Beispielhafte Sanierung der umweltbedingten Risse an der Turmanlage des Erfurter Doms einschließlich Weiterbildungsmaßnahmen
Projektdurchführung
Dom zu Erfurt St. Marien
Dombauamt
Domstufen 1
99084 Erfurt
Zielsetzung und Anlass des Vorhabens
Der Dom zu Erfurt als romanische Basilika stammt aus dem 12. Jahrhundert. Bis Mitte des 15. Jhdts. gab es mit dem Hohen Chor eine wesentliche Erweiterung und mit dem Umbau des Lang- und Querhauses eine Veränderung des basilikalen Raumes und die Zusammenfassung aller Raumteile zu einer zentralen Gesamthalle. Gemeinsam mit der Kirche St. Severi und den Kurienhäusern bildet der Dom St. Marien eine der großartigsten Schöpfungen mittelalterlicher Baukunst und bekrönt den Hügel über der Stadt Erfurt.
Die Mauerwerksverbände der Turmgruppe und des Chorhalses wiesen erhebliche Rissbildungen auf. Diese Erscheinungen wurden schon Mitte der 1980er Jahre beobachtet und seitdem sind mehrere Untersuchungen und Gutachten unter den Aspekten Ursache, Wirkung und zu ergreifende Maßnahmen erstellt worden. Ursächlich sind Eingriffe in die ursprüngliche Bausubstanz (Entfernen der Ostwand, Auf-bau des Mittelturmes, weitere Aufbauten auf den Türmen) sowie umweltbedingte Einflüsse aus Natur, Brände und Erschütterungen zu nennen. Weiterhin haben thermische (Sonneneinstrahlung/Witterungseinflüsse) und dynamische Beanspruchungen durch Glockengeläut die Schäden vorangetrieben. Daraus resultierend wurden Deformationen in hochbelasteten Bauteilsbereichen mit begleitender Lastumlagerung und unterschiedliche Steifigkeit der einzelnen Konstruktionsteile in jüngster Zeit festgestellt. Es galt somit, die statisch-konstruktive Sicherung der Turmgruppe des Erfurter Domes zu erreichen.
Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten MethodenUm die Standsicherheit der Turmgruppe wieder herstellen zu können, waren seit den 1980er Jahren gründliche Voruntersuchungen und Planungen nötig. Diese Planungsphase umfasste im ersten Abschnitt die Sondierung und Überlegungen für baukonstruktive Maßnahmen zur Stabilisierung der Tragkonstruktion des Turmensembles. Der erste Schritt der Sanierung begann im März 2002 mit der Installation einer Notsicherung im Bereich des Chorhalses. Weitere Gutachten wurden in Auftrag gegeben, die präzisere Aussagen über die Einwirkungen der dynamischen Lasten der Glocken und über Resonanzen zwischen den Glocken und der Turmgruppe ergeben sollten. Es folgte eine Begutachtung der Glockenstühle und eine ausführliche Analyse des Mauerwerkes im Bereich Mittel- und Südturm. Im September 2002 begann die Mauerwerkssanierung an der Turmgruppe. Die geplante Verankerungstechnologie mittels Edelstahlankern, die leicht vorgespannt und mit einem an der Bauhaus Universität Weimar entwickelten Injektionsschaummörtel verpresst werden sollten und deren parallele Durchführung an den zwei romanischen Türmen war bis dato in den jungen Bundesländern noch nicht so durchgeführt worden. Diese Maßnahme sollte über den Domberg hinaus ein Beispiel für weitere komplexe Lösungen werden, aber auch für Neuerungen im Detail, wie z. B. die formstabile Montageabstützung des östlichen Gurtbogens.
Ergebnisse und Diskussion
Die erste Planungsphase Anfang der 1990er Jahre beinhaltete die Grundlagenermittlung in Form von Voruntersuchungen zum Schadensbild und deren Ursache, deren Ergebnisse in Planungsentwürfe zur Stabilisierung der Bausubstanz mündeten. Diese Vorentwurfsphase wurde mit Projektantrag Az.03214 von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gefördert. Mit Projektantrag vom 19.05.1999 auf Unterstützung zur Durchführung der Sanierung auf Grundlage der seinerzeit vorliegenden Planung erhielt die DBU die angedachten Sanierungsmaßnahmen und die dazu gehörigen Ausführungsunterlagen.
Es folgten weitere Untersuchungen und Messungen als Ergänzung zu den bislang Vorhandenen. Die dazu formulierte Aufgabenstellung umfasste eine detailliertere Erfassung der äußeren Einflüsse auf die Turmgruppe. Denn in den laufenden Planungsdiskussionen kristallisierte sich u. a. die Fragestellung heraus, inwieweit schadhafte (falls vorhanden) äußere Einflüsse in Zukunft minimiert werden können: Gibt es Komponenten, die dem sanierten Mauerwerk in Zukunft Schaden zufügen und auf die im Vorfeld eingewirkt werden könnten? Insbesondere wurde dabei das Augenmerk auf die Wirkung des Glockengeläutes und auf die Einwirkung des Windes gerichtet. Ferner waren Aussagen zum Zustand der Glockenstühle und deren Auflagerung nötig, um gegebenenfalls auch an diesem Bauteil Maßnahmen in das Projekt mit einzubeziehen. Und schließlich erfolgte eine genaue Zustandsanalyse des Mauerwerks im Süd- und im Mittelturm. Diese neuen Gutachten wurden in der Planerrunde erörtert und weitergehend diskutiert, inwieweit die empfohlenen Maßnahmen umgesetzt werden können bzw. sollten. Vor allem unter dem Aspekt der denkmalpflegerischen Zielsetzung wurde der geplante Eingriff in die historische Bausubstanz kritisch beurteilt.
Schließlich kristallisierten sich für die Sanierungs- und Sicherungsmaßnahmen der konstruktiven Bauteile folgende Maßnahmen heraus: Ergänzungen von Verankerungen im nördlichen Turm; Mauerwerksanker zur Aufnahme von Schub- und Querzugkräften; lokale Anker im Bereich von Rissbildungen im Mauerwerk des anschließenden Chorhalses; lokaler Mauerwerksaustausch im Lasteintragungsbereich der Gurtbögen in das Turmmauerwerk der Seitentürme; statische Ertüchtigung des Mauerwerks mittels Vernadelung und Mauerwerksinjektionen, denkmalgerechte Ausbildung des Chorhalsinnenraumes.
Voraussetzung der geplanten Endverankerung (statische Ertüchtigung) war zunächst die im März 2002 durchgeführte Notsicherung des Mauerwerkes der Turmeckbereiche (chorseitig) mittels Spreizen, Anker und Vergurtung. Für die geplante statische Ertüchtigung des Mauerwerkes im Lasteintragungsbereich der 2 Gurtbögen des Mittelturmes in die Seitentürme (Austausch, Injektion und Vernadelung) wurde eine Montageabstützung des östlichen Gurtbogens (Lehrbogenabstützung auf Schwerlaststützen und Rostbalken auf Pfählen) errichtet.
Die Optimierungen an den Glocken und Glockenstühlen waren im einzelnen: Entrostung und Neuanstrich des Stahlglockenstuhles im Nordturm; Erhöhung der Trägerrostwirkung des Stuhles im Südturm mittels Verbolzung; Steinergänzungen im Konsolenbereich sowie Risssanierung im Mauerwerk unterhalb des Glockenstuhles im Mittelturm, dort auch Überarbeitung der verrosteten Maueranker und Ankereisen, Erneuerung der Steuerelektronik der Läutemaschinen und Reduzierung der Läutewinkel, neue proportionsgerechte Klöppel für die Glocken Andreas und Christopherus.
Ein abschließendes Schwingungsgutachten im April 2004 attestierte den Erfolg der Sanierung, wobei die Eigenfrequenz der Türme mit 1,81 MHz gemessen wurde. Das bedeutete eine Erhöhung um 0,8 MHz und schlussfolgernd eine Verbesserung der Stabilität der Mauerwerkskonstruktion.
Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation
Die Sanierung der Turmgruppe fand in der Öffentlichkeit und in der Fachwelt große Resonanz. In mehreren Pressekonferenzen wurden neben der Notsicherungsmaßnahme auch das Gesamtprojekt vorgestellt und erläutert. Tagespresse, Rundfunk und Fernsehen berichteten umfangreich und ausführlich. Eine Diplomarbeit an der FH Erfurt, wurde zur statischen Problemlage der Turmrisse erstellt. Die beiden durchgeführten Fachkolloquien informierten die lokale Fachwelt über den Stand der Baumaßnahme und über die dabei gewonnenen Erkenntnisse in der Denkmalpflege. Der MDR sendete eine Reportage über die Sanierungsarbeiten. Eine 3 D Computersimulation, die von der bauausführenden Fachfirma in Auftrag gegeben wurde, veranschaulicht die realisierten Eingriffe bei der Sanierung.
Fazit
Somit kann abschließend eingeschätzt werden, dass die durch vielfältige z. T. umweltbedingten Faktoren verursachten Schädigungen des Mauerwerkes der Turmgruppe des Erfurter Domes unter Anwendung innovativer Mittel und Methoden, Materialien und Verfahren erfolgreich beseitigt werden konnten. Unter Einbeziehung ansässiger Baufachbetriebe zur Durchführung des Projektes konnte das mittelständige Handwerk in Thüringen gestärkt werden.
Fördersumme
278.946,02 €
Förderzeitraum
20.06.2001 - 20.06.2004
Bundesland
Thüringen
Schlagwörter
Klimaschutz
Kulturgüter
Umweltforschung