Die Fasernessel Urtica dioica L. als nachwachsender Rohstoff zur Substitution von Glasfasern bei verstärkten Kunststoffteilen
Projektdurchführung
Fa. Julius Heywinkel GmbHTextil- und Kunststoffwerk
Gesmolder Str. 51
49084 Osnabrück
Zielsetzung und Anlass des Vorhabens
Ausgehend vom derzeitigen Kenntnisstand über die Fasereigenschaften der Nesselfaser wird die Eignung dieser Faser als natürliche Verstärkungsfaser in Einsatzgebieten nachgewiesen, die derzeit von der Glasfaser abgedeckt werden. Dazu ist es notwendig, Anbau und Pflege der vorhandenen Zuchtstämme der Nessel für eine industrielle Nutzung weiterzuentwickeln und das angebaute Material hinsichtlich des erreichbaren Faseraufschlusses, der Faserqualität, der Verarbeitung zum Flächengebilde und Einlagerung in Kunststoffe sowie die Verbundqualität zu untersuchen.
Die Testung der neuentwickelten Verstärkungsfaser soll im Bauteil Heckklappenverkleidung im Vergleich zu dem derzeit aus glasfaserverstärktem Polypropylen bestehendem Bauteil erfolgen.
Die ganzheitliche Betrachtungsweise vom Anbau der Fasernessel (Institut für Angewandte Botanik) über die Vliesherstellung (TITK) bis zur Produktion (Fa. Heywinkel) ist die Erfolgsgrundlage.
Ziel dieses Vorhabens ist es, einen Großserienauftrag für diesen nesselfaserverstärkten Formstoff zu akquirieren.
Weiterführend wird an eine Substitution der PP-Matrix mittels abbaubarer Polymere gearbeitet.
Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten MethodenGroßflächiger Anbau (1 ha mit einer Sorte und 1 ha mit 2 - 3 weiteren Sorten) verschiedener Hochleistungssorten der Fasernessel auf stillgelegten landwirtschaftlichen Flächen zur Produktion von Nesselstroh zur industriellen Weiterverarbeitung. Die Anlage und Pflege dieser Anbauflächen erfolgt unter wissenschaftlicher Begleitung. Hierdurch ist eine fachgerechte Auswahl der Sorten sowie eine wissenschaftliche Bonitierung des Nesselbestandes gegeben. Darüber hinaus werden Boden- und Pflanzanalysen und Klimadaten erfasst. Stecklingsvermehrung, Auspflanzung-, Erntemethodik und Entblätterung der Nesselstengel werden optimiert.
Um ein optimales Vlieshalbzeug aus PP und der Verstärkungsfaser Nessel zu erhalten, werden folgende Schritte durchgeführt.
- Entwicklung einer wirtschaftlichen mechanischen Faseraufschlusstechnologie unter Einbeziehung vorhandener Maschinentechnik.
- Beurteilung der Fasereigenschaften in Abhängigkeit vom Aufschlussverfahren.
- Beeinflussung der Faser-Matrix-Haftung durch Modifizierung der Faser oder des Matrixmaterials.
- Vliesbildungstechnologie zur Herstellung von Verbunden mit optimalen Eigenschaften.
- Herstellung von 100 % Nesselvliesen, Herstellung von Hybridvliesen mit Polypropylen.
- Kalkulation des Halbzeugproduktpreises.
- Auswahl einer Vorzugsvariante in Zusammenarbeit mit der Firma Heywinkel als Technologievorgabe.
Im weiteren Verlauf wird das Halbzeug zu Versuchsbauteilen verarbeitet, welche im Hinblick auf den Einsatz im Automobil-Innenraum untersucht und charakterisiert werden
Basis für die Untersuchung sind technische Lieferbedingungen für Innenverkleidungsteile. Diese beinhalten mechanische, optische und organoleptische Eigenschaften. Weiterhin wird die Verarbeitbarkeit, Verformbarkeit und Kaschierbarkeit überprüft.
Anhand der Ergebnisse aus diesen Prüfungen wird das Halbzeug ggf. vom TITK und von der Uni Hamburg verbessert.
Ist das Material bis zur Serienreife und auch aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten optimiert, wird es zu dem Serienbauteil Heckklappenverkleidung verpresst und beim Kunden zur Erstbemusterung vorgestellt. Bewährt sich die Nesselfaser als Serienmaterial, kann eine Großserie angedacht werden.
Ergebnisse und Diskussion
Es konnte nachgewiesen werden, dass eine industrielle Nutzung der Nesselfasern zur Verstärkung von Innenausbauteilen von Automobilen möglich ist. Sowohl beim Faseraufschluß als auch bei der Vliesherstellung und bei der Bauteilherstellung im Formpressverfahren werden außer Technologieanpassungen keine Anforderungen an Anlagen, Verfahren und Technologien gestellt. Es entstehen Bauteile gegenüber dem Flachs mit ähnlichen mechanischen Kenngrößen. Die Verarbeitungskosten vom Faseraufschluss bis zum Bauteil sind mit denen anderer Naturfasern vergleichbar. Zur Erhöhung der Faserausbeute sind weitere züchterische Arbeiten unumgänglich.
Die Projektbearbeitung erbrachte folgende Ergebnisse:
1. Das vom Aufschluss anderer Naturfasern (Flachs, Hanf) bekannte Verfahren des rein mechanischen Faseraufschlusses ist zur Gewinnung technisch verwertbarer Nesselfasern anwendbar. Dabei ist in jeder für Hanf konzipierten mechanischen Faseraufschlussanlage bei geringen technologischen Optimierungen der Nesselfaseraufschluss durchführbar.
2. Unter Beachtung der entwickelten Technologie hinsichtlich
· Fasergehalt
· Stichdichte und
· Stichtiefe
ist das Verfahren der Hybridvliesherstellung aus Nesselfaser/Polypropylen anwendbar. Die Fertigung kann bei jedem naturfaserverarbeitenden Vlieshersteller erfolgen.
3. Unter Beachtung der entwickelten Technologie hinsichtlich
· Vorheiztemperatur
· Heizzeit
· Vorverdichtung
· Presstemperatur
· Flächenpressung und
· Preßzeit
ist das Formpressverfahren zur Verbundherstellung anwendbar. Die Fertigung kann bei jedem nach dem Formpressverfahren arbeitenden Bauteilhersteller erfolgen. Insbesondere ist die Firma Julius Heywinkel GmbH technisch/technologisch für eine Verarbeitung von Nessel/Polypropylen-Vliesen zu Bauteilen in der Lage.
4. Aus Nessel-Polypropylen-Hybridvliesen sind Verbunde herstellbar, die gegenüber flachsfaserverstärkten Kunststoffen bessere Biegeeigenschaften bei gleichen anderen mechanischen Kenngrößen besitzen.
5. Das vom Aufschluß anderer Naturfasern (Flachs, Hanf) bekannte Verfahren des rein mechanischen Faseraufschlusses ist zur Gewinnung technisch verwertbarer Nesselfasern anwendbar. Dabei ist in jeder für Hanf konzipierten mechanischen Faseraufschlussanlage bei geringen technologischen Optimierungen der Nesselfaseraufschluss durchführbar.
6. Das anvisierte Bauteil Heckklappe A8 ist aus Nessel-Polypropylen herstellbar. Die Forderungen entsprechend den Technischen Lieferbedingungen der Automobilindustrie sind erfüllbar. Noch notwendige technologische Optimierungen können sowohl beim Vlies- als auch beim Bauteilhersteller nur mit größeren Mengen Nesselfaser durchgeführt werden. Im Rahmen des Projektes war das auf Basis des durchgeführten Versuchsanbaus nicht möglich.
Die Verarbeitungskosten der Nessel sind bei Faseraufschluß, Vlies- und Verbundherstellung mit denen anderer Naturfasern vergleichbar. Zur Erzielung gleicher Kosten im landwirtschaftlichen Vorfeld ist eine Fasergehaltserhöhung um ca. 10 % unumgänglich.
Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation
Das Fasernesselprojekt wurde während der Projektlaufzeit bei folgenden Gelegenheiten vorgestellt:
1. Meeting of WG Alternative fibre crops vom 9. - 10. April 1997 at IACR Rotham-
ste, United Kongdom: Potential of Stinging Nettle (Urtica dioica L.) as Industrial Fibre Crop
2. International Conference: Sustainable Agriculture for Food, Energy and Industry
vom 22. - 28. Juni 1997 in Braunschweig mit dem Poster: Potentials of Stinging
Nettle (Urtica dioica L.) as Industrial Fibre Crop.
3. Kontaktkreis Naturwissenschaft, Technik und Politik der Konrad Adenauer Stif-
tung, am 27. Juni in Osnabrück, Poster und Referat: Biologie und Anbau der Fasernessel Urtica dioica L.
4. VDI/MEG Kolloquium Agrartechnik am 6. - 7. August 1997 in Bonn: Erzeugung
technischer Naturfasern aus Fasernesseln (Urtica dioica L.). Anbausystem und Produktivität im Raum Hamburg
5. Internationales Symposium Werkstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen vom 9.
bis 4. September 1997 in Rudolstadt-Schwarza: Die Fasernessel Urtica dioica L.
als nachwachsender Rohstoff zur Substitution von Glasfasern bei verstärkten Kunststoffteilen
6. 1o th European Conference and Technology Exhibition: Biomass for Energy and
Industry, 8. - 11. Juni 1998 in Würzburg: Fibre Nettle (Urtica dioica L.) as an Industrial Fibre Crop for Composites (PMCs)?
7. Dies Academicus, Universität Hamburg am 24 Juni 1998: Nachwachsende Rohstoffe : Fasernesselprojekt
Fazit
Im Rahmen des Forschungsprojektes konnte bestätigt werden, dass die Nesselfaser für die Verstärkung von Kunststoffteilen im Anwendungsbereich Innenverkleidungen für die Automobil- und Nutzfahrzeugindustrie einsetzbar ist.
Um eine ausreichende Wirtschaftlichkeit zu erreichen, muss der Fasergehalt durch Züchtung und Auslese auf 20 % erhöht werden.
Fördersumme
742.994,53 €
Förderzeitraum
01.07.1996 - 30.06.1999
Bundesland
Niedersachsen
Schlagwörter
Klimaschutz
Ressourcenschonung
Umweltforschung
Umwelttechnik