Evaluation von Fließgewässer-Revitalisierungsprojekten als Modell für ein bundesweites Verfahren zur Umsetzung effizienten Fließgewässerschutzes
Projektdurchführung
Senckenberg Forschungsinstitut und
Naturmuseum Frankfurt
Abt. Fließgewässerökologie und Naturschutzforschung
Clamecystr. 12
63571 Gelnhausen
Zielsetzung und Anlass des Vorhabens
Die EG-Wasserrahmenrichtlinie fordert bis 2015 einen guten ökologischen Zustand aller Binnengewässer. Da allein mehr als die Hälfte der bundesdeutschen Fließgewässer keine intakten Lebensgemeinschaften aufweisen, sind in den kommenden Jahren zahlreiche Revitalisierungsprojekte durchzuführen. Trotz umfangreicher Erfahrungen zu verschiedensten Revitalisierungsmaßnahmen ist aber völlig unklar, ob diese Maßnahmen auch zu im Sinne der ER-WRRL messbaren Verbesserungen der Lebensgemeinschaften führen. Ziel des hier skizzierten Projektes ist daher die (biozönotische) Evaluation von 26 bundesweit bedeutenden, gut dokumentierten Fließgewässer-Revitalisierungsprojekten. Beurteilt werden die Auswirkungen der Revitalisierungsmaßnahmen auf den ökologischen Zustand eines Gewässers im Sinne der EG-WRRL. Hierbei werden nach dem Prinzip space for time substitution die Lebensgemeinschaften revitalisierter Gewässerabschnitte mit denen in einem jeweils unmittelbar oberhalb gelegenen nicht revitalisierten Abschnitt verglichen. Wesentlich ist hierbei, dass der oberhalb gelegene Vergleichsabschnitt dem Zustand des revitalisierten Abschnittes vor Durchführung der Revitalisierung weitestgehend gleicht. Die Erfassung der biologischen Qualitätskomponenten erfolgte nach den derzeit angewandten nationalen Standards. Des Weiteren wurden Daten zum hydromorphologischen Zustand an den revitalisierten und Vergleichsabschnitten aufgenommen sowie wesentliche Eckdaten, wie z. B. Kosten oder Alter der Maßnahme, abgefragt. Im Rahmen einer Fragebogen-gestützten Akteursanalyse wurde von den an der Revitalisierungsmaßnahme beteiligten Personen Zieldefinition, individuelle Sichtweise und Umsetzungshindernisse näher beleuchtet. Darüber hinaus liefert diese Evaluation wichtige Erkenntnisse für die Durchführung zukünftiger Maßnahmen. Aus diesem Grunde beschränkt sich dieses Projekt nicht auf die reine Evaluation der Fließgewässer-Revitalisierungsprojekte, sondern leitet aus den Ergebnissen Empfehlungen ab, die es zukünftigen Revitalisierungsprojekten ermöglichen, effektiver geplant und durchgeführt zu werden. Somit bietet die Evaluation der Fließgewässerprojekte auf der Grundlage der EG-WRRL die Möglichkeit, aus den Erfahrungen bereits durchgeführter Revitalisierungsmaßnahmen zu lernen und zukünftigen Fehlentwicklungen vorzubauen. Diese Synthese ist ein wichtiger Beitrag zur gesellschaftspolitischen Akzeptanzerhöhung von kostenintensiven Revitalisierungsmaßnahmen und somit von bundesweiter Bedeutung.
Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten MethodenAn allen Gewässerabschnitten werden Untersuchungen zur Gewässermorphologie und Habitatzusammensetzung zu den Fischen, dem Makrozoobenthos und den Makrophyten durchgeführt. Die Untersuchungen decken somit alle entscheidenden Parameter ab, die nach dem bisherigen Wissensstand auf Verbesserungen der Gewässermorphologie reagieren könnten. Den Untersuchungen liegt die Hypothese zu Grunde, dass sich positive Veränderungen der Habitatzusammensetzung bereits nach einem kurzen Zeitraum zeigen, die Organismen jedoch, abhängig vom Wiederbesiedlungspotenzial, zeitverzögert reagieren. Mobilere, ausbreitungsfähige Organismen wie die Fische werden die neu entstandenen Strukturen zuerst annehmen, während das Makrozoobenthos längere Zeiträume für die Besiedlung benötigt.
Ergebnisse und Diskussion
Im vorliegenden Endbericht werden die Ergebnisse von insgesamt 26 Maßnahmen vorgestellt:
Übergeordnetes Ziel der Revitalisierungsmaßnahmen war eine Verbesserung der Gewässerstruktur. Der analysierte Datensatz hat gezeigt, dass die Revitalisierung zu einer Verbesserung des hydromorphologischen Zustands geführt hat. An den revitalisierten Abschnitten wurde eine Erhöhung der Substratdiversität, Tiefen- und Strömungsvarianz festgestellt. Die Diversität von Gewässerelementen, wie beispielsweise Totholzverklausung, Altarme, Inseln oder Sand-/Kiesbänke hat ebenfalls zugenommen.
Die zur Bewertung des ökologischen Zustands herangezogenen biologischen Qualitätskomponenten spiegeln die gemessenen Verbesserungen der Habitatvielfalt jedoch (noch) nicht wider.
Im Einzelnen konnte beim Vergleich des revitalisierten mit dem Vergleichsabschnitt für die Qualitätskomponente Makrozoobenthos in fünf Fällen ein besseres Bewertungsergebnis festgestellt werden. In sechzehn Fällen konnte kein Unterschied dokumentiert werden und bei fünf Maßnahmen fiel das Bewertungsergebnis schlechter aus.
Im Hinblick auf die Qualitätskomponente Fische konnte bei zwölf analysierten Maßnahmen eine Verbesserung der Bewertungsergebnisse an den revitalisierten Abschnitten festgestellt werden. In zehn Fällen fielen die Bewertungsergebnisse gleich aus, in drei Fällen wurde ein schlechteres Bewertungsergebnis für den revitalisierten Gewässerabschnitt festgestellt.
Bei der Qualitätskomponente Makrophyten konnte für neun Maßnahmen nach Durchführung der Revitalisierung überhaupt erst ein Bewertungsergebnis an den revitalisierten Abschnitten berechnet werden, während an den jeweiligen Vergleichsabschnitten die Qualitätskriterien für eine Bewertung nicht eingehalten wurden. Bei acht untersuchten Maßnahmen wurde kein Unterschied festgestellt und bei zwei Maßnahmen fiel das Bewertungsergebnis schlechter aus. Für 16 Maßnahmen konnte auf der Basis des angewandten Verfahrens kein Bewertungsergebnis für zumindest einen der beiden Abschnitte berechnet werden, so dass der Vergleich zwischen revitalisiertem Abschnitt und Vergleichsabschnitt ausbleiben musste. Sowohl die Taxazahl als auch die Deckung mit submerser Vegetation hat an den revitalisierten Abschnitten signifikant zugenommen.
Insgesamt konnte somit in 17 der 26 Fälle eine Verbesserung in einer der drei biologischen Qualitätskomponenten festgestellt werden. Diese Verbesserung betraf jedoch oftmals nur eine Verschiebung vom schlechten oder unbefriedigenden in den unbefriedigenden oder mäßigen Zustand. Lediglich in insgesamt vier Fällen konnte eine Verschiebung vom mäßigen in den guten oder sehr guten Zustand dokumentiert werden.
Im Hinblick auf Zusammenhänge zwischen der Reaktion der biologischen Qualitätskomponenten und Projektkenngrößen der Revitalisierungsmaßnahmen (z. B. Alter, Länge oder Kosten der Maßnahme) konnte kein Zusammenhang hergestellt werden.
Wird bei der Ableitung der ökologischen Zustandsklasse (EQC) auf der Basis der drei Qualitätskomponenten das Worst-Case-Prinzip zu Grunde gelegt, erreicht nur eines der untersuchten Gewässer den guten ökologischen Zustand. Das Ziel der EG-WRRL ist somit bislang bei einer der 26 analysierten Revitalisierungsmaßnahmen erreicht.
Es werden Gründe diskutiert, weshalb trotz der deutlich verbesserten hydromorphologischen Bedingungen die biologischen Qualitätskomponenten nicht den guten ökologischen Zustand erreichen. Ein Aspekt ist das Wiederbesiedlungspotenzial der Organismen. Die Arten können nur dann revitalisierte Gewässerabschnitte wieder besiedeln, wenn diese auch in erreichbarer Nähe zum entsprechenden Gewässerabschnitt vorkommen. Im engen Zusammenhang steht hierbei die Frequenz von Revitalisierungsmaßnahmen im Einzugsgebiet von Gewässern mit einem verarmten regional pool. In letzt genannten Gewässern reicht es vermutlich nicht aus, lediglich einen ausgewählten (kurzen) Gewässerabschnitt zu revitalisieren. Hier könnten eventuell mehrere, über einen längeren Gewässerverlauf verteilte Maßnahmen, die Funktion von Trittsteinen übernehmen und somit zu einer insgesamt besseren biozönotischen Ausstattung des Gewässers beitragen. Weiter wurden bei einigen Gewässern Hinweise auf eine stoffliche Belastung gefunden. Diese Belastungen könnten einer Wiederbesiedlung der revitalisierten Gewässerabschnitte entgegenwirken.
Es wird herausgestellt, dass Substrate wie Totholz einen wertvollen Beitrag im Hinblick auf die Wiederausbildung einer gewässertypspezifischen Biozönose leisten können. Es sollte bei zukünftigen Revitalisierungsprojekten überprüft werden, inwiefern das Einbringen von Totholz auch bei größeren Gewässern zur Verbesserung der Hydromorphologie und in Folge dessen zu einer verbesserten Biozönose beitragen kann.
Der Erfolg von Revitalisierungsmaßnahmen wird im Hinblick auf die Biozönosen erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung nach Abschluss der Maßnahmen messbar sein.
Am Fallbeispiel des Einzugsgebietes der Nidda werden die engen Zusammenhänge zwischen Wiederbesiedlung und wiederbesiedlungsrelevanten Aspekten im Einzugsgebiet herausgestellt. Dazu gehören beispielsweise das Vorhandensein von Besiedlungsquellen, einer intakten Gewässerstruktur und eine gute Wasserqualität. Anhand des Fallbeispiels Nidda wird aufgezeigt, dass der Erfolg von Revitalisierungsmaßnahmen durch übergeordnete stoffliche und strukturelle Belastungen im Einzugsgebiet überlagert werden kann.
Die Akteure der Revitalisierungsprojekte wurden im Rahmen einer Befragung gebeten, den gefühlten Projekterfolg widerzuspiegeln und Verbesserungsvorschläge für die Umsetzung künftiger Planungen zu machen. Wichtig erscheint aus Sicht der Teilnehmer, messbare Revitalisierungsziele bereits vor Projektbeginn festzulegen. Im Rahmen eines (längerfristigen) Monitorings soll die Zielerreichung überprüft werden und Maßnahmen möglicherweise angepasst werden. Weiter sollte unter Beteiligung aller betroffenen Akteure eine kooperative Projektentwicklung und -umsetzung mit einer frühzeitigen und offenen Kommunikation angestrebt werden.
Der vorliegende Bericht stellt heraus, dass zukünftig eine ganzheitliche Betrachtung der Gewässer von zentraler Bedeutung für den Erfolg einzelner Revitalisierungsmaßnahmen ist. In den Fokus künftiger Planungen von Revitalisierungsmaßnahmen sollte daher nicht der Gewässerabschnitt allein, sondern der ganze Wasserkörper sowie sein Einzugsgebiet gerückt werden. Aus Sicht der Autoren sollten künftig Einzugsgebietsanalysen in den Planungsprozess von Revitalisierungsmaßnahmen integriert werden, um eine fachlich fundierte Entscheidung über den Umfang und die räumliche Ausdehnung von Revitalisierungsmaßnahmen treffen zu können.
Wenn die genannten Aspekte künftig stärker in den Fokus der Planung gerückt werden, können die Maßnahmen aus Sicht der Autoren auch langfristig zu dem gewünschten Erfolg führen und zu dem von der Wasserrahmenrichtlinie geforderten guten Zustand unserer Gewässer beitragen.
Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation
Präsentationen international:
18.05.2009: Vortrag auf Jahrestagung der North American Benthological Society, Grand Rapids, USA
15.10.2009: Vortrag auf der Diversitas Open Science Conference, Kapstadt, Südafrika
Präsentationen national:
27.09.2008: 3 Vorträge auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Limnologie, Konstanz
19.01.2009: Vortrag öffentliche Vorlesung an Universität Frankfurt
10.03.2009: Vortrag Revitalisierungsfachtagung der Norddeutschen Naturschutzakademie,
Schneverdingen
26.03.2009: Vortrag auf dem LAWA Expertenworkshop, Nürnberg
16.06.2009: Vortrag auf der DBU Sommerakademie, Mariental
23.06.2009: Vortrag für das Hessische Landesamt für Umwelt, Frankfurt
29.09.2009: Vortrag auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Limnologie, Münster
Fazit
Damit Revitalisierungsmaßnahmen aus ökologischer Sicht als erfolgreich bewertet werden können, müssen verschiedene Aspekte betrachtet werden. Zum einen ist es wesentlich, ein annähernd natürliches äußeres Erscheinungsbild des Gewässers wiederherzustellen. Die durchgeführten Maßnahmen haben aus Sicht der Autoren hierzu vielfach messbar positiv beigetragen. Die erhöhte Habitatvielfalt führt jedoch nicht automatisch zu einer erhöhten Artenvielfalt bzw. zu besseren Bewertungsergebnissen im Sinne der EG-WRRL.
Vielmehr wird deutlich, dass eine ganzheitliche Betrachtung der Gewässer von zentraler Bedeutung für den Erfolg einzelner Revitalisierungsmaßnahmen ist. In den Fokus künftiger Planungen von Revitalisierungsmaßnahmen sollte daher nicht der Gewässerabschnitt allein, sondern der ganze Wasserkörper sowie sein Einzugsgebiet gerückt werden. Es sollten künftig in vorgeschalteten Einzugsgebietsanalysen Aspekte zum Wiederbesiedlungspotenzial von Organismen, zu Besiedlungsquellen sowie zur stofflichen und strukturellen Belastung erörtert werden. Diese Analysen bieten dann eine Basis, auf der fachlich fundiert entschieden werden kann, wo und in welchen räumlichen Abständen sinnvoller Weise Maßnahmen umgesetzt werden sollten.
Wichtig erscheint die Einführung eines generellen, auch längerfristigen Monitorings, um die Erreichung der zuvor entsprechend detailliert (und messbar) festzulegenden Revitalisierungsziele zu überprüfen, nötigenfalls Maßnahmen anzupassen, für künftige Projekte Erfahrungen zu sammeln und - ganz wichtig für die Akzeptanz und Mitwirkungsbereitschaft in Bezug auf das aktuelle und spätere Vorhaben - Erfolge kommunizieren zu können. Einer frühzeitigen und offenen Kommunikation und kooperativen Projektentwicklung und -umsetzung kommt generell eine zentrale Rolle zu, beginnend bereits vor Projektstart und unter Einbeziehung aller potenziell tangierten Akteure. Zahlreiche weitere Verbesserungsmöglichkeiten sind in einer Mindmap zusammengefasst. Wenn die genannten Aspekte zukünftig neben der reinen Umsetzung von Revitalisierungsmaßnahmen verstärkt Berücksichtigung finden, wird sich aus Sicht der Autoren die Revitalisierung von Fließgewässern durchaus zu einer Erfolgsgeschichte entwickeln können. Keinesfalls sollte vorzeitig der Schluss gezogen werden, dass die Revitalisierungen langfristig nicht den Erfolg bringen, den man sich durch diese Maßnahmen erhofft.
Fördersumme
124.000,00 €
Förderzeitraum
01.04.2007 - 30.06.2009
Bundesland
Hessen
Schlagwörter
Landnutzung
Naturschutz
Ressourcenschonung
Umwelttechnik