblichen Katzen nicht festgestellt werden.


Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation

Im Vorfeld der Studie wurde ein Flyer erstellt, deren Inhalt über die aktuelle Situation der Wildkatze in Deutschland und über die Ziele des Projektes informiert. Die Flyer wurden allen Interessierten im Untersuchungsgebiet ausgehändigt, sowie bei Informationsveranstaltungen zum Projekt, in der Ausstellung des Biosphärenreservats Karstlandschaft Südharz und in Gaststätten ausgelegt. Auf der Homepage der ZGF wird er zudem zum Download bereitgestellt.
Alle unmittelbar betroffenen Personen im Untersuchungsgebiet wie z. B. Jäger und Landeigentümer wurden an einem Informationsabend zu Beginn der Studie (18.05.2010) über die Ziele und das konkrete Vorgehen des anlaufenden Projektes informiert. Hierbei konnten offene Fragen geklärt werden sowie erste Vorkommenshinweise im Untersuchungsgebiet gesammelt werden. Nach einem halben Jahr wurden im Rahmen einer weiteren öffentlichen Veranstaltung die ersten Ergebnisse aus dem Projekt im Untersuchungsgebiet vorgestellt (10.12.2010). Zu beiden Veranstaltungen erschienen Presseartikel im Sangerhäuser Lokalteil der Mitteldeutschen Zeitung (02.06.2010, 12.12.2010).
Die ersten Ergebnisse wurden darüber hinaus im April 2011 bei einem Symposium zur Populationsökologie von Raubsäugerarten (GWJF) in Schneverdingen/Camp Reinsehlen in Form eines Vortrags einem Fachpublikum vorgestellt. Die Publikation zum Tagungsbeitrag wird in Beiträge zur Jagd- und Wildtierforschung Ende 2011 erscheinen.


Fazit

Um gesicherte Minimalstandards für die Entwicklung und ggf. Gestaltung von Verbundlebensräumen formulieren zu können, ist eine Erhöhung des Datensatzes unerlässlich. Darüber hinaus sollen insbesondere die Habitatpräferenzen abwandernder Jungtiere erhoben werden.

Übersicht

Fördersumme

30.630,00 €

Förderzeitraum

12.04.2010 - 11.04.2011

Bundesland

Sachsen-Anhalt

Schlagwörter

Landnutzung
Naturschutz