Modellhafte Bestandserhaltung stark anthropogen umweltgeschädigter spätmittelalterlicher Außenwandmalereien an der Kirche St. Nicolai in Jena-Lichtenhain
Projektdurchführung
Ev.-Luth. Kirchengemeinde Jena-LichtenhainStadtkirchenamt Jena
Lutherstr. 3
07743 Jena
Zielsetzung und Anlass des Vorhabens
An einer Außenwand der Dorfkirche St. Nikolaus in Jena-Lichtenhain ist zwischen zwei Strebepfeilern eine Wandmalerei mit Darstellungen von Szenen des Alten und Neuen Testamentes erhalten und droht unwiederbringlich zu zerfallen. Der Bestand einer spätmittelalterlichen vorreformatorischen Wandmalerei im Außenraum stellt für den mitteldeutschen Raum ein Phänomen dar und gilt als einmalig. Der Malereizyklus, dessen Singularität den Einwohnern Lichtenhains wohl bekannt ist, spielt bei der Identitätsbildung des Ortes eine herausragende Rolle.
Ziel des Projektes ist es, objektbezogene und umweltverträgliche Methoden zur dauerhaften Sicherung dieser im mitteldeutschen Raum kunsthistorischen Einzigartigkeit zu erarbeiten und zu dokumentieren, um die Bedeutung dieses wertvollen Kulturgutes stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken.
Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten MethodenAktive, anthropogen verursachte Schadensprozesse bedrohen den Bestand der Wandmalerei. Hohe Schadstoffgehalte der Luft haben zur Umwandlung der Bindemittel von Putzmörtel und Malschicht als auch zu Verformungen der Putzoberfläche mit Malschicht geführt. Die in den 1970er Jahren durchgeführte Konservierung führte zur Überfestigung und Verkrustung der Oberfläche.
Das Finden einer Konservierungstechnologie zum Erhalt der Wandmalerei stellt die Experten vor eine hohe Herausforderung. Die Komplexität der erforderlichen Untersuchungen übersteigt das sonst übliche Maß bei Weitem. Das Gesamtprojekt setzt modellhaft die interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Wissenschaftszweige der Naturwissenschaften, der angewandten Wissenschaften und der Geisteswissenschaften voraus.
Das Projekt verfolgt den naturwissenschaftlichen Anspruch, objektbezogene Methoden zur dauerhaften Sicherung des Bestandes zu erarbeiten. Basierend auf fotografischen Vorzustandsaufnahmen wurde der Bestand fotografisch-maßstäblich kartiert, materialtechnisch untersucht und bewertet. Es folgten Unter-suchungen zum historischen Malschichtaufbau, zu Pigmenten und Bindemitteln, zur Salzbelastung der Malerei und ihres Umfeldes, Klimadaten wurden erfasst und Recherchen zur Schadstoffbelastung aus der Luft durchgeführt. Ergänzend zur manuellen Hohlstellendetektion wurde das Infrarot-Thermografieverfahren getestet und ausgewertet.
Ergebnisse und Diskussion
Im Ergebnis der Voruntersuchungen zur Bestandserfassung wird dokumentiert, dass der zur Malerei gehörige Wandverputz zu ca. 75 % erhalten ist, ca. 68% dieses Bestandes sind schadhaft. Der Verputz ist flächenhaft von der Wand abgelöst und hohl liegend. Das Putzgefüge ist durch zahlreiche Risssysteme gestört. Eine ca. 2-3 mm starke Putzschicht hat sich innerhalb des Verputzes gelöst und aufgewölbt. Auf dem Putz liegt die Grundierung, die lokal vergipst ist. Die darauf folgende, von Kunstharz durchzogene Malschicht ist fast vollständig vom Untergrund abgehoben. Zwischen Malschicht und Grundierung ist eine dünne, lose mit kleinen Gipskristallen gefüllte Zwischenschicht erkennbar. Gips liegt teils auf der Malschicht, teils zwischen Malschicht und Grundierung als auch in der obersten Schicht des Putzes.
Weiterhin rufen Feuchtigkeit und Alterung Volumenänderungen in den Gips- und Kunstharzhorizonten hervor, die fortlaufende Schichtenablösung und Hohlstellenbildung auslösen.
Über die gesamte Zeitdauer des Projektes erfolgten Untersuchungen zum Nahfeldklima. Messungen wurden unter offenem Vordach und unter Bedingungen einer Einhausung mit und ohne Hinterlüftung durchgeführt. Nach Errichtung einer provisorischen Einhausung konnte die dämpfende Wirkung der massiven Kirchenwand und der Einfluss einer Klimakonditionierung auf das Nahfeldklima - für den Fall einer späteren Einhausung - nachgewiesen werden.
Die abgelösten, hohl liegenden, harten und versprödeten Fassungen, Grundierungen und Putzschichten des Wandbildes müssen vor der Ausführung schadstoffmindernder und konservatorischer Maßnahmen mittels geeigneter Festigungsverfahren stabilisiert und wieder miteinander verbunden werden. Bis dato stehen hierzu keine Verfahren zur Herstellung von substanzschonenden Bohrungen zur Verfügung. Dieses Defizit führte innerhalb des Projektes zur Planung eines neuen Laserstrahlbohrverfahrens. Nach erfolgreicher Auswertung der Laborversuche wurde eine Verfahrenstechnologie zur Anwendung vor Ort weiter entwickelt. Im Ergebnis wird dargelegt, dass mittels Laserstrahlbohren geeignete Bohrlöcher mit kleinsten Durchmessern substanzschonend hergestellt werden können, durch die sich noch Injektionsmaterialien injizieren lassen. Eine partielle Anbindung der Malschicht an den Untergrund konnte mittels rasterelektronenmikroskopischen Untersuchungen nachgewiesen werden. Die haptischen Proben vor Ort belegen für die hinterfüllten Bereiche erhöhte Stabilität. Das Verfahren stellt einen neuen Lösungsansatz für einen erforderlichen Zwischenschritt der Gesamtmaßnahme dar.
Die in den 1970er Jahren eingebrachten Konservierungsmittel führen zu einer Erhöhung des Schädigungspotentials. Ein Schwerpunkt des Projektes ist die Erprobung von konservatorischen Verfahren zur Reduzierung der eingebrachten Kunststoffe. Die Untersuchungsergebnisse belegen eine tiefenwirksame Reduzierung der eingebrachten Kunststoffe mittels Niederdruckverfahren. Allerdings wurden durch die Bearbeitung stark pudernde Oberflächen mit massiven Materialverlusten generiert.
Die Rückverwandlung von Gips in Calciumcarbonat wurde am Objekt mit Ionenaustauschharzen, mit Bariumhydroxidlösung und mit Ammoniumkarbonatlösung untersucht. Die Auswertung belegt, dass eine Salzumwandlung mittels Austauschharzen nicht ausreicht. Die Gipsumwandlung mittels Bariumhydroxidlösung hinterlässt eine starke ästhetische Beeinträchtigung des Bildwerkes infolge der weißen Rückstände und der hohen Malschichtverluste, die Oberfläche ist nach der Behandlung extrem fragil. Im Gegensatz dazu wirkt die Umwandlung von Gips in Calcit mittels Ammoniumkarbonatlösung sehr effektiv. Die neu gebildete Calcitschicht ist porös, in Teilbereichen ist jedoch ein kompaktes Mikrogefüge erkennbar. Rein haptisch wirkt die neu gebildete Calcitschicht hinreichend stabil.
Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation
Das Projekt wurde mehrfach in der örtlichen Presse und im Regionalfunk vorgestellt. Das Abschlusskolloquium fand am 30. März 2011 in Jena statt. Weitere Veröffentlichungen sind in den Schriftenreihen des Thüringer Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie geplant.
Ähnliche Probleme bezüglich Schadstoffbelastung, ungeeigneter Altkonservierungen oder fortschreitender Untergrundablösungen treten auch an anderen Objekten auf, allerdings nicht in Kombination mit einer derartigen klimatischen und umweltgeschädigten Schadstoffkonzentration und Beanspruchung. Daher sind Fachveröffentlichungen - auch für ein weiteres Monitoring - anzustreben. Das neu entwickelte Verfahren zur Hohlraumfestigung mittels Laserbohren sollte unbedingt weiter entwickelt werden.
Fazit
Mit gegenwärtigen wissenschaftlich - technischen Erkenntnissen kann mit keiner der erprobten Methoden alleine ein hinreichender Konservierungserfolg der stark anthropogen umweltgeschädigten Außenwandmalereien in Jena-Lichtenhain erreicht werden. Daher bekommt die raumklimatische Stabilisierung mittels Einhausung und gesteuerter Klimatisierung Priorität. Zukunftsweisend sind die im Projekt vorgestellten modellhaften Entwicklungen des Laserstrahlbohrverfahrens zur substanzschonenden Hohlrauminjektage und des Niederdruckverfahrens zur Reduzierung eingebrachter Kunststoffe.
Für die nächsten Jahre ist ein Monitoring erforderlich, um den Erfolg der klimatischen Stabilisierung zu bewerten und eine Konservierung mit neuen bzw. weiter entwickelten Technologien anzustreben.
Fördersumme
75.000,00 €
Förderzeitraum
29.05.2007 - 31.12.2010
Bundesland
Thüringen
Schlagwörter