Modellhafte Analyse, Sicherung, Konservierung und Restaurierung der durch Umwelteinflüsse stark geschädigten historischen Farbglasfenster von 1893 im Chor der Johanneskirche/Halle
Projektdurchführung
Ev. Johannesgemeinde Halle
Gemeinderat
An der Johanneskirche 2
06110 Halle
Zielsetzung und Anlass des Vorhabens
Starke Verschmutzungen durch die ursprünglich in unmittelbarer Nähe befindlichen Fabriken (z. B. Hallesche Maschinenfabrik MAFA) und Werkstätten (siehe Anlage 1 - Zuarbeit des IDK) lassen erhebliche Schäden der Malschichten vermuten, die eine komplexe, wissenschaftliche Untersuchung erfordern. Diese soll u.a. auch Grundlage für die modellhafte Restaurierung des Systems: Farbschichten/ Glas/Bleistege sein. Ziel sind Recherchen / Analysen zum Glas und zu den Veränderungen durch die massiven Umwelteinflüsse auf Glas, Malschichten und Blei. Die Ergebnisse fließen in die weiteren Arbeiten der Ergänzung ein. Unter anderem wird erwogen, ein Modellglas (Musterfläche) herzustellen. Auf der Grundlage wissenschaftlicher Analysen und Voruntersuchungen ist vorgesehen, die Restaurierungsmaßnahmen an den Chorfenstern modellhaft und zielgerecht umzusetzen. Begleitende naturwissenschaftliche Analysen in Zusammenarbeit mit dem Institut für Diagnostik und Konservierung an Denkmalen in Sachsen und Sachsen-Anhalt dienen dem Ziel, eine optimale Lösung zu erreichen.
Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten MethodenProjektphase I (Anamnese )
1. Literatur/Patentrecherche
2. Probenahme
3. Bestandsaufnahme/ Kartierung
4. Untersuchung des anthropogenen Umweltschadens
5. Analyse der Zusammensetzung und des Zustandes von Gläsern, Malfarben und Bleistegen
Projektphase II
1. Herstellung eines Modellfeldes mit Malfarben und Bleistegen als Musterstück im unteren Bereich eines Chorfensters für Untersuchungen.
2. Ermittlung glasspezifischer Kennwerte für die Herstellung von Gläsern zur Schließung und Ergänzung der Fehlstellen, Ergänzung historischer Gläser in dieser Technik. Entscheidung über Material, Art und Weise der Ergänzung, sowie Ausführung.
3. Vorschlag zur modellhaften Herstellung eines Schutzes der Fenster
4. Publikation und Präsentation der Ergebnisse
Ergebnisse und Diskussion
Im Rahmen des von der DBU geförderten Modellvorhabens zur Konservierung und Restaurierung der Chorfenster der Johanneskirche in Halle - Kirche des Jahres in Sachsen-Anhalt - sollten komplexe, wissenschaftliche Untersuchungen zur modellhaften Restaurierung der Chorfenster erfolgen.
Weiterhin standen Aspekte grundsätzlich als Anforderung:
- Restauratorische Ethik für die Konservierung und Restaurierung historischer Glasmalerei, gilt unabhängig ihrer Entstehungszeit
- es sollen nicht unbedingt allgemeine Restaurierungsprinzipien wiederholt werden
- Grundlage ist die Erforschung und Dokumentation
- Präventive Konservierung ist Bedingung
- das Vorsehen einer Schutzverglasung muss unbedingt den konservatorischen Anforderungen von Glasmalerei, dem architektonischen Umfeld sowie den physikalischen Bedürfnissen entsprechen
- es erfordert die Zusammenarbeit einer Gruppe von Spezialisten, z.B. Restauratoren, Kunsthistorikern, Architekten und Naturwissenschaftlern
Die Recherche ergab, dass der Glasmaler, Glastechniker Alois Freystadl (1856-1932) aus Hannover sein Patent Nr. 71653 zur Glasherstellung an den Chorfenstern an Einzelfelder angewandt hat. Als Vorlage für die figürliche Darstellung der Chorfenster dienten die Bayernfenster des Kölner Domes von 1848.
Der angenommene anthropogene Umweltschaden bestätigte sich durch die vorgenommene Analysen. Im Probematerial wurde ein hoher Anteil von Kalziumsulfat und Magnesiumverbindungen festgestellt. Die Bestandsaufnahme des Musterfeldes des Chorscheitelfensters ergab, dass Freystadl sein Glas nur partiell und ansonsten verschiedene mundgeblasene Antikgläser und Überfanggläser mit deutlichem Hobel und starker Bläselung, Glasstärke 2-5mm, einsetzte.
Die Bestandsaufnahme / Kartierung von Glassprüngen, Glasfehlstellen, Reparaturglas, Glas nach Freystadls Patent, frühere Ergänzungen, seitenverkehrter Glaseinsatz, Auslinsungen, Bleinetze, Bleifehlstellen, Bleisprüngen und Bleibrücken war Grundlage für die Projektphase II, ebenso die Analyse zum Glas, Malfarben und Bleistegen.
Der innovative Ansatz zum Modellcharakter des Projektes liegt in der Aufgabenstellung der Voruntersuchungen als Grundlage zur Restaurierung, Diskussion innerhalb der Fachgruppe und die damit mögliche Auswahl von Material und Ausführungstechnik.
Ergebnisse wurden in der Praxis innovativ umgesetzt:
- Wiederherstellung der Fehlstellen, die den Anforderungen einer gesicherten Rekonstruktion entspricht
- Kennzeichnung sämtlicher Ergänzungsgläser auf der Rückseite mittels Linienradierung und Aufbringung eines zweiten dünnen Überzuges. In der Vergangenheit erfolgte diese vorderseitig mit einer Signatur, die oft unter den Bleiwangen verschwand
- Kleben von Glassprüngen und Ergänzungsgläsern - Originalglas in reversibler Technik durch Bestreichen der Glaskanten vor der Verklebung mit Paraloid B72 als Sperrschicht, danach Verklebung mit Araldit 2020A/B
- Montage einer außen vorgehängten und außenbelüfteten Schutzverglasung, aus 2-fach entspiegeltem ESG Amiran mit leichter Grautönung. Außenschutzverglasung als randlose Scheibe pro Feld jedoch am Wandanschluss gedichtet. Scheiben für Reinigung- und Wartungsarbeiten einfach reversibel.
Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation
Das Förderprojekt der Deutschen Bundesstiftung Umwelt wurde durch Veröffentlichungen in Presse, Rundfunk und Fernsehen in Sachsen-Anhalt vorgestellt und durch Artikel und Zwischenberichte begleitet. Der Bericht zum Modellvorhaben wird dem Fraunhofer-Informationszentrum Raum und Bau (IRB) übergeben.
Fazit
Auf Grund der konkret mit der DBU abgestimmten Modellthematik, der intensiven Arbeit der Fachspezialisten der Arbeitsgruppe und der Glaswerkstatt konnte die Aufgabenstellung mit Erfolg umgesetzt werden.
- Nachweisführung der Anwendung des Freystadl´schen Patentes
- Kennzeichnung der Ergänzungsgläser - bundesweit beispielhaft
- Für Mitteldeutschland erstmalige Anwendung einer reversiblen, den bestandsschützender Glasklebetechnik
- Modellhafte Ausführung der Schutzverglasung bezogen auf Materialauswahl, Montageart zum Schutz der historischen Bleiverglasung unter Berücksichtigung besonderer Umwelt- und bauphysikalischen Bedingungen
Infolge der sorgfältigen Projektanamnese konnte die Realisierung des Modellvorhabens kostengünstig erfolgen.
Fördersumme
105.000,00 €
Förderzeitraum
14.08.2007 - 31.05.2010
Bundesland
Sachsen-Anhalt
Schlagwörter
Klimaschutz
Kulturgüter
Umweltforschung
Umwelttechnik