Baumwolle wird weltweit auf rund 34 Millionen Hektar Fläche angebaut. „Obwohl dies nur rund 3,2 Prozent der landwirtschaftlichen Anbaufläche ausmacht, werden dabei 25 Prozent der weltweit eingesetzten Bekämpfungsmittel gegen Insekten versprüht“, verdeutlicht DBU-Experte Dr. Maximilian Hempel. Das habe nicht nur Folgen für den Boden und die Wasserqualität in den Anbaugebieten, sondern gefährde auch die Artenvielfalt. Hinzu komme der hohe Wasserverbrauch dort. Der Aralsee beispielsweise, der teilweise in Usbekistan liegt, trockne immer weiter aus, so Hempel. Usbekistan gehört neben Indien, China, USA, Pakistan und Brasilien zu den Hauptproduzenten von Baumwolle, die gemeinsam 80 Prozent der weltweiten Ernte liefern.
Im Vergleich zu konventioneller Baumwolle kommt Biobaumwolle mit einem erheblich geringeren Pestizideinsatz aus. Die Umweltvorteile liegen somit auf der Hand. Der Anbau von Biobaumwolle beträgt derzeit weltweit weniger als 1 Prozent. Der Großteil kommt aus Indien. Und genau von dort geht nun möglicherweise eine Entwicklung aus, die dem Anbau von Biobaumwolle zum Durchbruch verhelfen könnte. Maßgeblich dafür ist eine Firma aus Münster/Westfalen, die ursprünglich der Produktpiraterie den Kampf angesagt hat. Tailorlux-General Manager Tobias Herzog erläutert: „Mit den von uns entwickelten Lumineszenz-Partikeln können wir alle möglichen Stoffe markieren und gegen sogenannte Fake-Produkte sichern“.
Wolle wird mit Markern versehen
Das im Plagiatschutz bewährte Verfahren eignet sich durch den Einsatz von Sensoren, die ortsunabhängig Daten in die Cloud senden können, aber auch für umfassende Lösungen, Produktwege rückverfolgen zu können. Die Münsteraner Firma hat unter der Bezeichnung „Cotton 4.0“ ein Verfahren realisiert, das für die Rückverfolgbarkeit von Baumwolle bahnbrechend ist: Bereits in der Baumwoll-Mühle und damit im ersten Prozessschritt nach der Baumwollernte wird die Biobaumwolle mit speziellen Markern versehen. Nur ein Kilogramm Markierfaser reicht, um mindestens eine Tonne Biobaumwolle zu kennzeichnen. Die Markierung ist für das menschliche Auge unsichtbar, vor allem aber hat sie keine Auswirkungen auf Materialeigenschaften und Qualität der Biobaumwolle.
Ein in der Baumwoll-Spinnerei installierter Sensor, der den Materialfluss im Spinnprozess kontinuierlich überwacht, erkennt anhand der Markierungen, ob dem ursprünglichen Produkt andere Chargen beigemischt wurden und wenn ja – in welcher Menge. Unzulässige Beimischungen lassen sich auf diese Weise schnell und eindeutig identifizieren.
Im nächsten Projektschritt, der bis etwa Ende 2019 erfolgen soll, wird diese Entwicklung soweit gediehen sein, sagt Herzog, „dass der Kunde mit einem Hand-Sensor über das fertige Produkt – beispielsweise ein T-Shirt – fahren kann und damit sofort erkennt, wie hoch der Anteil an Biobaumwolle darin ist.“ Das bedeute nicht nur einen großen Schritt in puncto Markenschutz, so der General Manager, sondern stärke neben dem wichtigen Umweltaspekt auch die soziale Komponente des Biobaumwollanbaus. Herzog weiß: „Dank verschiedener Initiativen leben viele Familien, ja ganze Gesellschaftsschichten in Indien vom Biobaumwollanbau. Wir müssen alles tun, diese Initiativen gegen betrügerische Vorstöße zu schützen und den Menschen ihren Lebensunterhalt zu sichern.“
Zunächst geringe Mengen
„2019 ist für Cotton 4.0 ein äußerst spannendes Jahr“, fährt Herzog fort. In Phase 1 des Vorhabens laufen derzeit viele Daten aus Indien im Zentralrechner in Münster ein, um zunächst die Reinheit der Rohstoffe sicherzustellen. „Für das DBU-Projekt arbeiten wir mit der relativ geringen Menge von 150 Tonnen Biobaumwolle“, berichtet Herzog und ergänzt: „Für Oktober 2019 liegt uns bereits ein Auftrag vor, bei dem eine vierstellige Tonnage zu bewältigen sein wird.“
Die Übertragbarkeit auf andere Produktionsstätten und Lieferketten stellt für das System nach Ansicht von Herzog kein Problem dar. Grundlage für die Zuversicht sind nicht nur in anderen Bereichen im industriellen Maßstab durchgeführte Markierungen, sondern auch mehrere erfolgreich durchgeführte Pilotprojekte für Baumwollmarkierungen.
Während einer Abschlusspressekonferenz für das DBU-Projekt im März 2019 wurden alle oben beschriebenen Prozessschritte mit Messergebnissen hinterlegt und in Anwesenheit von Schirmherrin Renate Künast präsentiert.
„Nach der Veröffentlichung der Ergebnisse gibt es eigentlich keine Grundlage mehr für Ausreden seitens der großen Modemarken“, betont Tobias Herzog selbstbewusst. Von dort würden immer noch Argumente wie ein zu hoher Preis oder mangelnde Skalierbarkeit gegen die Biobaumwolle ins Feld geführt. „Unser Produkt jedenfalls ist reif für den Massenmarkt“, zeigt sich der Tailorlux-Manager optimistisch. Sollte er Recht behalten, wird der diesjährige Umzug von Tailorlux innerhalb Münsters, bei dem sich die Firma vergrößern will, wahrscheinlich nicht der letzte gewesen sein.
AZ 34216